Anna kommt wie ich aus Sachsen. Sie aus Dresden, ich aus Leipzig. Und uns beide hat es mit dem Rad hinaus in die weite Welt gezogen. Das verbindet schon mal. Seit Mai 2016 ist sie mit dem Fahrrad unterwegs. Dabei steht das Radfahren bei ihr gar nicht so im Mittelpunkt. Anstatt als „Radlerin“ sieht sie sich eher als Reisende, die das Fahrrad als Transportmittel gewählt hat. Sie fährt lieber langsam, macht viele Pausentage und genießt es auch andere Dinge zu tun, wie zum Beispiel Yoga, Wandern, einfach mal nichts machen oder Menschen kennen lernen. Oder mir ein Interview zu geben. Herzlich Willkommen, Anna…
Zum Warmwerden: Wie bist Du zum Radreisen gekommen?
Mein Exfreund träumte davon, die Carretera Austral zu fahren. Ich hatte bis dato zwar nichts mit Radreisen am Hut, dachte aber ich probiere es mal. Also flogen wir 2010 nach Chile und fuhren für sieben Wochen in Patagonien. Es war meine erste Radtour und es war eine Herausforderung, da ich nicht wirklich fit war. Trotz brennender Beine fand ich großes Gefallen an dieser Art zu Reisen und träumte seither von einer längeren Tour.
Zum Träumen: Wo warst Du schon überall und wo musst Du unbedingt noch hin?
Mit dem Rad fuhr ich durch British Columbia in Kanada, danach entlang des Pacific Coast Trails in der USA. Anschließend ging es über die Baja California durch ganz Mexiko. Nach einer großen Runde über Yucatan fuhr ich durch Belize nach Guatemala. Eigentlich wollte ich von dort weiter durch Mittel- nach Südamerika, habe dann aber nach einer langen Krankheitsgeschichte diesen Traum leider aufgeben müssen. Stattdessen flog ich dann nach Europa und radelte durch Norwegen, Schweden, das Baltikum und Polen.
Ohne Rad war ich schon in Neuseeland, Australien, Südostasien, Südamerika und natürlich in vielen Ländern Europas. Ich möchte unbedingt nochmal nach Südamerika, diesmal mit Rad. Außerdem Afrika. Ach, soviel was es noch zu entdecken gibt…
Zum Nachmachen: Welches Land kannst Du empfehlen und warum?
Das ist eine schwierige Frage, da Geschmäcker und Erlebnisse sehr unterschiedlich sein können. Ich war von einigen Ländern und Regionen begeistert, andere wieder total enttäuscht. Das gleiche existiert umgekehrt. Statt einer einzigen Empfehlung gebe ich lieber eine kleine Pro und Kontra Liste ab:
Die Westküste der USA ist wunderschön und abwechslungsreich. Ebenso gibt es eine tolle Infrastruktur: Campingplätze, Einkaufsmöglichkeiten usw. Allerdings fand ich es auch recht teuer und es war schwierig entlang des Pacific Coast Trails wild zu campen, was ich eigentlich sehr liebe.
Norwegens Landschaft ist einfach unglaublich schön und findet kaum Vergleiche. Das wild campen ist wie in Schweden ein absoluter Traum, man findet überall die schönsten die Spots und es ist offiziell erlaubt. Allerdings kann man hier sehr viel Regen abbekommen. Wenn man in eine Unterkunft ausweichen will, muss man schon eine sehr gute Reisekasse mitbringen, da Norwegen außerordentlich teuer ist. Ein weiterer Pluspunkt dagegen sind die langen (bzw. keine) Nächte im Sommer. Man hat keinen Zeitdruck und kann selbst Mitternacht noch nach dem Radeln auf einen Berg hoch wandern. Wunderbar in Skandinavien ist die hohe Sicherheit. Ich denke daher, dass es gerade für weibliche Reiseradlerinnen perfekte Länder für die ersten Trips sind, hier kann man auch das wild campen alleine gut „üben“ und sich herantasten.
In Mexiko und Guatemala habe ich die kulturelle und historische Vielfalt genossen. Ebenso sind sie landschaftlich abwechslungsreich. Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen war überwältigend. Wild campen war je nach Region okay bis schwierig, aber Hotels und Restaurants sind auch mit einer kleinen Kasse zu bewältigen.
Zum Erfahren: Was hat Dich am meisten unterwegs beeindruckt?
Die Antwort, welche viele geben: Die Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit der Menschen. Nicht nur von Menschen, die ich durch die tolle Community Warmshowers kennenlernen durfte, vor allem hat mich die Offenheit der Menschen bei zufälligen Begegnungen auf der Straße beeindruckt.
Insbesondere fasziniert hat mich die Kultur der Mayas. Angefangen mit der Geschichte, die man sich in den etlichen Ruinen Mittelamerikas anschauen kann, bis hin zum Maya-Katholizismus, deren Praktiken man in einigen Kirchen sieht.
Zum Leben: Bist Du lieber alleine unterwegs, oder zu zweit? Und warum?
Nachdem ich das erste Jahr nur zu zweit mit unterschiedlichen Menschen unterwegs war, freute ich mich auch auf die Erfahrung alleine zu sein. Allerdings kann ich jetzt nach 4 Monaten solo fahren sagen, dass ich es gemeinsam lieber mag. Es macht einfach mehr Spaß. Erinnerungen teilen zu können, ist ein wertvolles Gut für mich. Selbst unangenehme Situationen werden mit der richtigen Gesellschaft lustig und zu einer tollen Erfahrung. Ich liebe es einfach zusammen zu lachen und interessante Gespräche zu führen. Meiner Meinung nach ist außerdem die Herausforderung an einen selbst größer. Man ist gezwungen Kompromisse einzugehen und lernt auch viel über sich selber.
Viele sagen, sie würden alleine mehr in Kontakt mit anderen Menschen kommen. Ich kann das nicht bejahen, obwohl ich mich als einen sehr offenen Menschen bezeichnen würde. Ich glaube, dass liegt sehr an den Regionen und Ländern in denen man ist und an der Dynamik, die man mit seinem Reisepartner hat.
Zum Fahrrad: Stell es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Deinem Rad dran?
Mein Rad ist Marke Eigenbau. Ein guter Freund der einen Radladen hat, baute es für mich auf. Es besteht aus einem mintfarbenen Stahlrahmen von der Firma Intec und einer Rohloff. Auch wenn die Farbe auffällig ist und somit natürlich leicht zu Diebstählen führen könnte, war sie mir sehr wichtig.
Ebenso wollte ich ein Dynamo plus USB Charger, diesen (the plug von Supernova) kann ich aber leider überhaupt nicht empfehlen. Nicht zu vergessen die bewährten Schwalbe Marathon Mondials. Ein Detail, wonach viele fragen, ist die gefederte Parallelogramm-Sattelstütze. Sie lindert meine Schmerzen im Rücken.
Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?
Zum Glück hatte ich keine einzige komplizierte Panne mit dem Rad. Ein paar Teile habe ich nach Abnutzung ausgewechselt und drei Platten geflickt, das war alles. Aber selbst das habe ich auch erst lernen müssen. Vor diesem Trip habe ich das tatsächlich noch nie selber gemacht. Das zeigt, dass nicht alles perfekt sein muss um loszumachen. Man lernt währenddessen und außerdem gibt es fast überall hilfsbereite Menschen. Man muss ja nicht gleich die einsamsten Regionen der Welt durchqueren.
Zum Lernen: Du fährst als Frau alleine durch die Welt. Welche Herausforderungen bringt das mit sich und welche Tipps hast Du für andere Frauen?
Man bekommt als Reiseradler in einigen Gegenden recht viel Aufmerksamkeit. Als Frau ist dies noch extremer. Das kann positive, aber auch negative Aspekte mit sich bringen. Hier muss man gerade als Frau lernen, auf seine Intuition zu hören und nicht aus Höflichkeit in Situationen zu verweilen, die einem eigentlich unangenehm sind. Beispielsweise werde ich gerade in letzter Zeit leider viel von betrunkenen Männern angesprochen. Ich denke mir dann, ja vielleicht sind ja nur nett und wollen tatsächlich nur Fragen stellen, aber ich fühle mich sehr schnell unwohl.
Die Gefahr als Frau alleine zu reisen ist nicht so groß, wie uns die Medien und vor allem Gesellschaft glauben machen wollen. Das solo Reisen als Frau kann nämlich viele Türen öffnen. Man wirkt verletzlicher und das Bedürfnis ist größer einem Schutz bieten zu wollen. Allerdings bringt es auch Gefahren mit sich, die man als Mann nicht in diesem Maße hat. Diese Gefahren komplett zu negieren wäre auch falsch. Die Frage ist nur, wie hoch sind diese tatsächlich? Kann mir das nicht auch zuhause passieren? Tatsächlich habe ich überall sexuelle Belästigung erleben müssen, ganz egal ob in Mexiko, als junges Mädchen im Club oder vor der eigenen Haustür in Deutschland.
Ein Tipp für Frauen, die das noch nicht gemacht haben: Fangt langsam an. Wählt eher sichere Länder als Ziel und tastet euch ebenso langsam ans Wild Campen heran. Dann merkt man schnell, dass es mehr gute als böse Menschen gibt.
Zum Wissen: Dein ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?
Finde deinen eigenen Weg.
Wortwörtlich: Nimm dir eine Karte und suche nach wenig befahrenen Straßen, Routen, Wegen. Auch wenn es oft Umwege oder schwer zu befahrene Trails sind, es zahlt sich aus.
Metaphorisch: Kümmere dich nicht um die Meinung anderer. Nimm mit worauf du Lust hast; fahre solange wie du möchtest, egal ob das 200 oder 20 km am Tag sind; ziehe an worauf du Lust hast und glaube nicht, dass nur super fitte Menschen eine Radtour machen können. Ich traf alte und kranke Menschen, die trotzdem aufs Rad stiegen und reisten. Man kann seinen eigenen Rhythmus finden.
Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?
Das einzig schwere am Losfahren ist den Hebel im Kopf um zu schalten. Sich selbst zu sagen: Okay, ich werde jetzt aus dem Traum einen Plan machen. Ich glaube den Job zu kündigen ist wahrscheinlich der schwierigste Schritt, da es von da ab auf einmal ernst wird. Plötzlich wissen alle Bescheid und man kann nicht mehr so leicht zurück. Somit ist dann aber auch die größte Hürde getan. Der Rest ist nur eine Sache von guter Organisation, was mir noch nie schwerfiel.
Von daher würde ich sagen Ankommen ist schwieriger. Aber das ist nicht das erste Mal, dass ich von einer langen Reise wiederkomme, also weiß ich mittlerweile mit der „Nachreise-Depression“ umzugehen 😉
Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?
Es gibt gerade noch keine expliziten Pläne. Erst einmal wieder Ankommen. Bestimmt kommen nächstes Jahr kurze Touren auf den Plan, aber zuerst werde ich es Genießen mal andere Sachen zu machen, nicht nur Fahrrad fahren. Beispielsweise wieder Klettern, mehr Yoga machen, ins Theater und Ballett gehen und auf alle Fälle viel Zeit mit Freunden und Familie verbringen. Ach ja – nen Job suchen steht ebenso auf dem Plan 😉
(Anna hat mir das Interview vor ein paar Wochen gegeben. Mittlerweile ist sie wieder in Dresden angekommen und plant sicherlich schon die nächste Tour.)
Mehr über Anna gibt es hier: