Um es gleich mal vorwegzusagen: Das Trans Balkan Race ist ein echtes Brett und man kann es nicht genug überschätzen. Bea und Luca haben hier einen Track durch den Balkan gebaut, der seinesgleichen sucht: sehr anspruchsvolle Trails und Pisten, abgelegene Landschaften mit langen Abschnitten ohne Verpflegung und einem Wetter/Klima, das immer wieder den Schwierigkeitsgrad erhöht.
Oder wie Brian es so schön sagte:
“Es war sicherlich das intensivste Rennen, das ich je gemacht habe. Danke für dieses Meisterwerk des Ultraradsports.”
Und er ist es nun zweimal schon gefahren und war sich nach dem Rennen sicher: das Ding ist herausfordernder als das Silk Road Mountain Race, dass Brian im gleichen Jahr wie Tobias und ich gefinished hat.
420 Kilometer bin ich das Rennen gefahren, bis zum Check Point 1. Dann habe ich leider gescratched und aus der Not eine Tugend gemacht und dass Trans Balkan Race kurzerhand in eine Trans Balkan Tour umgewandelt.
Aber der Reihe nach…
Trans Balkan: Das Rennen
Ich muss sagen, dass ich das Trans Balkan Race falsch eingeschätzt habe. Andererseits aber auch nicht, denn in diesem Jahr wurde die Route nochmals geändert und härter gemacht. Meine Planung und Einschätzung basierten auf den Angaben von Brian aus dem letzten Jahr und den Informationen, die ich sonst noch so im Netz finden konnte. Brian ist im letzten Jahr um die 200-220km am Tag gefahren – ich habe daraufhin 180 km als gute Planungsgrundlage für mich angenommen.
Das der Track aber herausfordernder sein wird, als vermutlich alles, was ich bis dahin erlebt habe, war mir schon klar. Auch wenn man das theoretisch weiß, ist es dann noch mal anders, wenn man es fährt.
Hinzu kam das Wetter, das für den Start und die ersten Tage nicht gut aussah: Gewitter und Starkregen waren vorhergesagt. Und das Wetter hat geliefert!
Bei leichtem Regen reihten wir uns zum Start auf. Ich war voller Vorfreude und optimistisch. Pünktlich zum Start begann dann der Starkregen, der nach einer Stunde aber nachließ. Die Sonne kam raus und es wurde warm. Also anhalten und die Regenklamotten ausziehen und wegpacken. “Jetzt weiß ich, warum das Bikepacking heißt”, sagte einer der Fahrer dazu.
Es ging die ersten Kilometer von Slowenien nach Italien und wieder zurück und dann nach Kroatien. Ich habe das gar nicht mitbekommen, denn bei mir ließ plötzlich die Kraft nach und ich wurde immer langsamer. Konnte ich mich zu Anfang noch gut im vorderen Feld platzieren, wurde ich dann einfach durchgereicht. Ich hatte keine Power mehr und mein Puls ging hoch. Am Ende habe ich kaum noch Kraft aufs Pedal gebracht und stand kurz vor dem Shut-Down.
Glücklicherweise kam eine Quelle, an der ich dann einem Instinkt folgend sehr viel getrunken habe und Elotrans, Elektrolyte und ein Gel zu mir nahm. Ich war einfach dehydriert, hatte vergessen zu trinken, was am Regen lag und dann durch die Sonne beschleunigt wurde.
Natürlich war der Körper dadurch erschöpft und das sollte sich auch noch in den kommenden Tagen rächen. Der Motor lief aber wieder an und später ging es mir schon wesentlich besser. Ich fuhr wieder etwas nach vorne und konnte meinen Rhythmus finden.
Und mit der steigenden Leistung meinerseits, kam auch der Regen wieder. Und zwar nicht einfach so, sondern in Form von schweren Gewittern und Starkregen. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Es regnete so stark, dass ich teilweise nichts sehen konnte. Die ohnehin schwierigen Wege wurden zu reißenden Bächen, in denen man bergauf fuhr. Hinzu kamen die Blitze, die rechts und links einschlugen. Ich versuchte daher immer nah am Rand zu fahren, um etwas Schutz durch die Bäume zu bekommen.
Ein Blick auf die Durchschnittsgeschwindigkeit reichte, um zu erkennen, dass es mit 200 km oder auch nur 180 km heute nichts werden würde. Also reduzierte ich mich auf die 150 km am Tag, die ich in jedem Fall fahren müsste, um pünktlich anzukommen. Also strampelte ich weiter durch den Regen und erreichte gegen 20.30 Uhr dann den nächsten Resupply, der sich als Hotel herausstellte. Wunderbar, also beschloss ich die Nacht hier zu verbringen und mich und meine Sachen zu trocknen.
Und als ich dann ins Restaurant was essen ging, da saßen sie alle, die ich dachte erst wieder im Ziel zu sehen. Also war ich doch nicht so schlecht, wie ich annahm, sondern nur etwas langsamer.
Der nächste Tag sollte vom Wetter her besser werden. Endlich mal Sonne, aber die Trails waren nach wie vor nass und von großen Pfützen, die fast kleine Seen waren, durchzogen. Das erschwerte das Fahren, aber es war immer noch besser als Dauerregen. Ich gewöhnte mich langsam an die Belastung und kletterte in meinem Tempo die ganzen Berge hoch. Die Steigungen waren meist lang, manchmal bis zu 8 km oder mehr. Leider verlief der bisherige Track ausschließlich im Wald. Ich war mittlerweile in Kroatien, aber viel außer Bäumen habe ich nicht gesehen. Immer wieder lange und steile Tracks und viele Bäume. Nachdem es am ersten Tag nur für 150 km gereicht hatte, wollte ich am zweiten Tag dann die 180 km machen, auch um zu sehen, was geht. Als ich dann abends bei bestem Wetter in Gospić einrollte, hatte ich auch mein Tagesziel erreicht und war wieder zufrieden mit mir.
Wichtig war für mich auch die Ernährung, die mir beim Bohemian Border Bash nicht so gut gelungen ist. Durch die Belastung verweigert mein Körper die Nahrungsaufnahme. Das wollte ich diesmal verhindern und darauf achten und mich zwingen, zu essen. Denn ohne Kalorien funktioniert es nicht. Ich beneide die Teilnehmenden, die einfach essen können, die Hunger haben und dann auch was runter bekommen. Ich hatte schon am ersten Abend gemerkt, dass ich wieder Mühe hatte, das Abendessen runterzubekommen und ausreichende Mengen zu mir zu nehmen.
Allerdings habe ich diesmal einen guten Weg gefunden, das zu kompensieren. Das Zauberwort heißt “Quetschies”. Diese kleinen Portionen an Obstbrei Babynahrung gibt es dort überall und ich hatte mir schon viele Packungen aus Deutschland mitgebracht. Sie sind für mich gut bekömmlich, ich kann sie immer zu mir nehmen und sie liefern Energie. Das in Kombination mit Gels, war eine gute Grundlage. Und bei jeder Gelegenheit versuchte ich dann Pasta zu bekommen, da ich diese besser essen konnte. Zumindest ich habe sie schneller runterbekommen, auch wenn der Körper es abgelehnt hat.
Was leider gar nicht ging, waren Energieriegel oder Schokoriegel. Die konnte ich selbst bei größtem Hunger nicht essen. Das hat mir mein Körper sehr deutlich gezeigt. Im Kern habe ich also ein Ernährungsproblem, das ich noch nicht in den Griff bekommen habe. Aber mit den Kalorien-Ersatzprodukten und etwas weniger Druck auf dem Rad, passt es.
Der nächste Tag begann mit Sonne und auch mal einer offeneren Landschaft. Den Velebit Nationalpark mit seinen dichten Wäldern hatten wir also hinter uns gebracht und heute sollte der erste Check Point erreicht werden. “Nur” 108 km waren es bis dahin. Ein ordentliches Stück Arbeit, aber wenn alles funktioniert, gibt es am Check Point nur eine kurze Pause und dann geht es weiter über die Berge nach Knin. Mein Plan war, diese Stadt gegen 23 Uhr zu erreichen. Doch ich hatte die Rechnung ohne das Wetter gemacht.
Gegen Mittag fing es an zu regnen und mein Instinkt täuschte mich nicht, dass das jetzt wieder eine längere Sache werden würde. So hatte ich dann auch schnell alle Regensachen wieder angezogen und hinein ging es in den Starkregen und die Gewitter. Was für eine Plackerei, denn der Regen machte die Piste zum Schlammloch, unterspülte die Steine und den Kies, was die Abfahrten recht riskant machte. Diese waren in diesem Abschnitt ohnehin anspruchsvoll, was einige Teilnehmer durch Stürze zu spüren bekamen.
20 km vor Check Point 1 ging es eigentlich bergab, aber die Piste war ein unterspülter Double-Track Schlammpfad, der immer wieder durch breite Querfurchen unterbrochen war. An ein Fahren war nicht zu denken, es war eher ein halbwegs kontrolliertes Rutschen. Ich merkte, wie die Bremsen aufgegessen wurden und eierte den Hang hinab. Dann wurde aus dem Schlammpfad eine Art Flussbett, das vorher mal eine Schotterpiste war, durch den Regen aber unterspült wurde. Auch hier war es nicht ungefährlich, denn das Wasser hatte Schotterinseln und tiefe Furchen geschaffen. Es war sehr anstrengend hier herunterzufahren. Auch weil ich seit dem Vortag starke Probleme mit meiner rechten Hand, dem linken Arm und meinem Oberkörper hatte.
Es war wie keine Muskeln mehr zu haben. Ich musste meinen Oberkörper mit den Armen am Lenker abstützen, um nicht einfach nach vorne auf den Lenker zu fallen. Das führte dazu, dass der linke Arm immer wieder anfing zu zittern, sodass ich ihn hochnehmen musste. Er hatte einfach keine Kraft mehr und konnte der Belastung bergauf und bergab nicht lange standhalten.
Die rechte Hand musste daher die Hauptarbeit leisten, was in einer Lähmung des Nervs resultierte, der für den kleinen und den Ringfinger zuständig ist. Diese waren taub und ich hatte keine Kraft mehr in der Hand. Zudem war mein Daumen taub, was aber egal war, da er nur schalten musste. Im Kern war der Zeigefinder noch der Finger, der intakt war. Damit habe ich dann gebremst und gelenkt.
Und so lädiert und nass und verschlammt kam ich im Dauerregen in Check Point 1 an. Das war ein Ferienhaus, in dem sich nun die Fahrer sammelten. Ein Kamin verbreitete wohlige Wärme und man bekam gleich erstmal Pasta und Tee. Seine Sachen konnte man am Ofen trocknen und auch eine Dusche nehmen.
Ich überlegte, was ich angesichts der nicht funktionierenden Hand und des problematischen Arms eigentlich machen soll. Mir gegenüber saß Niklas, der weiter oben gestützt war und sich das Gesicht und das Knie lädiert hatte. Er war notdürftig im Gesicht versorgt und sah abenteuerlich aus, mit seinen Pflastern und Wunden.
Mein Plan war es, nach einer kurzen Pause den Check Point wieder zu verlassen, aber der Regen war so stark und die Finger so unbrauchbar, dass ich beschloss, erstmal da zu bleiben und am nächsten Morgen zu entscheiden, wie es weitergeht.
Die Pause tat gut und neben der Tatsache, dass ich nicht sicher mit dem Fahrrad unterwegs sein konnte, merkte ich auch, dass meine Motivation, das Race um jeden Preis zu finishen, nicht da war. Diese Motivation ist Voraussetzung für einen erfolgreichen Abschluss, denn sie sorgt dafür, dass man nicht hinterfragt, was man eigentlich hier macht. Sobald man das macht, kann man eigentlich einpacken, denn es zeigt, dass man nicht bereit ist, alles dem irrationalen Ziel unterzuordnen.
Und das fehlte bei mir. Ich muss auch sagen, dass es mir in diesem Jahr schwerfiel, ins Rennen zu finden. Es war körperlich für mich anstrengender als sonst. Ob es an zu wenig oder falschem Training lag (oder an zu viel Training), am neuen Fahrrad und der zu optimierende Geometrie, der Dehydrierung am ersten Tag oder schlicht und ergreifend auch am Alter, weiß ich nicht. Oder es ist einfach nur eine individuelle Wahrnehmung aus einer fehlenden Motivation heraus, und muss nicht stimmen. Jedenfalls war ich überrascht, dass ich nicht den Druck aufbauen und die Leistung zeigen konnte, den ich noch im Vorjahr in Böhmen zeigen konnte.
Aber solche Rennen haben viel mit Vorbereitung, körperlicher und mentaler Stärke, Motivation und auch Glück zu tun und das alles perfekt zusammenkommt. Und das war im Balkan bei mir nicht der Fall.
Ich habe sehr viel darüber nachgedacht und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass es für mich gerade nicht mehr passt, an Races teilzunehmen. Abgesehen von der Verletzung, fehlte es mir an dem inneren Push, weiterzumachen. Ich kenne das auch von anderen Teilnehmenden solcher Rennen, dass irgendwann die Müdigkeit eintritt, die Motivation fehlt, der Sinn nicht mehr nachvollziehbar ist. Dann sollte man eine Pause machen und sich befragen, was man den machen möchte. Und ich möchte erstmal keine Rennen mehr machen.
Viel eher möchte ich mit dem Fahrrad unterwegs sein und Land und Leute entdecken und erleben, anstatt von A nach B zu rasen und dabei absurden Tracks zu folgen. Also mehr Event und weniger Wettbewerb, mehr Erlebnis und keine Platzierung als Ergebnis. Vielleicht kommt das mit den Rennen wieder – ausschließen möchte ich es nicht. Ich muss aber erstmal bei mir checken, ob die Leistungs- und Leidensfähigkeit noch da sind und wieder aktiviert werden können. Dazu muss ich aber meine innere Hartnäckigkeit, Ausdauer und den Leistungswillen wiederfinden.
Trans Balkan: Die Tour
Und so wachte ich am nächsten Morgen auf, weckte meine taube und kraftlose Hand und traf die Entscheidung nicht mehr weiterzufahren.
Auch Niklas hatte angesichts seiner Verletzungen gescratched und wir beschlossen aus dem Trans Balkan Race eine Trans Balkan Tour zu machen. Spontan schloss sich auch Max an und so brachen wir zu dritt auf, um erstmal zum Krankenhaus im nächsten Ort zu fahren, da die Kopfwunde bei Niklas noch mal durch einen Arzt begutachtet werden sollte.
Am Ende gab es dort zwar keinen Arzt, aber eine hilfsbereite Krankenschwester und ein Restaurant, in dem wir es uns gemütlich machten und den Regen sowie die Gewitter abwarteten, die seit den Morgenstunden wieder ihr Spiel spielten. Die Tür ging auf und herein spazierte Justus, der ebenfalls das Rennen abbrechen musste. Und der fünfte im Bunde war dann Pascal, der bereits in Gospić aufhören musste und sich uns nun anschloss.
Der Regen hörte nicht auf und Besserung war erst für den Abend vorhergesagt. Also beschlossen wir uns auf den Weg nach Knin zu machen, dass um die 60 km entfernt lag. Aufgrund des Wetters folgten wir einfach der Schnellstraße, die aber nicht stark befahren war. Dafür wurden wir ordentlich nass und es war kalt. In Knin erwartete uns dann aber Sonne, ein fragwürdiges Motel und ein gutes Essen.
Der nächste Tag war dann der offizielle Beginn unserer Trans Balkan Tour. Auf Komoot hatten wir uns eine Strecke ans Meer nach Makarska geplant. Wir hatten einfach Lust aufs Wasser, was angesichts der zunehmenden Hitze die beste Entscheidung war. Und auch der Weg dahin war wunderbar: auf abgelegenen Schotterpisten fuhren wir erst hoch in den Dinara Nationalpark, folgten den einsamen Ufern des Perućko Jezero Stausees, sahen Martin zu, wie er im Peanut Butter Schlamm sich hinlegte, bevor wir quer durch das Land nach Trilj und dann runter am Park Prirode Biokovo vorbei das Meer erreichten.
Das war eine Strecke und Tour ganz nach unserem Geschmack. Wir genossen das gute Wetter, die angenehmen Wege und Straßen, das Panorama auf die mächtigen Berge Kroatiens, machten Pausen und waren auch irgendwie froh, dass wir jetzt nicht unsere Bikes über Trails steile Wege hinauf pushen mussten.
Aber natürlich war da dann gleichzeitig der bittere Beigeschmack nicht mehr im Rennen zu sein und es auch nicht mehr versuchen zu können. Wenn man einmal Blut geleckt hat, ist es schwer davon loszukommen.
Und dann das Meer: natürlich wurde es sehr touristisch und Makarska ist einer der prominenteren Küstenorte Kroatiens. Die Strände sind einfach schön, das Wasser klar, die Landschaft idyllisch. Nach einer wilden Abfahrt fielen wir dann direkt an den Strand. Und hier stießen wir dann auf die Tour und das Rennen an.
Am Abend suchten wir uns eine Pizzeria am Strand, aßen dort und mit der einbrechenden Dunkelheit verkrümelten wir uns an den Strand, wo wir unsere Matten ausrollten und bei Meeresrauschen einschliefen. Wunderbar!
Meiner Hand ging es aber immer noch nicht gut, aber zumindest war das Fahren ohne Druck schon mal nicht verkehrt. Ich bekam aber immer mehr die Einschränkungen mit, die das mit sich brachte: ich konnte ein Messer beim Essen nicht benutzen, Schlüssel in Schlössern umdrehen, Reißverschlüsse schließen und Rollverschlüsse oder überhaupt etwas halbwegs Schweres halten. Und viel relevanter: einen möglichen Platten hätte ich nicht reparieren können mit der Hand, die Luftpumpe bedienen auch nicht wirklich. Die Entscheidung war also auch rückblickend die richtige.
Am nächsten Morgen schleppten wir uns 2 km in ein Café, wo wir unseren Tag planten. Ziel war es, Raphael in Dubrovnik abzuholen. Er hatte sich eine Verletzung aus Deutschland mitgebracht und musste das Rennen schon nach dem ersten Tag abbrechen und sich in ärztliche Behandlung begeben. Nun war er in Dubrovnik und wartete auf uns.
Wir hatten mittlerweile gemeinsam keine Lust, auf der stark befahrenen Küstenstraße die knapp 80 km in diese historische Stadt zu kurbeln. Kurzerhand klärten wir am Busbahnhof, dass uns der nächste Bus mit nach Dubrovnik nehmen würde. 5 Personen mit 5 Rädern – und es hat dennoch funktioniert.
So kamen wir dann gegen Mittag bei 35 Grad an, wanderten mit hunderten Touristen durch die durchaus schöne Altstadt zum Hafen, wo wir Raphael trafen, der dort mit einem alten Mann in Bettlergewand saß und sich als der “Hohe Spatz” vorstellte.
Er war sehr freundlich und lud uns in sein ehrlicherweise übertrieben großes Haus mit dem Namen “Septe von Baelor” auf ein Eis ein. Uns war das aber unheimlich und schnell schlichen wir uns wieder aus der Stadt.
Nun mit Raphael zu sechst unterwegs, kletterten wir die steile Straße hinauf zur Hauptstraße, der wir dann nur wenige Kilometer bis nach Kupari folgten. Hier befindet sich ein besonderer Ort: zu Titos Zeiten entstand hier ein Urlaubsressort mit vielen prachtvollen Hotels. Diese wurden dann durch serbisch-montenegrinische Truppen im Jugoslawienkrieg komplett zerstört und die Hotels ausgebombt, beschossen, verbrannt und ausgeraubt.
Heute ist dieser Ort ein Lost Place mit Traumstrand und ein Eldorado für Liebhaber solcher Endzeit-Anlagen. Die Ruinen der Hotels stehen noch und können besichtigt werden. Sicherlich auf eigene Gefahr hin, denn hier wird keinerlei Bestandspflege betrieben. Im Zentrum befindet sich ein klassizistisch anmutender Gebäudekomplex, das einstige Grand Hotel aus dem Jahr 1919, dessen Pracht man heute noch erahnen kann.
Wir wanderten durch die Ruinen und legten uns dann unterhalb des zerbombten Hotel Pelegrin an den Strand, genossen die untergehende Sonne, nahmen noch ein Bad und schliefen dann wieder unter freiem Himmel.
So gefiel mir das und es war beinahe schon schade, dass wir am nächsten Morgen auf die letzten Kilometer nach Risan aufbrachen, dem Zielort des Trans Balkan Race. Um die Hauptstraße zu vermeiden, planten wir nur wenige Kilometer auf dieser zu fahren und dann gleich auf Nebenstraßen abzubiegen. 9 km mussten wir aber noch auf der starkbefahrenen Küstenstraße radeln, wo ich auch gleich bergauf angefahren und am Lenker touchiert wurde. Die Autofahrer in diesem Land sind milde gesagt rücksichtslos gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, was es wirklich lebensgefährlich macht, hier auf den Hauptverkehrsadern mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Das kann ich jeder und jedem nur abraten.
So waren wir schon sehr bedient, als wir nach 10 km dann erstmal auf einen Kaffee Pause machten. Dann ging es aber auf eher wenig befahrenen Nebenstraßen Richtung Grenze nach Montenegro und anschließend durch post-sowjetisch anmutende Küstenorte nach Risan, ein kleines Städtchen in der Bucht von Kotor.
Die Ankunft im Ziel war wieder bitter-süß, denn auch wenn ich so gar keine Lust aufs Radfahren hatte und die Hand nach wie vor außer Betrieb war, blieb der Zweifel, ob ich es doch hätte, weiter versuchen sollen. So aber bezog ich ein sehr schönes Apartment direkt neben dem Ziel und drückte Markus, Maren und Brian die Daumen, dass sie es ins Ziel schaffen. Das taten sie auch: Herzlichen Glückwunsch noch mal! Eine fantastische Leistung bei diesen – aus meiner Sicht – härtesten Bikepacking Rennen, das Europa gerade zu bieten hat.
Trans Balkan: Materialcheck
Das Trans Balkan Abenteuer war in jedem Fall auch wieder eine Prüfung von Ausrüstung und Material.
Im Starkregen haben sich aber meine Regensachen sehr bewährt. Ich war beeindruckt von meiner Gore ShakeDry C5 Jacke, die wirklich dichtgehalten hat und ich so nur etwas schweißnass war. Sehr beachtlich. Ebenso meine Gore Packlite Regenhose, die ebenfalls dichtgehalten hat und zudem auch warm, wenn es nötig war. Sie wurde sehr in Mitleidenschaft gezogen, denn der ganze Schlamm und das Wasser forderten sie mehr als sonst heraus. Zudem trocknet sie – ebenso wie die Jacke – sehr schnell.
Außerdem hatte ich wieder Gamaschen dabei. Die Vaude Bike Gater waren schon älter, hielten aber dicht, auch wenn ich sie dann wegschmeißen musste, da sie unter den Schuhen zerrissen waren. Das ist aber normal, da man ja auch damit im Gelände läuft. Besonders gut haben diesmal auch die wasserdichten Socken von AGU funktioniert. Mit den Sealskins war ich in Kirgisistan nicht so zufrieden, aber diesmal hat das Prinzip ganz gut funktioniert.
So ein Wetter mit stundenlangem Starkregen ist eine prima Möglichkeit zu sehen, welche Taschen tatsächlich dicht sind. Leider war mein Revelate Designs Stratex Packsack nicht mehr dicht. Er hatte im Boden Löcher, die ich dachte, eigentlich geflickt zu haben. Und über den Rollverschluss drang auch Wasser ein. Das war von daher suboptimal, da hier meine Schlafsachen waren, die dann nach dem ersten Tag alle nass wurden. Ich habe sie dann in Plastiktüten verpackt, aber der Packsack fliegt jetzt weg. Schade, denn er kostete 100 Euro und dafür sollte er länger halten. Scheinbar waren Silk Road Mountain Race und Böhmen und die ganzen anderen Einsätze dann zu viel.
Und auch die Rahmentasche von 7Roads konnte dem Wasser nicht Stand halten. Das war aber auch nicht verwunderlich, denn sie ist durch die Reißverschlüsse nur wasserabweisend. Daher wurde es feucht im Inneren, aber ich hatte hier ohnehin alles in Tüten verpackt. Beim nächsten Mal, wenn es so nass werden sollte, werde ich entweder auf Tailfin oder Ortlieb setzen. Diese Taschen haben sich im Fahrerfeld, neben Apidura und Restrap (Lenkerrollen und Saddlebags – also alles ohne Reißverschlüsse), als wasserdicht erwiesen. Und das will schon was heißen, bei diesen Bedingungen.
Meine Restrap Adventure Race Satteltasche war ebenfalls dicht, allerdings ist diese Tasche nicht wirklich für den Einsatz im Gelände gedacht. Sie ließ sich nicht immer richtig festzurren und lockerte sich während der Fahrt. Ich hatte mich geärgert, denn eigentlich wollte ich meine Revelate Designs Terrapin 8L Harness Tasche den Vorzug geben, die definitiv dicht und auch fest gewesen wäre.
Bei meinem Fahrrad gab es keine Defekte oder etwas zu bemängeln. Ich hatte nach 20 km vorne einen Nagel im Reifen, aber das Loch wurde schnell von der Dichtmilch verschlossen. Ich musste nicht mal nachpumpen. Allerdings haben sich im ganzen Schlamm und Peanut Butter Matsch die Mezcal recht schnell zugesetzt und es wurde rutschig. Bei solchen Bedingungen kommen sie dann doch an ihre Grenzen.
Trans Balkan: Fazit
Mit dieser Tour habe ich drei neuen Länder auf dem Fahrrad kennen gelernt. Damit habe ich nun 55 Länder so bereist. Soweit zur Statistik.
In jedem Fall habe ich bei diesem Race und dieser Tour wieder einiges gelernt und er stellt auch eine Art Zäsur für mich dar. Wie oben beschrieben, werde ich mich wieder verändern, das Thema Bikepacking Races noch mal anders betrachten, neu einwerten und mich auch wieder mehr auf das Touren fokussieren.
Gleichzeitig werde ich aber versuchen, meine körperliche Fitness neu aufzubauen und weiter so zu arbeiten, als ob ich Races fahren würde. Ich habe mich mittlerweile so sehr daran gewöhnt und es ist Teil meines Alltags und Wohlbefindens geworden. Und vielleicht schaffe ich es ja doch noch mal, das Potenzial voll abzurufen. Aber erstmal muss meine Hand gesund werden und die Feinmotorik wieder voll da sein.
Das Trans Balkan Race kann ich jeder und jedem empfehlen, der oder die eine besondere Herausforderung im Herzen Europas sucht. Das Rennen ist hammerhart und sehr anspruchsvoll.
Hallo Martin,
vielen Dank für deinen offenen und ehrlichen Bericht zum Rennen.
Vielleicht kannst du dich noch erinnern: Ihr wart zu fünft im Regen unterwegs und hattet den “Schalter” schon auf Tour umgestellt. Da haben wir uns kurz vor Knin an einem Unterstand getroffen.
Wir haben unsere “lange” Tour von Patras, Griechenland, zurück nach Hause (München, Deutschland) bis Mitte Juni beendet und haben dabei gerade in Slowenien und über die Alpen noch den ein oder anderen Regenschauer mitgenommen. Unseren Reisebericht kannst du auf unserem Blog nachlesen:
https://blog.maiwolf.de/transbalkan/
Dort findest du auch einige Fotos von Strecken, die du (in entgegengesetzter Richtung) im Rennen gefahren bist. Wir waren im Bikepacking Stil unterwegs und konnten die Landschaft in unserem Tempo erleben (und so manchen Regenschauer einfach aussitzen). Für uns war der ganze Balkan eine sehr erlebnisreiche Tour durch teils noch sehr wilde Landschaften.
Übrigens fanden wir die Autofahrer in Kroatien auch am Schlimmsten. Einmal haben wir es sogar erlebt, dass ein verrückter Fahrer uns “zum Spaß” frontal entgegenkam und im letzten Moment abgedreht hat!
Liebe Grüße
Bernard & Ingrid
Hallo Bernard, hallo Ingrid,
das ist ja klasse! Ja, ich kann mich gut an unser Treffen erinnern 🙂 Dieser Regen! Aber es wurde dann ja noch schön und sehr heiß!
Ich schaue gleich mal in euren Blogpost!
Viele Grüße,
martin
Hallo Martin,
vielen Dank:
– für den offenen Bericht,
– die Einsichten in Deine mentale Stimmung,
– und auch die vielen anderen Berichte und Podcast!
Ich wünsche Dir gute Besserung und weiterhin viel Neugier bei dem Entdecken Deiner neuen und/oder alten Ziele.
Viele Grüße,
Jan
Kurze Frage zur Gore ShakeDry C5 Jacke: Ich kann mich nicht mehr richtig erinnern, ob du einen Rucksack dabei hattest. Falls ja, war das ein Problem? Habe irgendwo mal gelesen, dass die Jacke das nicht so gut verträgt. Nach meiner Erfahrung vom TBR bin ich im Moment auf der Suche nach einer besseren Jacke. Meine Regenjacke von dhb war nach einer Stunde durch.
Liebe Grüße!
Hallo Burkhard,
Ich hatte einen Trinkrucksack dabei und die Jacke darüber.
Viele Grüße
Martin
Dein Erfahrung mit den rücksichtslosen Autofahrern in Kroatien kann ich leider nur bestätigen. Aus der Erfahrung von diversen (Mountain-)Bikepackingtouren in Spanien, Italien, Israel und Kroatien nimmt Kroatien aus dieser Auswahl den letzten Platz ein.
Hallo Martin,
ich habe schon bei Insta und der Race-Map mit dir gelitten und mich gefreut, dass du trotz des verletzungsbedingten Abbruches eine tolle Tour daraus machen konntest. Umso mehr habe ich mich auch über deinen jetzigen Bericht gefreut. Ich hoffe der Hand geht es mittlerweile wieder besser.
Ich freue mich auf deine nächsten Abenteuer.
Schöne Grüße vom letzten Zipfel des Kreises PI.
Björn
Hallo Martin,
es tut mir leid, dass die erste Ausfahrt mit deinem liebevoll aufgebauten und sehr durchdachten Hardtail so enden musste. Wer wie wir gern Rad fährt, der weiß nur zu genau, wie extremes Wetter, Reibung und Druck Hände und Körper belasten.
Danke aber für deine Ehrlichkeit über das Scheitern. Das ist authentisch und macht dich nur umso sympathischer. Und wir alle lernen somit gemeinsam dazu.
Die Rennen haben etwas. Ich verfolge sie sehr gern, bin mir aber bewußt wie ungesund sie sind. Eine Mischung aus Bikepacking und ordentlich “Strecke machen” ist hier sicherlich der spannendste Kompromiss.
Viele Grüße von Alexander
Gratuliere Dir (trotzdem) zu Deiner Leistung, insbesondere zur Erkenntnis, dass Bikepacking ohne Wettkampf viel, viel schöner ist! Die Entwicklung der Ultra-Races finde ich persönlich sehr bedenklich – immer schneller ohne Pause – das kann nicht gesund sein!
Bikepacking auf eigene Faust ist das Schönste, was man als passionierter Radler erleben darf
Auf bikepacking.com finden alle traumhafte Touren für Geniesser oder ambitionierte Fahrer – es muss nicht ein Rennen sein!
Gute Erholung wünsche ich Dir!
Sportliche Grüsse aus der
Philippe
Hallo Philippe,
Also zu der Erkenntnis bin ich nicht gekommen. Ganz im Gegenteil. Schön ist für mich beides. Und ich finde beides sehr reizvoll. Ich brauch nur mal eine Pause. Das ist alles.
Martin
Hallo Martin,
Da muss ich Philippe Recht geben, und es ist wahr ein Rennen ist auch reizvoll. Aber reizvoller ist, doch mehr von Natur und Mensch zu erleben, die man “erradelt” und am Besten im Team!