Irgendwann im Frühjahr sah ich in der Zeitung einen Beitrag über „My Boo“, eine kleine aber feine Fahrradschmiede aus Schleswig-Holstein, die Räder nicht aus Stahl, Alu oder Titan fertigte, sondern aus Bambus! Natürlich war ich erstmal skeptisch: hält sowas eigentlich und wenn ja, dann taugt das doch maximal für die Stadt! Ich nahm Kontakt zu „My Boo“ auf und lernte Felix kennen, einen der Gründer. Wir verabredeten uns für ein Treffen auf der ADFC Radreise-Messe im Frühjahr in Hamburg. Dort sprachen wir über die Räder und ich konnte mir einen ersten Eindruck verschaffen. Solide, gut ausgestattet, interessant, cool! Aber was ist mit der Widerstandsfähigkeit auf Tour? „Na dann geh mal rüber zu Karina und Tim“, meinte Felix. „Die beiden sind mit unseren Bambus Rädern von Hamburg bis nach China geradelt!“. Gesagt, getan und heute freue ich mich sehr, die beiden sympathischen Hanseaten bei den Reiseradler-Interviews begrüßen zu können, die über ihre 373 Tage lange Reise, bei der sie 12.000 km gefahren sind, berichten!
Zum Warmwerden: Wie seid ihr zum Radreisen gekommen?
Zum Radreisen sind wir völlig überraschend gekommen: Eines Abends waren wir bei Verwandten zu Besuch, dort erzählte man uns, dass eine Freundin von Neu-Seeland mit dem Rad nach Hause gefahren ist. In diesem Moment dachten wir sofort: DAS IST ES. Die bestmögliche Art zu Reisen, alles auf dem Weg kennenzulernen, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Bereits 2 Stunden später haben wir gesagt, dass wir es ernsthaft prüfen wollen, ob so etwas möglich ist. 3 Wochen später war alles klar und wir haben uns entschieden. Ein knappes Jahr später sind wir dann los
Zum Träumen: Wo wart ihr schon überall und wo müsst ihr unbedingt noch hin?
Unser eigentliches Hobby ist Klettern und Skifahren. Unsere meisten Urlaube verbringen wir daher oft irgendwo in den Alpen um einem der beiden Hobbys nachzugehen. Wir waren aber auch schon zum Klettern in Thailand, sind mit Rucksack durch Schottland gewandert und sind in einem ausgebauten T3 (VW Bus) durch Norwegen gereist. Karina war von 2005 – 2006 in Ghana und hat dort bei verschiedenen sozialen Projekten mitgewirkt.
Die Reise von Deutschland (Hamburg) nach China war unsere erste Radreise. Tim ist zuvor lediglich als Jugendlicher einmal mit dem Rad nach Dänemark gefahren. Unsere Tour nach China hat uns von unserem Zuhause in Hamburg nach Österreich und dann nach Italien an das Mittelmeer geführt.
Dann ging es erstmal entlang am Mittelmeer über Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro bis nach Albanien. In Albanien sind wir vom Mittelmeer abgebogen und durch Kosovo und Mazedonien nach Griechenland gefahren, wo wir wieder an das Mittelmeer gekommen sind. Weiter ging es in die Türkei, wo wir mit dem Überqueren des Bosporus Europa verlassen haben. Entlang der Schwarzmeerküste erreichten wir Georgien, fuhren weiter durch Armenien bis in den Iran. Dann ging es durch die Stans: Turkmenistan, Usbekistan, Tajikistan und Kirgistan. Von Kirgistan aus überquerten wir die Grenze nach China. Per Flugzeug ging es von Chengdu in die Schweiz und von dort zurück über Lichtenstein und Österreich nach Deutschland bis in die Heimat nach Hamburg.
Eigentlich müssten wir jedes dieser Länder noch einmal bereisen, schon allein um all die lieben Menschen wieder zutreffen, die uns während unserer Reise so herzlich aufgenommen haben. Wir würden aber auch sehr gerne Südamerika, besonders Patagonien bereisen. Wir haben tausend Ideen und sind neugierig auf Alles.
Zum Nachmachen: Welches Land könnt ihr empfehlen und warum?
Eigentlich sind wir von allen Länder, die wir bereist haben, begeistert. Es gibt so große Vielfalt, dass es schwer ist einzelne Länder für eine Empfehlung raus zu picken. Wir waren erstaunt von der Schönheit Montenegros und begeistert von den netten Menschen in Albanien und Kosovo – vom Lebensstandard her mag man nicht glauben das man noch in Europa ist… Eine spannende Erfahrung!
Die Türkei ist landschaftlich unglaublich vielfältig und zudem trifft man auf Menschen mit einer großartigen, gastfreundschaftlichen Kultur. Die Iraner und Usbeken stehen der Türkischen Gastfreundschaft in nichts nach, auch hier hat es uns sehr gut gefallen.
Die Abgeschiedenheit und das Naturerlebnis auf dem Pamir-Highway ist einzigartig. Die Landschaft karg, aber irgendwie faszinierend. Die Anstrengungen, die man als Radfahrer auf sich nimmt, lohnen sich mehr als genug. In Kirgistan hat es uns mal wieder sowohl von den Menschen, als auch von der Natur her unglaublich gut gefallen: grüne, weite Wiesen auf denen überall Jurten stehen, freilaufende Pferde, Kuhherden und riesige Berge. Einfach wunderschön!
Zum Erfahren: Was hat euch am meisten unterwegs beeindruckt?
Ganz klar die Gastfreundschaft die uns überall entgegengebracht wurde. Ob kleine Momente wie die zig Einladung auf einen Çay in der Türkei, eine kalte Pepsi, die uns mitten im Nirgendwo, bei knapp 50 °C in Turkmenistan gereicht wurde, oder die unendlich vielen Einladungen im Iran, wo wir bei einer Familie sogar knapp einen ganzen Monat gelebt haben.
Zum Leben: Seid ihr lieber alleine unterwegs, oder zu zweit? Und warum?
Die Reise zu zweit zu machen hat sich für uns als perfekt herausgestellt. Man kann in schwierigen Momenten für einander da sein, wie z.B. in Tadjikistan, wo Tim sehr krank war. Man kann großartige Erlebnisse und die wunderschöne Natur gemeinsam genießen und teilen. Man hat jemanden, der einfach ganz genau weiß wie sich etwas angefühlt hat, weil er es selbst erlebt hat.
Zum Fahrrad: Stellt es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an euren Rädern dran?
Geradelt sind wir auf unseren tollen „my Boo“ Bambusrädern. Die in einem Sozialprojekt in Ghana gefertigten Bambusrahmen, werden vom Kieler Unternehmen „my Boo“ montiert und als Citybikes verkauft. Für unsere speziellen Anforderungen haben sich die Jungs von „my Boo“ nochmal kräftig ins Zeug gelegt und all unsere Wünsche erfüllt.
So wurden die Räder mit einer Rohloff Speedhub 14-Gang Narbengangschaltung, Magura V-Brakes und Busch & Müller Luxos-U ausgestattet. Wir sind von unserem ganz besonderen Gefährten immer noch total begeistert.
Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?
Auf unserer 373 Tage langen Reise sind wir 12.000 km geradelt und mussten wir acht Reifen flicken. In Uzbekistan hat eine gelöste Klebestelle (am Rad) dafür gesorgt, dass wir eine der tollsten Erfahrungen unserer Reise gemacht haben: wir sind in einer kleinen Stadt hängen geblieben, die wir sonst wahrscheinlich nur durchquert hätten. Zuerst waren wir sehr niedergeschlagen und wussten nicht wie es weitergehen soll. Dann haben wir ein unglaublich nettes, junges, uzbekisches Ehepaar kennengelernt und erlebt, was uzbekische Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft bedeutet.
Wir waren mehrmals zu Gast bei der Familie und wurden auch mit zu Familienfeiern eingeladen, wir durften eine uzbekische Schule besuchen und etwas von der Landwirtschaft vor Ort lernen. Um uns auch mit unserem Fahrrad zu helfen, wurde sich einen Tag Urlaub genommen und um alles gekümmert. Am fünften Tag in Boysun (so heißt die Stadt), konnten wir unsere Reise auf unseren zwei Bambusrädern fortsetzten. Bis heute haben wir Kontakt zu der uzbekischen Familie und sind sicher irgendwann mal wieder nach Boysun zu reisen.
Zum Wissen: Euer ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?
- Die Route nur grob abstecken und spontan bleiben für Empfehlungen und Abweichungen unterwegs.
- Scheinbare Misserfolge/Pannen nicht zu ernst nehmen, sondern abwarten, was auch daraus entstehen kann (wie z.B. in Boysun).
- Sich nicht mit anderen Radreisenden und deren Erlebnissen vergleichen, sondern seinen eigenen Stil finden und seine eigenen Erlebnisse machen und genießen.
Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?
Wiederkommen. Aber auch nicht zu sehr. Unsere Reise war von vornherein für ein Jahr geplant und es war klar, dass wir danach zurück kommen. Wir haben uns sehr darauf gefreut unsere Familie und Freunde wieder zu sehen. Es gab also gute Gründe heim zu kehren.
Und so eine Reise muss ja auch nicht einmalig bleiben. Wir haben unterwegs viele andere Reisende kennengelernt und so die verschiedensten Arten zu Reisen gesehen. Wir sind voller Ideen und Neugierde aber alles hat seine Zeit.
Was beim Heimkehren die größte Umstellung war, ist die Rückkehr in einen geregelten Alltag. Für ein Jahr hieß es aufstehen, wenn man aufwacht, losfahren und nicht wissen wo man abends ankommt, Pause machen und Einladung nachgehen, so wie sie kommen. Für ein Jahr ganz und gar im hier und jetzt leben und dazu viel Zeit haben, sich mit den verschiedensten Dingen zu beschäftigen und auszutauschen. Wieder zurück fängt man an Termine zu machen, einen Urlaub zu planen, der noch 1/2 Jahr weg ist und aufstehen, wenn der Wecker klingelt.
Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?
Wie gesagt, an Ideen mangelt es nicht: Patagonien oder vielleicht mit den Bambusrädern nach Ghana fahren, dort wo sie einmal gebaut wurden. Die Leute dort wären bestimmt ziemlich stolz, wenn sie erfahren würden, was ihre Räder schon so mitgemacht haben.
Und dann gibt es noch mindestens tausend andere Ideen, aber konkret ist nichts geplant. Jetzt sind wir erstmal wieder zu Hause und freuen uns Anteil daran zunehmen, was hier geschieht. Wie gesagt, alles hat seine Zeit.
Hier gibt es mehr über Karina & Tim:
Mein heavy duty Reiserad ist vor 2 Jahren in Laos gegen einen Zaun aus Bambus gekippt. Seit dem hat es dort eine kleine Delle (nichts Strukturelles, aber mit dem Finger spürbar). Dem Bambus ist gar nichts passiert. Das hat mir ein wenig die Augen für den Werkstoff Bambus geöffnet ….
Bambus schlägt Stahlrahmen? 😉
Danke für den Beitrag und das Interview. Wir hätten nie gedacht, dass man mit einem Bambusrad überhaupt mehr als einen Kilometer weit fahren kann. Die Idee, Bambus überhaupt als Material für einen Fahrradrahmen zu nehmen ist schon überraschend. Sehr interessant und vielleicht eine Alternative für unsere nächste große Fahrradreise nach unserer jetzigen durch Südostasien…
Hallo Ute, hallo Eddy,
ja, probiert es mal aus. Würde mich auch interessieren. Ich werden mal im kommenden Jahr vielleicht ein solches Bambus-Reiserad testen können.
Viele Grüße,
martin