Sven – das ist für mich vor allem der Daumen, den er auf fast allen Fotos optimistisch in die Höhe reckt. Sven ist seit Januar 2009 schwerbehindert. Der Grund dafür ist ein etwa 1 cm² großer Tumor am Hirnstamm. Es ist der Rest eines größeren, der nicht komplett entfernt werden konnte, da Svens Herz bei der mehrstündigen OP dreimal stehen blieb. Der Tumor wurde bestrahlt und hat bis heute seine Größe, zum Glück, nicht verändert. Doch damit nicht genug: 2011 wurde Sven Schwarzer Hautkrebs diagnostiziert und eine weitere OP folgte. Und doch hat Sven nicht aufgegeben und das Radfahren für sich entdeckt. Obwohl er durch den Tumor immer noch eingeschränkt ist, hat er schon 27 Länder beradelt, dabei 42.000 km zurückgelegt und ist sogar mit dem Rad zum Papst gefahren. Nun startet er zu seiner Weltreise, mit der er soziale Projekte, wie „Inklusion braucht Aktion“ und die „Diakonische Initiative Direkt“ unterstützt. Sein Ziel: den 50. Geburtstag auf seiner Weltreise in Moskau feiern und den seiner Frau auf Hawaii. Und bevor es gleich losgeht für Sven, hat er mir noch ein Interview gegeben.
Zum Warmwerden: Wie bist Du zum Radreisen gekommen?
Fahrräder waren schon in frühster Kindheit ein Bestandteil meines Lebens, denn mein Cousin war ein erfolgreicher Radsportler. So war ich bereits mit fünf Jahren beim Sechstagerennen. Unglaublich aber wahr: Mit zwölf Jahren habe ich mein erstes Rad aus übrig gebliebenen Teilen zusammenmontiert. Seit meinem 16. Lebensjahr war dann aber das Zweirad mit Motor mein Hauptlebensinhalt.
Ich war in jeder freien Minute unterwegs und legte so pro Jahr um die 10.000km zurück. Zum Fahrrad bin ich erst wieder 2009 gekommen.
Nach meiner OP am Hirnstamm landete ich als Pflegefall auf der Intensivstation in Berlin. Nach drei Monaten fing man an, meine Medikamente umzustellen, um mich wieder zu mobilisieren.
In drei weiteren Monaten REHA schafft man es, dass ich wieder laufen lernte. Ich war zu der Zeit halbseitig gelähmt, wurde von Schläuchen ernährt und beatmet. Für mich war klar, ich muss schwimmen und Radfahren können, bevor es nach Hause geht. Zwei Dinge, mit denen man gut Muskeln wieder aufbauen kann.
Damals lebte ich mit meiner Frau in Ägypten und arbeitete als Tauchlehrer. Durch die OP und Reha mussten wir wieder nach Berlin zurück. Wir zogen nach Weißensee, wo ich nun zum zweiten Mal in meinem Leben lernte ein Rad zu steuern.
Auf Grund meiner Behinderung kann ich kein Motorrad mehr fahren. Also Back to the roots und ich muss sagen, es gibt keine bessere Art die Welt zu entdecken, als auf dem Fahrrad.
Zum Träumen: Wo warst Du schon überall und wo musst Du unbedingt noch hin?
Wo war ich schon? Ich war in 27 Ländern, 17 Hauptstädten, habe auf vier Kontinenten 42.000 km zurückgelegt. Highlights waren die Route 66 mit einem Abstecher nach Las Vegas und zum Grand Canyon, eine Tour durch Japan und wohl meine „Inklusion braucht Aktion Tour 2015“, die mit einer Audienz beim Papst endete.
In diesem Jahr geht es von Jekaterinburg (Sibirien) über das Nordkap quer durch Europa nach Casablanca um von dort zu den Paralympics nach Rio zu fliegen. Wir, Karl Grandt und ich, übergeben dort die „Inklusionsfackel“ an das deutsche Team. Dies geschieht im Rahmen der IbA Tour2016.
Diese Fackel wird dann auch meine Begleiterin auf meiner Weltreise, Start ist am 2. April 2017, sein. Und jetzt kommt es: „Wo musst du unbedingt noch hin?“ – Ich will auf dieser Tour durch Russland, 11.000 km durch ein einziges Land, Wahnsinn!
Zum Nachmachen: Welches Land kannst Du empfehlen und warum?
Wer ruhig und entspannt Rad fahren will, sollte in den Niederlanden fahren oder noch besser in Japan, denn dort nimmt man auf Radfahrer wirklich sehr viel Rücksicht. Ein Land empfehlen kann ich nicht, denn jedes Land hat seine Reize, ist immer anders, immer erlebenswert und auf dem Fahrrad immer hautnah spürbar.
Zum Erfahren: Was hat Dich am meisten unterwegs beeindruckt?
Pah, du stellst Fragen: Auf jeden Fall die Freundlichkeit der einzelnen Menschen. Von der Natur her auf jeden Fall der Grand Canyon. Ja, und natürlich der Handschlag mit dem Papst.
Irre wenn man hinterher drüber nachdenkt, dass man zu einem der wichtigsten Männer der Welt geradelt ist und sein Rad am Petersdom abgestellt hat. Da stand bestimmt noch nie ein Fahrrad. 😉
Zum Leben: Bist Du lieber alleine unterwegs, oder zu zweit? Und warum?
Hm, alleine reisen bringt für mich mehr Vorteile als Nachteile. Man muss sich nur mit sich selbst abstimmen. Was essen? Wo schlafen? Wie weit fahren? Wann fahren? Und, und…
Man lernt viel leichter andere Menschen kennen, wohl das Wichtigste auf einer Reise. Man lernt viel über sich selbst: wo liegen die persönlichen Grenzen? Man hat Zeit, sich auch mal mit sich selbst zu unterhalten. Haha, irre, was einem alles aus längst vergangenen Tagen einfällt, wenn man mit sich alleine ist. Jede Radreise ist bei mir auch eine Reise ins Ich.
Einen gravierenden Vorteil hat das Reisen zu zweit schon: wenn wirklich mal etwas passieren sollte (wovon man ja aber nicht ausgeht), dann ist gleich jemand da, der helfen kann. Beim Tieftauchen habe ich in meiner Ausbildung und bei vielen Tauchgängen gelernt auf mich selbst zu achten. Das ist bei einem 100 Meter Tauchgang noch wichtiger, als bei einer Radtour durch unbekanntes Gelände.
Und seien wir ehrlich: Man kann auch aus dem Haus gehen und es fällt einem ein Dachziegel auf den Kopf. Man braucht bei allem im Leben auch IMMER Glück.
Zum Fahrrad: Stell es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Deinem Rad dran?
Bis zu diesem Frühjahr fuhr ich meinen Donkey, mein drittes Rad, das ich selber zusammengebaut habe, seit ich auf das Rad zurückgekommen bin. Ich stehe eigentlich auf Kettenschaltungen, es geht alles viel schneller. Bei meinem Donkey wählte ich die Alfine 11 Gang, eine gute Nabe, es fehlt aber ein Gang.
Berge waren auch so zu meistern, aber auf meiner DID Tour 2013 von Rom über Athen, Istanbul und Bukarest nach Mera, musste ich durch vier Gebirge. Im vierten wünschte ich mir die Rohloff Speedhub 14 Gang. Meine Muskeln brannten. Ein Reiserad sollte eine Nabenschaltung haben, ein vollbeladenes Rad am Berg mit einer kleinen Übersetzung, bei einer Kettenschaltung, anzufahren ist fast unmöglich. Eine Nabenschaltung funktioniert auch im Stand.
Seit diesem Jahr fahre ich ein Patria Helios – der Donkey Junior. Man hat mir das Rad gesponsert. Es ist mit allem ausgestattet, was ich mir hätte nie leisten können. Eine Rohloff Speedhub 500/14 wurde mir von Frau Rohloff gespendet und das Rad, das auf mich zugeschnitten wurde, wo alle meine Erfahrungen der letzten Jahre und das Know-how von Patria einfloss, wurde mit einem Gates Carbon Drive ausgerüstet.
Ich fuhr viel Jahre bei meinem Motorrad einen Riemenantrieb und hatte nie Probleme. Keine Wartung – Nichts. Der Riemen ist jetzt schon ein paar tausend Kilometer mit mir unterwegs. Die Regenzeit in Japan und der Sand eines Sturms, der durch die Wüste in Ägypten fegte, waren beide nicht Anlass etwas an dem Riemen zu machen. Mit einer Kette hätte es wohl anders ausgesehen. Ich denke der Riemen wird mir genauso viel Freude machen, wie der an meinem Motorrad.
Ein angefertigtes Fahrrad, welches auf einen zugeschnitten wurde, ist übrigens wie ein Paar Maßschuhe. Ich habe das Rad abgeholt, bin vor der Firma Patria auf eine Proberunde die Straße hoch und runter und wusste: das ist mein Rad. IRRE.
Wer das Geld hat, sollte auf diese Erfahrung nicht verzichten. Vielen Dank Jochen (Kleinebenne) für diese Spende an mich.
Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?
Pannen? Echte Pannen nicht. Mal einen Platten, übrigens alle mit Reifen, die als die Besten gelten. Also jeder übliche Pannenschutz ist nicht gut genug, um dies zu verhindern. Ich habe bei meinen Reisen die bekanntesten und üblichsten Reifen genutzt. Die mit dem besten Schutz.
Sonst hatte ich keine Probleme. Ich werfe immer sofort alle Teile raus, von denen ich denke, sie könnten mir demnächst vielleicht Probleme machen. Mein Motto ist: nicht fahren bis es einen Defekt irgendwo in der Wildnis gibt und du dort vielleicht hängen bleibst.
Zum Wissen: Dein ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?
Machen, nicht lange überlegen, die meisten Dinge ergeben sich unterwegs. Gute Vorbereitung ja, aber nicht versuchen bis ins Hundertstel vorzuplanen. Es kommt meistens anders als man denkt.
Nach Japan bin ich aufgebrochen und hatte nur ein Hin-und Rückflugticket. Der Rest ergab sich vor Ort. Ich hatte nicht einmal eine Karte und ich spreche kein Japanisch. Es ging alles nur über mein Handy.
Menschen unterwegs, denen ich Fragen nach dem Weg stellte und die mich nicht verstanden, stiegen in ihr Auto und zeigten mir den Weg. Übrigens nicht nur in Japan.
Was ich sagen will ist, umso weniger man vorher plant, umso mehr muss man sich vor Ort bemühen und umso eher lernt man Land und Leute kennen.
Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?
Hehe. Für mich ist beides nicht schwer. Ich freue mich auf jede neue Tour UND ich freue mich natürlich meine Frau nach Wochen/Monaten wiederzusehen.
Ja, und nach der Tour ist vor der Tour! 😉
Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?
Wie weiter oben schon kurz angeschnitten, geht es 2016 für „Inklusion braucht Aktion“ von Sibirien über das Nordkap, Casablanca auf eine Strecke von gut 11.500 km nach Rio. Eine Tour über vier Kontinente. Es steht noch nicht ganz fest, aber ich werde wohl das „Stück“ durch Frankreich und Spanien nicht fahren. Karl (Grandt) der Stammfahrer der IbA fährt ein Trike. In der Kombination unserer beiden Räder durch Berge bei extremer Hitze und Regen haben wir für uns festgestellt, dass es sehr schwierig (für uns unmöglich) ist, einen gemeinsamen Rhythmus zu finden.
So werde ich Karl wohl die Inklusionsfackel, vom „Netzwerk Inklusion Deutschland“, in Flensburg übergeben. Wir werden noch drei Tage zusammenfahren und dann biege ich nach Berlin ab. In Gibraltar treffen wir uns wieder und bringen die Fackel zum deutschen Team.
Ich hoffe, uns wird ermöglicht in Rio bei den Paralympics ins Stadion einzufahren. Dies wäre ein Abschluss, der sich mit dem im letzten Jahr (Audienz beim Heiligen Vater) messen könnte.
Im Herbst geht es dann, wie jedes Jahr, für die „Diakonische Initiative Direkt“ von Minsk über Kiew nach Mera in Rumänien.
Ich werde wieder versuchen Geld zu sammeln. Dieses Geld wird wie auch die Eintrittsgelder für meinen Vortrag „Vom Pflegefall zum Globetrotter auf dem Fahrrad“ gespendet, um in Mera sozialschwache Kinder und pflegebedürftige alte Menschen zu unterstützen.
Und am 2. April 2017 geht es dann auf meine 1 ½ jährige Tour um die Welt.
Mehr zu den Initiativen, die Sven unterstützt:
Die Inklusionsfackel: http://www.netzwerkinklusion.de/fackellauf/inklusionsfackel/
Diakonische Initiative Direkt: www.did-ev.de
Inklusion braucht Aktion: http://www.inklusion-braucht-aktion.de/
Mehr über Sven gibt es hier: