Einfach mit dem Fahrrad von Stuttgart nach Grönland, im Bikepacking-Stil: Nach 10 Jahren im Banking-Job hat Benjamin sich ein Sabbatical genommen, um einmal völlig raus zu sein aus dem Alltag und um Zeit für sich, die Familie und das (Rad)reisen zu nutzen. Zuerst bin ich ihm auf Facebook begegnet und dann durch seine guten Erzählungen und tollen Bildern einfach „hängen“ geblieben. So habe ich seine Fahrt bis nach Grönland mitverfolgt und war begeistert von seiner einfachen Art, eine solche Radreise zu machen. Kein großartiges Warum, kein übertriebenes Wie, einfach nur Radfahren, Land und Leute entdecken und ankommen. Simply Bikepacking halt. Und heute einfach mal im Interview: Herzlich Willkommen Benjamin!
Zum Warmwerden: Wie bist Du zum Radfahren gekommen?
Gute Frage, das ist schon ewig her… So richtig wiederentdeckt habe ich das Radfahren für mich vor etwa 3 Jahren durch meine Freundin, die deutlich mehr Fahrräder als Handtaschen hat. Sie hat mich auf meiner Tour auch in Belgien und Island begleitet. Zum Bikepacking bin ich erst 2017 gekommen auf der Suche nach einer Alternative zum klassischen Tourensetup.
Zum Verstehen: Von Stuttgart nach Grönland – wie kamst du darauf?
In den Süden fahren kann jeder und viele Radler machen es auch. Ich wollte dagegen eine Tour, die nicht ganz „alltäglich“ ist. Zudem hatte ich einige Länder im Kopf, die ich gerne in meiner Auszeit bereisen wollte – insbesondere Wales, die Färöer-Inseln, Island und eben Grönland. Ein Blick auf die Karte hat mir sofort gesagt: Das gibt eine super Route! Für Grönland sind noch zwei weitere Punkte entscheidend: Einerseits ist es kein Reiseziel für den klassischen zweiwöchigen Sommerurlaub und andererseits wird sich diese vom Klimawandel und der Globalisierung immens betroffene Region in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dramatisch verändern – also wann, wenn nicht jetzt?! So habe ich mich mit einer Liste von zehn Ländern und vier Monaten Zeit Anfang Mai auf den Weg gemacht.
Zum Erfahren: Was hat Dich am meisten unterwegs beeindruckt?
Die Menschen. Egal an welchem Ort und in welchem Land, ich habe immer Menschen getroffen, die mit großem Interesse, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ein Teil meines Abenteuers geworden sind. Das ist es auch, was ich am Reisen mit dem Rad so schätzen gelernt habe: Du triffst die Menschen im Alltag, keiner wartet auf Dich und trotzdem wirst Du stets mit offenen Armen empfangen.
In einem kleinen Pub auf dem Land in Wales beispielsweise, wo mir alle Gäste – fast ausnahmslos Frauen – einen Schlafplatz für die Nacht angeboten haben und ich fast darum kämpfen musst, im Zelt schlafen zu dürfen. Am Ende bin ich mit einem Erinnerungsfoto für die Facebook Seite des Pubs „davongekommen“.
Zum Träumen: Wo warst Du schon überall und wo musst Du unbedingt noch hin?
Ich habe eine App, die mir sagt, dass ich bereits 16% der Welt bereist habe – das meiste aber ohne Rad, sodass hier noch viel Luft nach oben ist. Bisher war ich mit dem Rad in Deutschland, Luxemburg, Belgien, Frankreich, England, Wales, Schottland, Färöer-Inseln, Island, Grönland, Österreich, Slowakei und Ungarn.
Neue Anregungen hole mir selbst gerne aus Dokumentationen von anderen Radreise- und Bikepacking Abenteuern, beispielsweise „Bikepacking through South America“ (James May) und „A Journey Beyond II“ (Marc Maurer) durch Zentralasien fallen mir da ein. Beides steht auf dem Wunschzettel neben Alaska, einer Alpenüberquerung und vielen anderen Highlights. Gespannt bin ich auch auf Anselm Nathanael’s Film über Afrika.
Zum Nachmachen: Wie hast Du Dich vorbereitet und welche Tipps hast Du (für unterwegs)?
Bikepacking war für mich – trotz etwas Radreiseerfahrung – komplett neu und erstmal habe ich natürlich recherchiert und geschaut, was so alles dazu gehört. Außerdem habe ich mich gefragt, welche Anforderungen Strecke und Klima an mich stellen könnten. Und dann ging es an den praktischen Teil: Ich habe meine Ausrüstung nach und nach zusammengestellt und auf kürzeren Touren getestet – u.a. auch bei Schnee und Minusgraden im Winter. Die eigene Erfahrung lässt sich nicht durch nichts ersetzten – auch nicht durch die beste Packliste aus dem Internet.
Das gilt auch für unterwegs: Wenn ich gemerkt habe, dass ich etwas nicht brauche, dann habe ich es nach Hause geschickt, genauso wie ich mit der Zeit meine Taschen etwas anders gepackt habe. Durch die Erfahrung konnte ich mein Setup kontinuierlich verbessern und werde es auch in Zukunft tun.
Außerdem hat es sich unterwegs bewährt, überall den Kontakt mit den Einheimischen zu suchen und deren Tipps und Erfahrungen anzunehmen.
Zum Leben: Du bist eher alleine unterwegs – wie hat dich das solo Radfahren verändert?
Wie es mich verändert hat, habe ich erst gemerkt, als ich nicht alleine unterwegs war – beispielsweise mit meiner Freundin in Island. Auf mich allein gestellt hatte ich schnell einen eigenen Rhythmus entwickelt und musste nur den eigenen Ansprüchen gerecht werden. Für mich hat das bedeutet, dass ich mir beispielsweise morgens immer recht viel Zeit gelassen habe, um entspannt in den Tag zu starten, während sie morgens nicht so „trödeln“ wollte. Ein weiterer Punkt: das Essen. Während meiner Freundin gutes und gesundes Essen wichtig ist, war ich da eher praktisch unterwegs und es hat ein paar Tage gedauert, bis wir einen gemeinsamen Rhythmus gefunden (und mehr Vorräte dabei) hatten.
Zum Fahrrad: Stell es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Deinem Rad dran?
Die Tour bin ich mit meinem Cube Cross (2016) gefahren – ein guter Kompromiss aus solider Geländegängigkeit und gleichzeitigem Speed auf der Straße. Ein Allrounder mit Aluminiumrahmen, Federgabel und Standardkomponenten… ob da Deore oder XT draufsteht, war in meinem Fall egal, man kommt mit beidem an 🙂 Fit fürs Bikepacking habe ich das Cube Cross mit den Ortlieb Bikepacking Bags, Salsa Anything Cages an der Gabel und Bottle Bags für den Lenker gemacht.
Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?
Nach gut 5.000 Kilometern ist die Liste der Pannen erfreulich kurz und unkompliziert: Ich hatte insgesamt sechs platte Reifen, musste einmal Pedale wechseln (Lager kaputt), die Nabe am Hinterrad reinigen lassen (wackelt bei zu viel Dreck) und einmal Bremsbeläge tauschen – das war’s auch schon.
Zum Lernen: Was hast du unterwegs immer dabei und auf was kannst du gut verzichten?
Immer dabei habe ich meine Kamera, um die vielen tollen Eindrücke einzufangen und ein Dutzend Kabelbinder für alle Lebenslagen.
Von unterwegs habe ich wie gesagt mehrfach Pakete mit Ausrüstung nach Hause geschickt, um nicht mehr Gepäck als nötig dabei zu haben. Nach den ersten vier Wochen habe ich beispielsweise meine Regenhose zurückgeschickt, die ich trotz einiger Regentage nie getragen hatte.
Zum Wissen: Radfahren auf den Färöern und Grönland – macht das Sinn?
Absolut. Beides kann ich nur empfehlen – allerdings sicher nicht für Jedermann. Wer die Vorzüge von Eurovelo & Co. schätzt, wird vielleicht nicht glücklich.
Die Färöer-Inseln liegen mitten im Atlantik und das Wetter wechselt ständig – teilweise bin ich innerhalb eines Tages vom Regen mehrfach komplett nass und durch den starken Wind wieder trocken geworden. Da es auf den bergigen und steil aus dem Atlantik ragenden Inseln fast keine Feld- und Schotterwege (geschweige denn Radwege) gibt, geht es ausschließlich „on Road“ über die Inseln und das mit ordentlich Höhenmetern. Außerdem gibt es auf und zwischen den Inseln viele Tunnel, wobei insbesondere die Unterseetunnel (5km bzw. 6km) eine etwas „spezielle“ Erfahrung sind! Wem das nichts ausmacht, der sollte unbedingt die Inseln erkunden und wird von der Natur begeistert sein.
Grönland dagegen bietet nahezu keine Möglichkeit zum „Radreisen“, da es kein Straßen- oder Wegenetz zwischen den Siedlungen entlang der Küsten gibt. Vielmehr sind es ausgewählte Routen, die vom Overnighter zum Inlandeis (ca. 80km) bis zu mehrtägigen Touren z.B. auf dem Arctic Circle Trail (ca. 200km), einem beliebten Wanderweg, eine besondere Erfahrung und Herausforderung bieten. Im Winter könnten die Hundeschlittenrouten noch eine interessante Option für längere Touren sein. Das Rad sollte am besten ein Mountain-, Gravel- oder Fat-Bike sein. Damit ist Grönland auch eindeutig mehr für Bikepacker, als für klassische Reiseradler geeignet. (Tipp: Einen tollen Eindruck darüber gibt auch der Bericht „Shapeless Fulfilment“ von Ben Haggar auf Bikemag.com.)
Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?
Für mich war es das „Losfahren“. Die letzten Wochen davor war ich fast rund um die Uhr beschäftigt und froh, als es endlich losgehen konnte. Und nach vier Monaten habe ich mich ehrlich auch gefreut, zurück zu kommen.
Zum Abschluss: Was ist als Nächstes geplant?
Ich bin vor kurzem erst von Baden-Württemberg nach Franken gezogen und möchte in nächster Zeit die Fränkische Schweiz und den Frankenjura erkunden. Im nächsten Jahr will mich an dem ein oder anderen Bikepacking Event bzw. Rennen ausprobieren. Einen konkreten Plan für die nächste große Tour habe ich noch nicht – mein Favorit wäre aber wohl momentan Südamerika.
Hier gibt es mehr über Benjamin und Simply Bikepacking:
Riesen Respekt! Einfach nur geil, was er berichtet und zeigt. Da fragt man sich selbst warum nicht öfter mit dem Bike verreist.