Der Himmel ist dunkelgrau, es nieselt und der Wind bläst, als ich in Kiel aus dem Zug steige. Ich ziehe die Kapuze enger und radle los.
Moin! Schallt es mir entgegen. Willst Du ausreisen? Dann ist das hier die falsche Richtung! Es ist der Fährmann, der mich über den Nord-Ostsee-Kanal in Kiel bringt und sich über mein bepacktes Rad wundert. Nein, ich mache nur eine Radtour über die Ostertage!
Sein „Schiff“, die Fähre „Adler 1“, tuckert gemütlich die zwei Minuten durch den Regen und setzt mich auf der anderen Seite ab. Eine Frau mit Hund und ich sind die einzigen Gäste auf dieser frühen Fahrt.
Moin, Moin! verabschiede ich mich und strample weiter. Mein erstes Ziel ist Kappeln an der Ostsee. Hier beginnt der Wikinger-Friesen-Radweg, dem ich in den kommenden Tagen locker folgen möchte. Es ist die erste Tour in diesem Jahr und ich freue mich schon aufs Zelten.
Endlich hört es auf zu regnen. Ich lächle leicht, was aber nur daran liegt, dass der starke Wind mir die Mundwinkel hochdrückt. Ostern in diesem Jahr heißt vor allem Sturm. Mit Böen um die 40 km/h pfeift er mir um die Ohren und bringt mich ganz schön ins Wanken.
Hinter Eckernförde fahre ich direkt entlang der Ostsee-Küste. Ich folge dem Steinstrand und der Steilküste bis Damp und biege dann nach Westen ab. Die Ostsee hätten wir also schon mal.
Und wie damals die Wikinger fahre ich entlang der Schlei in Richtung Schleswig. Die Schlei ist eigentlich kein Fluss. Manche sagen, es ist ein Fjord. Wikipedia sagt: es ist eine Glaziale Rinne. Wie auch immer: auf der Schlei segelten einst die Wikinger bis nach Haithabu (beim heutigen Schleswig gelegen).
Damals im 8. Jahrhundert war dieser Ort eine sehr große Stadt und ideal gelegen: denn Nord- und Ostsee waren über die Eider im Westen und die Schlei im Osten miteinander verbunden. Dazwischen liegt nur ein bisschen Land und Haithabu.
Seit vielen Jahrzehnten versucht man heutzutage diese einst bedeutende Stadt auszugraben und zu rekonstruieren. Hier befindet sich auch mit Schloss Gottorf ein wichtiges Zentrum der deutschen Wikinger-Forschung.
Schon von weitem erkenne ich Haithabu: die rekonstruierten Holzhäuser sind von zahlreichen Zelten umgeben. Moin, Moin! Es sind Wikingertage und Wikinger aus vielen Landesteilen und Nachbarländern haben sich zum Feiern und Handeln versammelt.
Doch Thor scheint dem Treiben nicht wohl gesonnen: wütend schickt er stürmische Böen durch das Lager und lässt Regen fallen. Das ist mir zu heikel und ich haue fix ab.
Ich folge dem Danewerk, einem kilometerlangen Erdwall noch aus der Zeit vor den Wikingern. Im 7. Jahrhundert wurde er als Bollwerk und Wehranlage errichtet und trennte wie der Hadrianswall den Norden vom Süden. Es ist schon beeindruckend sich vorzustellen, wie diese meterhohen Erdwälle sich von der Schlei bis zur Eder hinzogen. Was für eine Bauleistung, was für eine Schinderei muss die Errichtung gewesen sein. Heute wird das Danewerk durch eine Straße durchbrochen. Sie bringt mich hinter dem Ort Dannewerk auf die nördliche Seite des Walls. Ich fühle mich wie im Land des ewigen Winters in Game of Thrones.
Dabei scheint jetzt die Sonne und das nicht knapp. Nur davon bekomme ich nicht viel mit, denn der Wind ist heftiger geworden und zerrt an mir und dem Rad. Hollingstedt, Winnert, Witzwort – das vormals hügelige Land wird immer flacher, je weiter ich nach Westen vordringe. In Tönning raste ich auf dem wunderschönen Marktplatz mit Eis-Laden. Moin, zwei Kugeln bitte! Inmitten einer sonnigen Wiese aus Krokussen genieße ich mein Eis. So habe ich mir Ostern vorgestellt!
Eiskalt gestärkt und beschwingt fahre ich die letzten Kilometer bis zum Eider-Sperrwerk. Ich habe es geschafft – ich bin an der Nordsee. Stolz stelle ich mein Fahrrad ans Ufer und mache ein Foto. Und muss ganz schnell reagieren, denn der Wind bläst plötzlich mein Rad samt Taschen fast ins Wasser.
Ein Blick auf die Wetter-App verheißt nix Gutes: weiterhin stürmisch, natürlich aus Süd/Süd-Ost und morgen dann selbstverständlich wieder mit Regen. Bin ich hier auf Island?
Scheinbar ja, wäre da nicht das platte Land. Vom Eider-Sperrwerk fahre ich nach Süden. Naja, ich versuche es zumindest. Nach einer Stunde habe ich 13 Kilometer geschafft. Toll. Nee, ich möchte nicht den Tag so beschließen.
Dann lieber doch mit Panorama-Blick auf eine Sonne, die möglichst dramatisch in der Nordsee untergeht. Also nochmal Kurswechsel: hart am Wind geht es an die Küste zu einem Zeltplatz. Moin! Was, zelten? Ist das nicht zu kalt? Nein. Im Rauch der Osterfeuer genieße ich den Sonnenuntergang.
Der Ostersonntag beginnt eine Stunde früher: Zeitumstellung! Leider hat der Sturm nicht nachgelassen und lässt die Windräder in der Glut des Morgens tanzen.
Aber heute muss ich nur 65 Kilometer fahren – natürlich gegen den Wind. Mein Ziel heißt Itzehoe. Hier feiere ich mit meiner Familie Ostern. Das Gute in diesen Tagen ist, dass ich jeden Tag an die 8 bis 9.000 Kcal verbrauche. Das lässt Platz für viel gutes Essen.
„Der Wind sind die Berge Schleswig-Holsteins“ – so gesehen habe ich in den vergangenen Tagen mehrfach die Alpen überquert. Aber das Herausforderndste steht mir noch bevor: der Ostermontag. Ein Sturmtief mit Warnungen vor heftigen Böen ist aufgezogen. Ich radle entlang des Flusses Stör in Richtung Glückstadt.
Immer wieder wird meine Fahrt auf 10 km/h gebremst, bis ein Gehöft oder ein Deich mir wieder etwas Windschatten bietet. Ich beiße die Zähne zusammen, schließlich sind es nur 70 km. Die Strecke führt mich durch die Engelbrechtsche Wildnis, an Kolmar/Elbe und in Neuendorf bei Elmshorn vorbei. Hier will ich das Sperrwerk über den Fluss Krückau überqueren. Leider ist es mal wieder geschlossen und ich kann nicht passieren.
Mittlerweile hat sich zum Sturm auch Regen gesellt. Und so muss ich einen Umweg über Elmshorn nehmen und erreiche dann nass und sturmgebeutelt, aber glücklich und zufrieden Halstenbek.
340 km sind es am Ende: von Kiel nach Kappeln, von der Ostsee an die Nordsee, vom Eider-Sperrwerk nach Itzehoe und dann entlang der Elbe nach Hause. So viel Sturm hatte ich lange nicht – aber auch wenn ich ihn oft verflucht habe: er hat der Tour die nötige Würze gegeben.
Frohe Ostern! (nachträglich)
Definitiv einer der schönsten Orte zum Radfahren meiner Meinung nach. Das Netz an Radwegen ist sehr gut ausgebaut, beinahe alle Wege sind komplett ebenerdig und die Landschaft ist noch dazu traumhaft.
Was will man mehr?
“Ich lächle leicht, was aber nur daran liegt, dass der starke Wind mir die Mundwinkel hochdrückt.”
Genialer Satz, den muss ich mir merken 🙂
Schöner (Kurz)Reisebericht!
Hallo Martin,
also wenn es kalt ist, werde ich komplett zum Mädchen.
Vor allem bin ich eine von den Kandidatinnen, die immer aufs Klo müssen, wenn der Schlafsack gerade warm ist.
Beim nächsten Mal nehme ich einfach eine Windel mit 😉
Liebe Grüße
Daniela
Hallo Martin,
das Bild vom Sonnenuntergang mit den Windrädern ist mein Favorit! Sehr geil geworden!
Wir waren an Ostern mit dem Rad auf dem Vulkanradweg unterwegs. Zum Glück hatten wir weniger Wind aber dafür schön viel Regen.
Ich fand die Nacht im Zelt ziemlich frostig, habe mich aber riesig über die erste Tour mit Camping gefreut. Wie kalt war es bei dir?
Liebe Grüße
Daniela
Hallo Daniela,
keine Ahnung, wie kalt die Nächte waren. Ich glaube um die 0 Grad. Ich bekomm das meist nicht so mit.
Viele Grüße,
martin