Wer sich für Bikepacking, aber auch Radtouren in heimischen Gefilden auf unbekannten Wegen interessiert, der ist in den letzten Monaten nicht um den Orbit360 Gravel Event herumgekommen.
Das ist eine Serie von 16 Gravel-Routen – eine pro Bundesland – die zum Racen oder auch gemütlichen Bikepacken einladen. Gravel ist hier aber nicht im hippen Sinne gemeint, sondern umfasst Wald und Asphalt, Trails & Hike-a-Bike. Ein Orbit360 ist somit immer auch eine Wundertüte und in jedem Fall fordernd und ein Abenteuer.
Wie so viele habe auch ich mich aufs Rad geschwungen und bin insgesamt drei Orbits gefahren:
- Aus Neugier bin ich noch vor dem offiziellen Race-Zeitraum den Hamburger Orbit gefahren.
- Als Race folgte dann der Orbit Schleswig-Holstein. Auch den Thüringer Orbit wollte ich im Race fahren, musste aber krankheitsbedingt nach 25km aufhören.
- Und zum Schluss, nach Ende des Race-Zeitraums und im schönsten Spätsommer, bin ich den Orbit Niedersachsen im Bikepacking-Modus gefahren.
Orbit360 Hamburg
Der Grund?
Neugierde. Natürlich musste ich auch den Orbit vor meiner Haustür fahren: nicht mal 4km entfernt führt der Track des Hamburger Orbits vorbei. Zudem wurde der Hamburger Track auch mit als erstes veröffentlicht, weshalb ich schon Ende Juni diese Tour für ein erstes Kennenlernen der Orbits ausgewählt hatte.
Gescoutet wurde der Hamburger, als auch der Schleswig-Holsteiner Orbit von Christian, den ich in Marokko beim Atlas Mountain Race kennengelernt hatte. Hamburg war für mich auch ein Test, was ich eigentlich von so einem Orbit zu erwarten hatte. Wie sind die Streckenführung, die Art des Untergrundes und die eingebauten Schwierigkeiten? Und ich wollte sehen, ob ich die 215km gut bewältigen kann.
Wie war die Strecke?
Das Besondere am Hamburger Track war die Fährpassage über die Elbe, die man – fährt man auf Zeit – umgehen sollte. Der Track ist daher auch so geplant, dass er direkt an der Fähre startet und auf der anderen Elbseite an der Fähre endet.
Der Track führte viel durch das Stadtgebiet, durch einige Park- und Kleingartenanlagen und man musste immer auch große Straßen queren.
Vom Untergrund her, war es viel normaler Gravel, angenehme Waldwege und Straßen. Später folgten dann auch Sandpassagen (aber nicht viele) und ein paar Trails mit Wurzeln und Steinen.
Was Versorgungspunkte angeht, war dieser Orbit reichlich gesegnet. Durch das urbane Profil gab es alle paar Kilometer eine Versorgungsmöglichkeit.
Vom Schwierigkeitsgrad her würde ich 3 von 5 Punkten geben. Der Hamburger Orbit wäre mit einem typischen Gravelbike auf schmaleren Reifen machbar. Breite Mäntel haben sich dann vor allem in den Harburger Bergen ausgezahlt.
Am Ende standen 222km auf der Uhr (inklusive Anfahrt zum Track) mit einer Fahrzeit von 11:16h und einer Gesamtzeit von 12:23h (inklusive 25-30min Fährfahrt und Warten). Für eine Fahrt mit einigen Pausen und ohne Druck nicht schlecht.
Die Highlights?
Da gab es einige: die Strecke am Flughafen entlang, die teils sehr einsamen Pfade im nördlichen Hamburger Umland, das Hafengebiet und die Elbüberquerung.
Und natürlich die Harburger Berge mit ihren Trails und sandigen Passagen bergauf und bergab. Hier wurden die meisten der 1.700 Höhenmeter gefahren, was durchaus fordern war.
Besonders hat mir aber die morgendliche Durchquerung des Ohlsdorfer Friedhof gefallen. Er ist der größte Parkfriedhof der Welt und kann ein Roadblocker sein, denn er ist nachts geschlossen.
Was habe ich gelernt?
Drei Sachen:
- Ein Orbit ist kein Kindergeburtstag, egal wie urban oder mit wie wenig Höhenmeter er sich verkleidet. Die Länge, die Streckenführung, die unterschiedlichen und nicht immer einfachen Untergründe machen daraus ein durchaus anstrengendes Unternehmen, selbst wenn man es nicht auf Zeit fährt. Und das bedeutet auch: der Begriff Gravel ist durchaus nicht eng auszulegen, sondern sollte als Gattungsbegriff für alle Arten von Untergründen, außer glattem Asphalt verstanden werden.
- Der Orbiter steht früh auf und nutzt die kühlen, menschenleeren und verkehrsarmen Morgenstunden um Strecke zu machen. Zudem bietet sich das frühe Aufstehen bei Strecken von 215km und mehr durchaus an, will man einen Orbit an einem Tag absolvieren.
- Im Wald – vor allem bei dichtem Bewuchs – sollte man sich nicht auf das GPS Signal verlassen, sondern seine Instinkte walten lassen. Ich habe mich viel verfahren, weil das GPS nicht genau arbeiten konnte. Sobald man sich aber vom Gerät etwas löst und mehr antizipiert, ging es besser.
Der Track?
Orbit 360 Schleswig-Holstein
Der Grund?
Der Orbit 360 ist auch und eigentlich vor allem ein Wettbewerb. Und einen Track wollte ich auf jeden Fall im Race Modus fahren. Für mich und auch – und das verheimliche ich gar nicht – um zu zeigen, dass ich es kann und dass ich nicht nur über solche Themen blogge und podcaste.
Der Orbit in Schleswig-Holstein hatte dafür die richtigen Voraussetzungen: er lag nicht weit von meinem Zuhause weg und er war mit 280 km so lang, dass er trotz der geringen Höhenmeter eine Herausforderung sein würde.
Nach meiner Schnupper-Partie in Hamburg wollte ich nun mal schauen, wie es im Race-Modus so ist, mit wenig bis keinen Pausen und das bei vorhergesagten sehr hohen Temperaturen um die 34 Grad. Halte ich das körperlich und psychisch durch?
Wie war die Strecke?
Ich hatte im Vorfeld gehört, dass der Track langweilig sein soll. Das kann ich so nicht bestätigen. Er ist jetzt kein Highlight, aber auch nicht uninteressant. Ich würde eher sagen, er war unauffällig.
Allerdings hat er einen recht hohen Asphaltanteil, macht aber ausreichen Schlenker über Felder und Waldwege. Die Höhenmeter kommen vor allem durch die Anfahrt zum Bungsberg zustande. Das Streckenprofil war wellig, aber immer gut fahrbar. Am Ende zum Ziel hin gab es ein paar Wurzelpassagen, die nervig waren, aber auch nur weil es heiß war und ich schon fast 280km in den Beinen hatte.
Vom Schwierigkeitsgrad her würde ich hier 2 von 5 Punkten vergeben.
Am Ende bin ich 279,27km gefahren, mit einer Fahrzeit von 11:59h, einer Gesamtzeit von 12:41h und knapp 1.900 HM. Rückblickend hätte ich noch 15-20 min schneller sein können, aber bei den Temperaturen war einfach nicht mehr drin. Immerhin hat es für Platz 5 im Gesamtranking Schleswig-Holstein gereicht.
Die Highlights?
Die Gegend um den Bungsberg fand ich schon recht schön, aber vor allem die Strecke entlang der Ostseeküste und die Durchfahrt in Lübeck waren gut. Diese habe ich trotz des Tempos durchaus genossen.
In jedem Fall hat mir die Orbit Strecke ein paar Inspirationen für neue Trainingsstrecken gegeben. Als Overnighter würde ich das jetzt nicht fahren – dafür ist das dann doch zu eintönig oder – besser – zu wenig landschaftlich ansprechend.
Was habe ich gelernt?
Drei Sachen:
- Will man einen Orbit im Race-Modus fahren, sollte man so gut wie möglich auf Pausen verzichten. Standzeit ist Verlustzeit, vor allem wenn man die Top 10 avisiert. Essen und Trinken sollte demnach so organisiert sein, dass es auch während der Fahrt funktioniert.
- Aktive Erholung während der Fahrt funktioniert. Ich habe beim Orbit versucht immer wieder Erholungsphasen einzubauen, in denen ich die Geschwindigkeit reduziert habe und mir so etwas mobile Pause gegönnt habe.
- Eine Trinkblase ist wirklich gut unterwegs bei solchen Unterfangen. Ich habe meine 2 Liter Blase in der Rahmentasche untergebracht und konnte so sehr bequem während der Fahrt trinken und hatte genug Wasser für ein paar Stunden dabei.
Der Track?
Orbit 360 Niedersachsen
Der Grund?
Das Schöne an den Orbits ist ja, dass man sie immer fahren kann. Und der Niedersachsen Orbit stand noch auf meiner Liste. Da bot sich ein langes Wochenende mit spätsommerlichem Wetter an, nun auch mal diese Strecke in Angriff zu nehmen.
Allerdings nicht als Rennen, sondern gemütlich im Bikepacking-Modus mit Zelt und Kocher. Geplant war es zusammen mit Tobias, der dann allerdings Corona-bedingt seinen Landkreis nicht verlassen durfte/wollte/konnte.
Also machte ich mich alleine auf die 305 km plus Anfahrt von Hamburg Neuwiedenthal zum Start nach Buchholz in der Nordheide.
Wie war die Strecke?
Gescoutet wurde sie von Anno Sebbel, der hier wirklich eine schöne Arbeit hinterlassen hat. Niedersachsen ist schön und der Orbit führte durch wirklich idyllische und landschaftlich reizvolle Gegenden.
Worauf man sich einstellen sollte: viel Sand, viel Heide, viele Wälder und einige recht knackige Steigungen, obwohl es insgesamt nicht viele Höhenmeter sind. Und auf eine eher dünne Versorgungslage, wie ich auch schnell feststellen konnte. Es gab nicht viele Einkaufsmöglichkeiten und so war ich dann doch froh, alles dabei zu haben.
Für die Fahrt empfehlen sich breite Reifen. Ich war mit WTB Nano 2.1 Zoll unterwegs und hätte mir etwas mehr Breite gewünscht. Vor allem in den Sandpassagen, die Anno immer wieder eingebaut hat.
Technisch war die Strecke nicht herausfordernd. Es rollte sich gut und auf den Waldautobahnen konnte man gut ballern. Betrachtet man allerdings die Länge von 305km, so ist der Niedersachsen Orbit schon ein Brett. Die Höhenmeter in Verbindung mit den teils sandigen Anstiegen machen den Track durchaus herausfordernd und lassen die 300km lang werden. Ich hatte nach 80km bereits 3.300 Kcal verbraucht, was die Anstrengung durchaus zeigt.
Vom Schwierigkeitsgrad her würde ich hier 3 von 5 Punkten vergeben
Insgesamt war ich 2 Tage unterwegs und bin dabei 349km mit 2.500 HM gefahren. Durch das Gepäck war ich natürlich langsamer. Ist man im Race-Mode unterwegs, kann man diese Strecke durchaus an einem Tag gut schaffen.
Die Highlights?
Eigentlich ist der gesamte Orbit Niedersachsen ein Highlight. Es gab keinen Abschnitt der Strecke, wo ich es nicht schön fand. Und er ist abwechslungsreich. Besonders haben mir die vielen Waldpassagen gefallen. Man ist sehr abgelegen unterwegs, was durchaus schön ist.
Idyllisch sind natürlich die Abschnitte durch die Heidelandschaft, wo der Track immer wieder auf dem Heidschnuckenweg entlangführte. Und natürlich musste der Wilseder Berg überquert werden, eine er wenigen Erhebungen auf der Strecke.
Überrascht hat mich dann das Büsenbachtal. Das kannte ich noch gar nicht und war umso mehr begeistert, als ich zwischen den Felsen hindurch mitten durch den Nadelwald bergab rollen konnte. Das war schon märchenhaft und mit Trollen hatte ich durchaus gerechnet.
Natürlich fand ich meine Nächte im Zelt klasse und war auch eine Nacht auf dem Campingplatz Südsee, der einer der größten Campingplätze Deutschlands ist. Das muss man nicht machen, aber er lag günstig und es war ein Erlebnis.
Was habe ich gelernt?
Drei Sachen:
- Immer vorher auch die Versorgungslage checken. Eigentlich Basic, aber ich habe mich mit den Orbit-Strecken eigentlich so gut wie gar nicht vorher beschäftigt. Ich habe nicht mal die Beschreibungen gelesen. Für mich waren einzig die Länge und die Höhenmeter relevant. Das war in Niedersachen nicht optimal, denn hier muss die Versorgung gut geplant sein. Ich hatte aber ohnehin mein Gepäck am Rad und genug zu essen dabei, weshalb das dann schon ging. Aber Wassernachschub ist dann schon ein Thema…
- Augen auf bei der Fahrradwahl. Ich war mit meinem Bombtrack Beyond unterwegs und habe auf dem Track die andere Geometrie im Vergleich zu meinem Salsa Fargo schmerzhaft zu spüren bekommen. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich den Toskana Trail oder Ostafrika damit fahren konnte. Auf den 350km hat es meinen Rücken total zerschossen und ich bin – kaum runter vom Rad – wie ein alter Mann herumgekrochen. Dadurch gab es ein paar Punkte Abzug auf der Spaßskala.
- Bei Sand, schön am Rand! Aufgrund der vielen Sandpassagen musste ich immer wieder mit dem Rad balancieren und die richtige Linie finden. Mehrheitlich ist diese meist am Rand, wo der Sand noch etwas bewachsen ist. Leider klappt das aber nicht immer, wie ich dann auch feststellen durfte. Aber grundsätzlich finde ich, dass das Fahren durch den Sand charakterbildend ist und man nach einer Phase der Verausgabung und des Zorns, mental sehr zu sich findet. 🙂
Der Track?
Danke Orbit360!
An dieser Stelle noch mal ein großes Dankeschön an die Initiatoren des Orbit360, Bengt und Raphael, aber auch und vor allem den Scoutern!
Ihr habt damit Gravel-Deutschland und Europa einen unglaublich großen Schatz vermacht, der vor allem bleibt und allen zugänglich ist.
Und im neuen Jahr geht es weiter. Wie im Komoot Orbit360 Live-Talk hörte, soll es neue Tracks geben, die aber teilweise bundesland-übergreifend sind, nicht mehr sooo lang, mehr Gravel und weniger MTB-lastig sein sollen.
Egal wie: das werden ideale Trainingsstrecken und wunderbare Tourenrouten sein. Darauf freue ich mich schon!
“Der Sand war nicht charmant” 🙂
Danke für den zusammen fassenden Bericht.
Den Niedersachsen Orbit bin ich leider nicht gefahren. Den sollte ich vielleicht noch nachholen.
Interessant dein Vergleich zur Geometrie des Bombtrack Beyond mit dem Salsa Fargo. Wenn ich mir die Geometrie Daten angucke, stehe ich wie der Ochs vorm Berg. Kannst du zu den von dir empfundenen grundsätzlichen Unterschieden noch etwas sagen? Was macht das Fargo in dieser Hinsicht besser/ Langstrecken tauglicher?
VG
Hallo Björn,
der Unterschied liegt hauptsächlich in der Rahmengröße: das Bombtrack ist M, ich brauche aber L. Das Salsa hat L. Und ist etwas bequemer gebaut, als das eher sportlichere Beyond.
Mein Körper hat sich aber auf das Fargo eingerenkt und wurde nun durch das Beyond wieder ausgerenkt. 🙂
Viele Grüße,
martin
“Fahren durch den Sand charakterbildend ist und man nach einer Phase der Verausgabung und des Zorns, mental sehr zu sich findet. ”
Haha, schön umschrieben.
Bin ja sehr froh, dass meine drei ausgewählten Orbits so gar nicht von Sand “geschlagen” waren.
Also nächstes Jahr geht’s weiter, entnehme ich deinem Hinweis auf den Komoot Live Talk. Das ist schon mal super! Fand und finde die Orbit360 Idee auch Spitze. Sollen die neuen Tracks dann hinzu kommen oder diverse bestehende (zumindest für die Race-Wertung) ersetzen? Oder ging’s da nicht so ins Detail?
Hallo Torsten,
es gibt neue Strecken, die aber nicht Bundesland-fixiert sind, sondern die Route im Mittelpunkt haben. Also auch auch mal Bundesland-übergreifend oder gar Land-übergreifend sein können.
Und die bestehenden bleiben natürlich. Im Winter ist noch was geplant – mal sehen. Ich vermute eine Art Winterpokal.
Viele Grüße,
martin