Eine Abschiedstour von Hamburg nach Berlin

Eine Abschiedstour von Hamburg nach Berlin

Vor ein paar Wochen haben mich meine Schwester und mein Neffe besucht. Dabei unterhielten wir uns darüber, dass er ein neues Rad braucht, damit er in Berlin zur Schule fahren und auch ein paar Touren machen kann. Und dass sie gerade auf der Suche nach einem entsprechenden Fahrrad sind.

Lange mussten sie nicht suchen, denn in meinem Keller fahre ich seit ein paar Jahren auf meinem Smart-Trainer mein altes Reiserad, das doch eigentlich ganz gut passen würde. Also fix abgebaut, den Neffen drauf gesetzt und siehe da: passt!

Nur wie bekommt man jetzt das Fahrrad nach Berlin? Genau: ich fahre es zu ihm – von Hamburg nach Berlin. Eine letzte große Tour für mein gutes altes Santos Travelmaster.

Voller stolz habe ich dann beim Losfahren in einem Video auf Instagram behauptet, dass das Rad von 2013 sei. Das stimmt aber nicht, denn ich habe festgestellt, dass ich dieses Fahrrad offensichtlich sehr viel früher gebaut habe. Genauer gesagt 2002, denn nach unserer Tour von Leipzig nach Bombay/Mumbai und meiner Solo-Fahrt durch die Sahara, war mein altes Fahrrad komplett kaputt und der Rahmen durchgerostet.

Ich brauchte also ein neues Rad, wollte diesmal aber eines selber aufbauen, da meine Wünsche und Anforderungen damals so nicht bei anderen Rädern von der Stange abgedeckt waren, bzw. preislich einfach nicht möglich waren für mich.

Den Stahl-Rahmen habe ich mir in Holland bei Santos bestellt, die Gabel kam von Rotor aus Leipzig, die 3×9 Shimano XT und die Laufräder mit Nabendynamo kamen von einem Online-Shop. So genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Ursprünglich war an dem Fahrrad auch noch ein LowRider, den ich aber abgebaut habe, da ihn mein Neffe nicht braucht. Ich habe damals all das verbaut, was sich auf meinen bisherigen Touren bewährt hat: Felgenbremsen (V-Brakes), Shimano XT Kettenschaltung, SON Nabendynamo, Rigida Sputnik Felgen mit XT Nabe, Gepäckträger von Tubus, LowRider von einer Firma, die damals neu war und ich den Namen nicht mehr weiß.

Die erste Tour machte ich dann damit nach Norwegen, wo ich im Tiefschnee nicht weit gekommen bin und mich ein entzündetes Knie dann nach 6 Tagen zur Umkehr gezwungen hat. Dafür hat es dann aber viel Afrika mitgemacht: einmal Marokko und dann – nach einer Tour durch Vietnam – bin ich mit diesem Fahrrad durch Ruanda und Uganda geradelt.

2013 begleitete es mich nach Island und im Jahr drauf habe ich mir ein neues Reiserad geschenkt, das Norwid Gotland, weshalb das Santos mein Zweitrad wurde.

Übrigens: ich biete gerade das Norwid Gotland zum Verkauf. Hier gibt es mehr Infos.

Die letzte Tour

Nach soviel rühmlicher Vergangenheit des Rades hat es mich natürlich gefreut, dass ich dieses „Familienerbstück“ nun in guten Hände meines Neffen geben kann, wo es hoffentlich noch viele Kilometer und Touren erlebt.

Und die Fahrt in sein neues Zuhause nach Berlin habe ich ihm, dem Santos, natürlich geschuldet. Als Abschiedstour (und um sicherzugehen, dass noch alles funktioniert).

Natürlich habe ich noch mal eine neue Kassette, Kette, Schaltröllchen und Schaltzug eingebaut und dann startete ich Freitagnachmittags auf die 350 km nach Berlin.

Es hatte gerade aufgehört zu regnen, es war noch kalt, aber das Wetter sollte besser werden. Der Track führte mich dann durch Hamburg, am Hafen entlang und durch die Hafencity raus entlang der Elbe nach Lauenburg. Hier überquerte ich die Elbe und grüßte noch mal das Dreiländereck, welches ich ein paar Tage zuvor mit dem Hackenpedder besucht hatte. Ich wollte auf der südlichen Elbseite bleiben, denn dort waren mehr Campingplätze vorhanden. Nach 90 km – es war dann schon 20 Uhr – lag genau ein solcher am Wegesrand und ich baute mein Zelt auf.

Die Nacht war kalt, aber das gute Wetter kündigte sich schon an. Und ich kann euch sagen: die Natur entlang der Elbe, diese Landschaft, ist einzigartig und immer wieder beeindruckend. Der Morgen war nebelig und die Sonne brach sich ihre Bahn. Ich rollte entlang des Elbufers und durfte dieses fantastische Naturschauspiel geniessen.

Alles war ruhig, hier und da ein paar Vögel, immer wieder kreuzten Rehe und Hasen meinen Weg, das Land lag da, als ob es Anlauf nimmt, für den Sommer, der jetzt kommt. Noch war es frisch, aber mit jeder Stunde wurde es wärmer. Bald fuhr ich kurz-kurz. Und das, obwohl aus Osten ein starker – und auch kühlender – Wind wehte.

Durch die typischen Dörfer in Richtung Gorleben führte mich mein Track, bevor ich bei Dömitz die Elbe überquerte und damit auch die ehemalige innerdeutsche Grenze. In Dömitz selber versorgte ich mich im örtlichen Supermarkt und stellte dann fest, dass meine Planung auf der Voreinstellung Gravelbike beruhte.

Die war ok, aber mit dem Reiserad nicht wirklich angenehm. Und als der Track mich wieder über eine Wiese schicken wollte, machte ich Halt, plante um (neues Profil Fahrrad), fuhr zurück, über die Elbe und folgte dort dann den gut ausgebauten Radwegen.

Ich hatte schon befürchtet, dass es nun monoton entlang der großen Straßen gehen würde, aber ganz im Gegenteil: Der Radweg führte durch sehr schöne und ruhige Naturlandschaften, ab und zu kam ich auf den Elberadweg zurück, bevor ich hinter dem Ort Werben, bei Sandau, die Elbe überquerte und Richtung Havel fuhr.

Und auch hier überraschte mich die Wegführung, denn schnell war ich auf dem Havel Radweg und bin dann kreuz und quer Richtung Nauen gefahren. Kurz dahinter habe ich dann an der Havel einen Campingplatz gefunden, bei dem ich nach 240 km mein Zelt aufbaute. 

Was jetzt so locker leicht klingt, war aber sehr anstrengend. Nicht nur durch den Wind, sondern auch durch das nicht mehr auf meinen Körper ausgelegte Fahrrad. Meine kleinen Finger sind an beiden Händen taub geworden. Das kenne ich nur von den Ultra-Rennen. Und der Lenker in der aktuellen Ausrichtung und die Höhe des Vorbaus waren nicht sehr bequem, was zu Schulterschmerzen führte. Aber diese Tour war auch Training und damit war das völlig ok. Körperlich war ich jedenfalls nicht besonders geschafft. Und nach einer Dusche gab es dann auch Pizza und damit wieder genug Energie für den nächsten Tag.

Der sollte aber kurz werden, denn es waren nur noch 40 km bis nach Berlin, wo ich das Fahrrad übergeben habe. Aber die Route bis dahin war noch sehr schön, denn über Falkensee ging es auf Fahrradstrassen direkt nach Mitte, an der Siegessäule vorbei zum Brandenburger Tor, vorbei an meiner alten Arbeitsstätte im Bundestag zur Museumsinsel und dann von dort zum Kottbusser Tor und nach Neukölln zu meiner Schwester.

In jedem Fall war das eine würdige Abschiedstour, denn sie hat mir mal wieder gezeigt, wie fantastisch die Landschaften vor der eigenen Haustür sind und wie beeindruckend die Natur an der Elbe und Havel ist. Mit dem Fahrrad ist das ganz einfach zu bereisen und auch die Infrastruktur ist ausreichend, auch wenn sie entlang der Elbe manchmal dünn sein kann. Und macht unbedingt eine Fährüberfahrt. Das gehört einfach dazu und verändert noch mal den Blickwinkel auf die Elbauen.

Zudem ist diese Tour auch eine historische, denn immer wieder begegnet man den Überresten der innerdeutschen Teilung. Und neben alten Grenzanlagen findet man auch einige Lost Places entlang des Weges.

Daher war es auch für mich eine Zeitreise und so manche alte LPG und leerstehende Platten inmitten des Nichts erinnerten mich an meine Kindheit und Jugend in der DDR.

Aber dann fiel zum Glück die Mauer und ich konnte die Welt mit dem Fahrrad bereisen.

Mach es gut und benimm dich! Du bist jetzt in der Hauptstadt!

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4 Comments

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  1. says: Christian

    Sehr schön geschrieben. Die Stelle mit der Kindheit in der DDR und dem Glück des Mauerfalls habe ich genossen. Genau so ist es. Wir hatten und haben riesiges Glück. Danke dafür!

  2. says: Ingo

    Schöner Text und klingt nach einer tollen Tour. Ich drücke deinem Neffen die Daumen dass es nicht direkt geklaut wird in Berlin. Grüße