Timbuktu – Mit dem Fahrrad durch die Sahara
Eine westafrikanische Reise

Als ich im Februar 2000 in Tanger/Marokko starte, schreibt die „BILD“ Zeitung: “In der Sahara gibt es keine Esel ? Irrtum ! Zumindest einer wird sich in wenigen Tagen durch die glutheiße Wüste quälen. Ein Drahtesel allerdings.“
Über die Wüste mache ich mir jedoch erstmal keine Gedanken, denn ich stehe vor einer größeren Herausforderung: Zum ersten Mal fahre ich eine solche Tour alleine, ohne Stephan, mit dem ich in den vergangenen Jahren durch die Welt radelte.
Um mich in der ersten Zeit daran zu gewöhnen, verordne ich mir ein umfangreiches Kulturprogramm. Das soll mich zum einen vom Alleinsein ablenken und zum anderen davor bewahren, dass ich zu Rasen anfange. Aber die Berge Marokkos verhindern das Rasen und nach wenigen Tagen habe ich mir auch abgewöhnt mich nach dem imaginären Stephan umzudrehen.

In Marokko
Marokko ist für mich das ideale Land, um sich langsam Afrika zu nähern. Man befindet sich bereits in Nordafrika, aber Marokko ist eben eine Mischung aus Europa, Arabien und Afrika. Und diese Mischung erleichtert dem Reisenden den kulturellen Einstieg in den schwarzen Kontinent. Die ersten Tage führen mich nach Fes, eine der berühmten Königsstädte. Zu meinen interessantesten Erlebnissen gehört der Besuch der Medina von Fes. Mit der Durchschreitung eines der großen Altstadttore tauche ich in die Welt des Mittelalters ein. Hier drinnen herrscht ein unüberschaubares Gewirr von Gassen und Läden, Eseln und Händlern. Alle Lasten werden noch per Pferd oder Esel transportiert. Es riecht nach Gewürzen und im gleichen Moment nach Esel.

In den schummrigen, mit Stroh überdachten Gassen schlendere ich durch die verschiedenen Handwerkerviertel. Vorbei an der Zunft der Fleischer und einer Menge abgehackter Ziegenköpfe komme ich in das Färberviertel. Hier werden in riesigen, in den Boden eingelassenen Bottichen die frischen Häute gefärbt. Dabei stehen die Färber bis zu den Hüften in den Trögen und stampfen die Häute. Das ganze überlagert ein süß-säuerlicher Geruch, der einen Untrainierten schnell zum Ortswechsel veranlasst.

Weiter führt mich mein Weg durch das Viertel der Tischler hinüber zu den Topfmachern, Gold- und Kupferschmieden. Ständig wird man hier angesprochen: „Wollen Hotel ? Wollen Frau ? Wollen Hasch ? Ich will kein Hotel und keine Frau – Ich will jetzt erst mal raus aus der Stadt.

Das 400 km entfernte Marrakesch ist mein nächstes Ziel. Die Straße führt mich durch die phantastische Landschaft des mittleren Atlasgebirges. Doch hier lauert ständig Gefahr. Die kündigt sich durch zweimaliges Hupen an, was bedeutet, dass gleich ein Sattelschlepper mit 100 Sachen vier Zentimeter an mir vorbeidonnert.

Marrakesch bezaubert durch die riesigen und gut erhaltenen Stadtmauern, die in der untergehenden Sonne glutrot leuchten und sich so faszinierend von den schneebedeckten Bergen des Hohen Atlas abheben. Marrakesch ist die zweitälteste Stadt Marokkos und trägt den Beinamen „Perle des Südens“. Mir stellt sie sich aber zuerst als ziemlich dreckige Perle dar, denn durch die vielen Autos ist sie ziemlich Abgasverseucht. Das ist aber schnell vergessen, hat man die berühmte Koutoubia-Moschee aus dem Jahre 1137 mit ihrem 77 m hohen Minarett gesehen und einen Abend auf dem Jemaa-El-Fna-Platz erlebt. Übersetzt heißt der Platz „Versammlung der Toten“. Früher wurden hier die Köpfe Hingerichteter aufgestellt. In der heutigen Zeit strömen mit dem Einbruch der Dunkelheit zahllose Schaulustige auf den Platz und lassen sich von Gauklern, Musikern und Akrobaten verzaubern.
Mein Weg führt mich weiter in den Hohen Atlas. Nach 140 Km bergauffahren habe ich den 2100 m hohen Tizi-n-Test Paß erreicht. Ein fantastischer Ausblick. In endlosen Serpentinen stürzt sich dann die Straße hinunter auf 200 m Höhe, um wieder auf 2000m Höhe in den Anti-Atlas anzusteigen.

Die Landschaft ist atemberaubend schön, doch die Freude hält sich in Grenzen, denn mit dem Fahrrad ist das doch recht anstrengend.


Gefährlicher Weg nach Mauretanien
Ein paar Tage später sind die Berge verschwunden und die Wüste regiert. Ich bin in der Westsahara. Die Strasse führt entlang der Atlantikküste, ist aber recht eintönig. Abwechslung bringen hier nur die Polizeikontrollen.
Und dann bin ich am Ende Marokkos angekommen – Dakhla, die südlichste Stadt.
Von hier geht es nur noch im Militärkonvoi durch die Minenfelder nach Mauretanien. Ich werde von Belgiern im Auto mitgenommen. Es beginnt ein 400 km langes Abenteuer durch die Wüste. Der Konvoi besteht aus 65 Fahrzeugen. Die erste Nacht verbringen wir auf einem unwirtlichen, einsamen Platz mitten im Sperrgebiet. Danach beginnen die Sandpassagen und Pisten durch die Minenfelder. Ab jetzt sollte man nicht von der Piste abweichen. Viele sind schon durch eine Minenexplosion dort ums Leben gekommen. Das Problem ist nur, dass man ab und zu die Piste nicht erkennen kann. Angespannt und konzentriert durchqueren wir das kritische Gebiet. Es ist ein komisches Gefühl, denn man weiß nicht genau wo die Minen liegen. Glücklicherweise endet die Ungewissheit mit dem ersten mauretanischen Grenzposten. Von hier an begleitet uns ein Militärjeep und wenig später sind wir in Nouadibou, der ersten Stadt Mauretaniens angekommen.

Die nächste (hoffentlich) asphaltierte Straße ist 400 km entfernt. Um diese zu erreichen, fahre ich mit der längsten Eisenerzbahn der Welt 12 Stunden im offenen Waggon, von der Atlantikküste nach Osten in die Sahara. Wegen der verbeulten Schienen werden der Waggon und ich ständig hin- und hergeschleudert. Am Ende bin ich völlig eingestaubt und verbeult.

Eine erstaunlich gute Straße bringt mich dann trotz tagelangem Sandsturms und Temperaturen von 48°C nach Nouakchott, der Hauptstadt des Landes.

Hier beginnt die 1300 km lange „Straße der Hoffnung“ (Route d`Espoir), die direkt in die Sahara führt. Doch diese Straße ist ziemlich hoffnungslos, denn es fehlen plötzlich 250 Km Asphalt. So geht es nur noch auf Buschpisten weiter. Ein Jeepfahrer wäre begeistert, doch mit dem Fahrrad hält sich der Spaß in Grenzen, denn die Wasserversorgung und das tägliche Vorankommen sind dadurch schwer zu kalkulieren.



Haare schneiden im Sand
Doch nach zwei Wochen reise ich wohlbehalten nach Mali ein. Die farbenprächtigen Kleider der Menschen hier sind eine wahre Freude. Nur ihr Verhalten mir gegenüber ist manchmal etwas komisch. Es kommt vor, dass die Leute bei meinem Erscheinen im Dorf alles stehen und liegen lassen und schreiend davon rennen. Andererseits kommen auch gelegentlich Frauen mit ihrem Kindern und wollen, dass ich diese heile. Als Weißer muss ich das doch können……
In der Hauptstadt Bamako frische ich meine Vorräte auf, bevor es nach Timbuktu weiter geht. Über die Befahrbarkeit der Route nach Timbuktu gibt es keine oder nur widersprüchliche Informationen. Die anfänglich guten Asphaltstraßen verschlechtern sich zu Pisten und am Ende bleibe ich förmlich im Sand stecken.
So muß ich in dem kleinen Dorf namens Léré inmitten der Wüste sieben Tage warten, denn vor mir liegt ein 80 km großes Sandfeld, welches ich nur mit einem Auto sicher durchqueren kann. Aber in der nächsten Zeit fährt kein Auto, denn es ist gerade Tabaskifest. Drei Tage wird getanzt und der Mann muß pro Ehefrau ein Schaf schlachten. Ich helfe die Zeit über dem Dorffrisör Jonny aus Nigeria bei der Bewältigung des Festtagsansturmes. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht vom weißen Frisör, der dem halben Dorf die Haare schneidet.

Wenig später müssen wir sogar noch einen Gehilfen anstellen, um die Arbeit zu schaffen. Durch unsere plötzliche Prominenz werden wir von vielen Familien zum Essen eingeladen. Die Tage in diesem Dorf gehören zu den prägendsten und beeindruckendsten Erlebnissen dieser Reise. Eine Woche lebe ich als fremder Reisender, Mensch und Aushilfsfrisör integriert in die Dorfgemeinschaft und lerne so viel über das Leben in der malischen Wüste.

Einsames Timbuktu
Irgendwann bringt mich dann ein Auto durch das Sandfeld und nach weiteren 300 Km im Sattel bin ich endlich in Timbuktu.
Dieses Städtchen ist eine einsame Insel inmitten des Sandmeeres. Einst eine blühende Metropole, dämmert sie heute nur noch vor sich hin und lebt vom Mythos vergangener Tage.

Beeindruckend sind die prächtigen Bürgerhäuser der Stadt, die noch von der Zeit zeugen, als im Mittelalter die örtliche Universität an die 20.000 Studenten beherbergte und hier bereits Operationen am Auge durchgeführt wurden.
Hier in Timbuktu übernachte ich kostenlos beim Direktor des örtlichen Sozialministeriums, der kurioserweise in der „Rue de Chemnitz“ wohnt. Der Grund: Chemnitz ist die Partnerstadt von Timbuktu ! Sogar das Chemnitzer Amtsblatt liegt im dortigen Rathaus rum.

Mit einem Jeep will ich weiter in Richtung der großen Asphaltstraße Malis, doch leider verabschiedete sich die Maschine des Wagens inmitten des sandigen Nichts, so dass ich wieder auf das Fahrrad umsteige.
Nun quäle ich mich in Richtung Straße durch die unwirtlich heiße und sandige Landschaft. Man muß Quälen sagen, denn es gibt keine Straßen oder Pisten, auch Wege sind nicht immer da.

Meist folge ich Tierspuren und komme so von Brunnen zu Brunnen. Die allgegenwärtigen Dornen zerstechen meine Reifen. Teilweise komme ich nur 30 km am Tag voran. Meist schiebe ich, denn in den kilometerlangen Sanddünen bleibt das Rad stecken. Nach zwei Tagen habe ich keine Schlauchflicken mehr, dafür aber Fieber und Durchfall.

Endlich an der Asphaltstraße angekommen, fahre ich in das am Nigerfluß gelegene Mopti, dem Venedig Malis. Hier erhole ich mich in einer malischen Familie von den Strapazen der Wüste.

Das Ende in Bamako
Einige Tage später bin auf dem Weg nach Djenne zu der berühmten Moschee. Ein wirklich großes Kunstwerk aus Lehm.

Aber so richtig toll finde ich sie nicht, habe ich doch in den Dörfern zuvor kleinere, aber schönere Lehmmoscheen gesehen. Vielleicht liegt es aber auch an der Krankheit, die wieder ausgebrochen ist. Ich habe Kopfschmerzen und Schwindelanfälle, Durchfall und bin kraftlos. Seit Tagen kann ich schon nichts essen. Als ich nun so vormichhin leidend am Straßenrand sitze und auf das Ende warte, kommt ein Auto der „Ärzte ohne Grenzen“ und der Doktor, der eigentlich TBC Fälle bei Kindern kurieren soll, befasst sich mit mir. Seine Diagnose lautet: „Irgendetwas afrikanisches und eine Grippe.“
Entgegen seiner Prognose schaffe ich noch die 600 km bis nach Bamako, wo ich nach 63 Tagen und 4700 Km die Reise beende und das Flugzeug nach Hause besteige.
Es war keine Radtour im klassischen Sinne. Eher eine Reise mit dem Fahrrad durch Westafrika. Aber auf jeden Fall ein großes Abenteuer.


