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Kette oder Riemen: was ist effizienter?

Riemenantrieb oder Kettentrieb Effizienzvergleich

Was ist effizienter: der Riemenantrieb oder der Kettentrieb?

Hinweis

Liebe Leute, das wird jetzt echt Nerd-Talk. Es geht darum, ob der Riemenantrieb in Effizienz/Wirkungsgrad „besser“ ist, als die Kette, oder ob alles doch anders ist. Ich habe dazu Ryan Osborn, Advanced Drivetrain Engineer bei Gates und Prof. Dr.-Ing. Hubert Hinzen von der Hochschule Trier, Fachbereich Technik/Fachrichtung Maschinenbau, befragt, damit wir hier mal etwas mehr Substanz in diese durchaus emotional geführte Diskussion bekommen. Und wer jetzt denkt, dass das wieder nur eine Riemen-Lobhudelei wird, der täuscht sich. Und ich habe mit dem Globetrotter Sven Marx gesprochen, der seit mehr als 30.000 km mit Riemen und Rohloff auf Welttour unterwegs ist und ihn gefragt, wie er das so findet. Aber lest selbst...

Über Riemen- und Kettentrieb und Wirkungsgrade

10 Jahre ist es nun schon her, dass mit dem Gates Carbon Drive ein erster ernstzunehmender Riemenantrieb auf den Markt kam. Am Anfang wurde er noch belächelt, aber spätestens seit 2016 ist er nicht mehr als Antriebsalternative zur Kette wegzudenken.

Der Erfolg des Riemens liegt hauptsächlich in seiner Wartungsarmut und Lebensdauer, was ihn für Stadtradler als auch für Globetrotter durchaus interessant macht.

Der Pressedienst Fahrrad schrieb in einer Mitteilung am 22. November 2016: „Leise, sauber, ohne Service: Das sind die Hauptvorteile, die Riemenantriebe gegenüber einer Fahrradkette haben. Die Nachfrage nach dem Carbongurt wächst deshalb rasant. 2017 wird der Riemen `massenmarkttauglich´“.

Und weiter: „Wartungsfrei und ohne Rost – und obendrein rollt ein Riemen auch noch länger als eine herkömmliche Kette. Zudem findet die Kraftübertragung mit erheblich weniger Verlusten auf das Hinterrad statt, was für eine schnelle Fortbewegung sorgt“.

Der Riemen ist also effizienter als die Kette!?

Ehrlicherweise hatte ich mir darüber nicht wirklich Gedanken gemacht, als ich von der Kette auf den Riemen gewechselt bin. Für mich stand immer die Wartungsfreiheit und die lange Lebensdauer im Vordergrund. Und die Neugier auf das Neue. Ob ich damit effizienter bin – das ist und war mir ehrlicherweise egal, zumal aus meiner Sicht viele andere Faktoren, wie Wetter und Wind, körperliche Kondition und Verfasstheit, Reifen und Luftdruck, dabei viel mehr ausschlaggebend sind.

Nicht ohne meinen Riemen – am Reiserad

Vor ein paar Wochen hatte ich dann einen Beitrag über meine ersten 3.000 km mit Riemenantrieb veröffentlicht. Dieser wurde nicht nur viel gelesen, sondern auch oft kommentiert. Einer dieser Kommentatoren war E-H. Reinhard. Er schrieb:

„Ich fahre ein Pinion P1.18 Getriebe, ursprünglich mit Riemen. Ich hatte das Gefühl, dass der Riemen zäh läuft und deshalb Kette montiert. Das Rad ging danach gefühlt nur geringfügig leichter. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit ist auch nur ganz leicht gestiegen.

Beim Fahren ist der größere Kraftaufwand mit Riemen nicht spürbar, aber zeitlich messbar.
Ich kann jedem nur raten, es selbst auszuprobieren. Durch den Umstieg auf Kette spare ich jede Woche fast eine Stunde Fahrzeit auf 317 km“.

Das fand ich interessant und hatte dies zuvor auch noch nicht gehört. Also fragte ich nach und E-H. Reinhard erzählte noch mehr über seine Erfahrungen:

„Mein Rad ist durch die Umrüstung auf Kette nicht lauter geworden, aber schneller. Drehen Sie mal Ihre Kurbel rückwärts, was denken Sie, was da so bremst? Wenn man eine Kurbel mit Kette rückwärts dreht, geht es ganz leicht. Oder warum schiebt sich Ihr Rad rückwärts schwerer als vorwärts? (…) Es gibt nicht viele Wirkungsgradvergleiche, aber in amerikanischer Labortest wird bescheinigt, dass die Kette unter allen Bedingungen effizienter arbeitet. (…) Ich bin mir ganz sicher, dass Sie auf Ihrer 3.000-km-Tour mit Kette einen Tag +/- früher angekommen wären“.

Im Klartext heißt das: die Kette bringt mich schneller ans Ziel, als der Riemen, da der Riemen mehr Kraft/Geschwindigkeit kostet?

Nun gut, jeder, der wie wir Fahrrad fährt, hätte nix dagegen, eine Woche mehr auf dem Rad zu sitzen. 😉

Aber Spaß beiseite: natürlich kann man das belächeln, aber ich fand es so interessant, dass ich mich mit dem Thema mal etwas intensiver befasst habe.

Der „amerikanische Test“, der hier (vermutlich) gemeint ist, ist der von Friction-Facts.com.

Hier wurde der Ketten- mit dem Riemenantrieb verglichen, mit dem Ergebnis, dass der Riemen eine geringere Effizienz als die Kette hat. Die Kollegen von Hilite-Bikes haben diesen Report bereits 2013 ausgewertet und schreiben: „Laut seinen Messungen (gemeint ist Jason Smith von „Friction Facts“ – Anmerkung BiketourGlobal) verbraucht ein herkömmlicher Kettenantrieb 2,92 Watt im Durchschnitt, während der Zahnriemen 3,93 Watt verbraucht. Obwohl der Unterschied nur 1 Watt beträgt, was nicht genug ist, damit es die meisten Menschen überhaupt bemerken, funktioniert der Kettenantrieb objektiv und absolut betrachtet um satte 34,6 Prozent besser.“ 

Interessant ist hier der Hinweis darauf, dass der Unterschied nicht wirklich bemerkbar ist – aber eben messbar. Beeindruckend ist die Angabe, dass die Kette absolut fast 35% „besser“ oder „effizienter“ ist, als der Riemen.

Ist die Kette also effizienter als der Riemen und überhaupt: ist alles eine Täuschung der “Industrie”, damit wir Kohlefaser-Riemen kaufen?

Jeder, der sich zu diesem Thema informieren möchte, wird schnell feststellen, dass diese Diskussionen sehr emotional geführt werden. (Zum Beispiel hier und hier). Und es werden sehr viel Vermutungen, Halbwissen, persönliche Erfahrungen und Schätzungen ins Feld geführt. Das hilft oft nicht weiter und lässt einen eher ratlos zurück.

Also habe ich mich einmal direkt an Gates Carbon Drive gewendet und konnte meine Fragen an den Gates Drivetrain Ingenieur Ryan Osborn stellen. Zum anderen habe ich mich nach einem wirklich wissenschaftlich glaubwürdigen Gesprächspartner umgesehen und habe so Prof. Dr.-Ing. Hubert Hinzen von der Hochschule Trier, Fachbereich Technik/Fachrichtung Maschinenbau, kennen gelernt, der sich viel Zeit für meine Fragen und Formulierungen genommen hat.

 

Austausch mit Prof. Dr.-Ing. Hubert Hinzen

„Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Fahrradtechnik, die beschränkte Muskelleistung des Radfahrers möglichst vollständig für den Antrieb des Fahrrades zu nutzen.“

Prof. Dr.-Ing. Hubert Hinzen beschäftigt sich an der Hochschule Trier seit vielen Jahren mit dem Fachgebiet „Maschinenelemente und mechanische Antriebe“ und besonders der Fahrradtechnik. Zuerst standen Fahrradreifen im Mittelpunkt der Untersuchungen, wenig später kam dann der Fahrradantrieb hinzu. Heute gibt es ein Labor mit insgesamt neun Prüfständen, von denen einige für die Fahrradindustrie nachgebaut wurden und ein Prüfstand für Fahrradbremsen steht kurz vor der Fertigstellung.

Und er hat mir auf meine Fragen sehr gerne und sehr ausführlich geantwortet und mit weiteren Dokumentationen weitergeholfen. Vielen Dank nochmals dafür!

Auf meine Frage, was denn nun dran ist an der Behauptung, dass der Riemen weniger effizient ist als die Kette, antwortete er:

„Der Wirkungsgrad ist bekanntlich der Quotient aus Nutzen und Aufwand: Von der am Tretlager eingeleiteten Leistung (Aufwand) soll möglichst viel am Hinterrad (Nutzen) ankommen. Im Idealfall ist dieser Quotient 1 oder 100%.

Die Frage nach dem Wirkungsgrad des Fahrradantriebes ist von komplexer Natur: Der Kettentrieb in Kombination mit einer Kettenschaltung ist diesbezüglich der ideale Fahrradantrieb, weil er die Leistungsübertragung von der Tretlagerwelle zum Hinterrad mit der Funktion eines Schaltgetriebes vereinigt. Es gibt also nur einen Verlustverursacher.

Nabenschaltungen sind für sich betrachtet zwar Getriebe mit ausgezeichnetem Wirkungsgrad, müssen aber stets mit einem „Zugmitteltrieb“ (Oberbegriff für Kette, Flachriemen, Zahnriemen, Keilriemen, Poly-V-Riemen usw.) kombiniert werden, der die Leistung von der Tretlagerwelle auf das Hinterrad überträgt, wodurch sich ein System aus zwei Verlustverursachern ergibt. Aufgrund dieses systembedingten Nachteils weisen Antriebe mit Nabenschaltung in aller Regel einen geringeren Wirkungsgrad auf als die mit Kettenschaltung.

Dieser systembedingte Nachteil wird noch deutlicher, wenn die Fahrradkette durch einen Zahnriementrieb ersetzt wird. Messungen haben zweifelsfrei ergeben, dass die Verluste eines Zahnriementriebes deutlich größer sind als die eines Kettentriebes. (…)“

Zwei interessante Aussagen stecken in diesen Antworten:

  1. Die Kette ist der ideale Antrieb
  2. Kommt eine Nabenschaltung hinzu, reduziert sich die Effizienz, egal ob Kette oder Riemen.

Ich fahre also mit meiner Rohloff und dem Gates Riemen eine Lösung, bei der der Wirkungsgrad nicht optimal ist und muss messbar (aber oft nicht merkbar) mehr Energie aufbringen, um mein Rad zu fahren. Oder wie ich auch sagen würde: die vermutlich ineffizienteste Kombination.

An dieser Stelle aber noch mal der Hinweis darauf, dass wir hier eine mechanisch-technische Diskussion führen und in der „Realität“ eventuelle Effizienzverluste beim Antrieb oft nicht maßgeblich sind. So ist die Aussage von E.-H. Reinhard aus meiner Sicht nicht nachweisbar zu halten, denn die tatsächliche oder eingebildete Zeiteinsparung Kette vs. Riemen hängt noch von einer ganzen Reihe anderer Faktoren ab:

„Der Gesamtfahrwiderstand des Radfahrens setzt sich aus der Rollreibung der Reifen, den Reibungsverlusten im Antrieb und dem Luftwiderstand zusammen (…)“. „Für das praktische Radfahren in nicht ebenem Gelände kommt noch der Steigungswiderstand (bergauf positiv, bergab negativ) dazu.“ (Prof. Dr.-Ing Hinzen im Hochschulreport 2016 der Hochschule Trier über „Maschinenbau und Sport“ und im Email-Austausch mit mir).

Die Hochschule Trier hat einen Prüfstand aufgebaut, der den Wirkungsgrad von Fahrradantrieben untersucht (unter Laborbedingungen) und die Ergebnisse im Hochschulreport 2012 veröffentlicht.

Der Prüfstand der Hochschule Trier

Der Kettenantrieb schneidet hier also am besten ab, allerdings ist er auch nicht ganz verlustfrei:

„Auf dem geradlinigen Abschnitt ihrer Bewegung tritt in der Kette keinerlei Reibung auf und der Wirkungsgrad wäre 100 %. Da sie aber bei Auflaufen auf das Ritzel oder das Kettenblatt „in die Kurve geht“, werden zwei benachbarte Kettenglieder relativ zueinander bewegt, was Reibung hervorruft und den Wirkungsgrad reduziert.“ (Hochschulreport 2012, Hochschule Trier, Seite 52)

Diese Reibung erhöht sich, je kleiner das Ritzel wird. Also ein 11er Ritzel ist daher eher schlecht.

„Gleiches gilt für das Kettenblatt: Größere Kettenblätter bedeuten einen geringeren „Schwenkwinkel“ zwischen zwei benachbarten Kettengliedern und damit weniger Reibung, was den Wirkungsgrad steigert. Ein relativ großes Kettenblatt mit 50 Zähnen ist also stets günstiger als beispielweise ein beim Mountainbike übliches kleines Kettenblatt mit nur 30 Zähnen.“ (Hochschulreport 2012, Hochschule Trier, Seite 52)

Insgesamt kommt der Test aber zu der Erkenntnis, dass mit zunehmender Leistung der Wirkungsgrad steigt. Also der gemütliche Tritt bei 50W erzeugt einen insgesamt schlechteren Wirkungsgrad, als das Treten unter Volllast (400W).

Entwicklung Wirkungsgrad Kettenantrieb unter verschiedenen Lasten – Messung der Hochschule Trier

Beim Riemen ist das ebenfalls der Fall – und er schneidet hier sogar besser ab:

„Bei hoher Leistung ist der Wirkungsgrad des Riementriebes deutlich besser als der eines vergleichbaren Kettentriebes, bei geringer Leistung kann der Riemen aber nur mit der Kette konkurrieren, wenn die Riemenvorspannung deutlich reduziert wird.“ (Hochschulreport 2012, Hochschule Trier, Seite 52)

Prüfstand der Hochschule Trier für die Wirkungsgradmessungen

Und:

„Während bei der Kette allerdings der Leertrum (unterer „Kettenstrang“, der zur Rückführung der Kette an die Tretkurbel dient) praktisch keine nennenswerte Kraft überträgt, muss ein Zahnriemen vorgespannt werden, so dass auch dieser Leertrum unter Kraft steht. (…) Wird die Vorspannung deutlich reduziert, so wird der Wirkungsgrad erheblich gesteigert. Die heikle Frage ist allerdings, wie weit diese Reduzierung getrieben werden kann, ohne dass es bei einem heftigen Antritt zu einem Überspringen des Riemens auf den Zähnen des Ritzels kommt.“ (Hochschulreport 2012, Hochschule Trier, Seite 52)

Wirkungsgrad Riemen bei verschiedenen Spannungen und Eingangslasten – Messung der Hochschule Trier

Im Hochschulreport wird die Idee formuliert, ein System einzusetzen, welches je nach Art der Beanspruchung die Riemenspannung verändert und dadurch den jeweils günstigeren Wirkungsgrad erreicht.

Prof. Dr. Hinzen macht deutlich:

„Der Wirkungsgrad des Zahnriementriebes hängt von seiner Vorspannung ab. Der Riemen muss relativ stark vorgespannt werden, um ein Überspringen auch bei hoher Leistung und starkem Antritt zu vermeiden. Dies erhöht jedoch die Reibung und verschlechtert den Wirkungsgrad. Ideal wäre ein Mechanismus, der den Riemen selbsttätig in Funktion des Lastzustandes vorspannt: Bei geringer Leistung wird nur wenig vorgespannt, was den Wirkungsgrad verbessert. Bei hoher Leistung wird die Vorspannung automatisch gesteigert, um ein Überspringen zu verhindern. Solche Mechanismen sind Stand der Technik und auch die High-Tech-orientierte Fahrradbranche sollte sich eine solche Innovation zutrauen.“

Diese Art von System wird wohl schon in anderen Bereichen erfolgreich eingesetzt, aber ich glaube, dass es hier noch etwas braucht, bevor wir das an Fahrrädern sehen.

Was ist nun aber mit der Nabenschaltung, wie einer Rohloff in Kombination mit Kette oder Riemen?

Prof. Dr.-Ing Hinzen fährt selber eine Nabenschaltung, schränkt aber ein:

„Nabenschaltungen sind hinsichtlich Robustheit, Zuverlässigkeit, Wartungsarmut und Witterungsunempfindlichkeit eine feine Sache, die sich besonders im Winter vorteilhaft bemerkbar macht. Für meinen Weg zur Hochschule ist das die allererste Wahl.

Wenn es aber um den Wirkungsgrad geht, weist die Nabenschaltung einen systembedingten Nachteil auf: Die Übertragung der Leistung von der Tretlagerwelle zum Hinterrad kostet Reibleistung und die Übersetzung im Nabengetriebe selber ist auch reibungsbehaftet. Es treten also zwei Verlustverursacher auf. Die Kettenschaltung hingegen erledigt beide Aufgaben in einer Konstruktion, so dass hier nur ein einziger Verlustverursacher auftritt.“

Fazit 1:

„Da der Riementrieb den geringeren Wirkungsgrad aufweist, ist das Fahrrad mit Riementrieb bei gleicher Antriebsleistung langsamer als ein solches mit Kettentrieb.“

Damit bringt es Prof.-Dr.-Ing Hinzen durchaus auf den Punkt.

Vor allem in Kombination mit einem Nabengetriebe nimmt dieser Nachteil zu. Allerdings gilt das auch für den Kettentrieb, wobei hier der Nachteil messbar, wenn oft auch nicht spürbar, geringer ist.

Allerdings verbessert sich der Wirkungsgrad eines Riemens gegenüber der Kette mit höherer Leistung. Ab einer Leistung von 200 Watt hat der Riemen einen Effizienzvorteil. Laut Grafik „Wirkungsgrad Zahnriemenantrieb“ sogar ab ca. 120 Watt.

Damit ihr das besser einordnen könnt: 150 bis 200 Watt bringen trainierte Radfahrer auf den Antrieb, Profisportler schaffen schon 350 Watt und die besten Radsportler treten 500 Watt.

Ich gehe davon aus, dass ein normaler Radtourenfahrer eher 80 bis 120 Watt schafft. Wer sehr viel fährt kommt vielleicht bis 200 Watt. Im Kern bedeutet das aber wiederum, dass der Riemenantrieb für trainierte Fahrer, die über einen längeren Zeitraum mehr als 120 Watt Leistung aufbringen, durchaus besser ist, als die Kette. Und dann einen besseren Wirkungsgrad entwickelt, weshalb er so gesehen eigentlich ideal für Rekordfahrten wäre. Daher auch die Äußerung von Frank Schneider von Gates im Artikel des Pressedienst Fahrrad von 2016„Wenn die UCI den Riemenantrieb zu Olympia zugelassen hätte, wären viele Weltrekorde beim Bahnradsport gefallen”.

 

Austausch mit Ryan Osborn von Gates

Aber was sagt Gates, der führende Hersteller von Riemenantrieben, dazu? Ich habe ein paar Fragen an Ryan Osborn, Advanced Drivetrain Engineer bei Gates, stellen können und ihn gefragt, was es mit dem Effizienznachteil des Riemens im Vergleich zur Kette auf sich hat. Vielen Dank bei dieser Gelegenheit, für die schnelle und offene Beantwortung meiner Fragen!

(Mit Ryan habe ich auf Englisch kommuniziert und seine Antworten ins Deutsche übersetzt.) 

Ryan Osborn von Gates (Screenshot LinkedIn)

Vorab ein Hinweis, um den mich Ryan gebeten hat, damit seine Aussagen richtig eingeordnet werden:

„Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich (bei den folgenden) Informationen insbesondere von Gates Carbon Drive Produkten spreche. Nicht alle Riemen/Gurte sind gleich, und nicht alle sind für den gleichen Zweck konzipiert. Wir haben unsere Carbon Drive-Produkte speziell für Fahrräder entwickelt und seit nunmehr einem Jahrzehnt verfeinert. Wie jedes System wird es, wenn es nicht richtig entworfen, gehandhabt oder installiert wird, wahrscheinlich nicht wie vorgesehen funktionieren. Auch wenn unsere Produkte oft als wartungsfrei bezeichnet werden: wie jedes Teil eines Fahrrads halten diese länger, wenn man ihnen eine grundlegende Pflege zukommen lässt. Unser Antrieb hält nicht ewig und gelegentliche Reinigung reduziert den Verschleiß und erhöht die Lebensdauer des Produkts.“

Natürlich hat mich zuerst interessiert, ob der Riemen tatsächlich “schlechter” ist als die Kette?

„Die Antwort auf diese Frage ist nicht ja oder nein, die Antwort hängt von einer Reihe von Faktoren ab. (…) Bei niedrigen Eingangslasten, z.B. 40 Watt bei 60 U/min, ist ein Kettenantrieb etwas effizienter als ein Riemenantrieb. Dies ist auf die erforderliche Vorspannung eines Riemens zurückzuführen. Wenn Sie jedoch die Belastung erhöhen, wird die Kette weniger effizient, und der Riemen wird effizienter. Bei einer höheren Leistungsaufnahme, z.B. 200 Watt bei 100 U/min, ist der Riemen sogar etwas effizienter als eine Kette“, sagt Ryan Osborn.

Das deckt sich mit den Ausführungen, die wir von Prof. Dr.-Ing Hinzen gelesen haben. Ryan ergänzt: „Ketten haben viele Einzelteile, die miteinander in Kontakt stehen. Diese Teile erzeugen alle eine geringe Reibung. Reibung kann den Wirkungsgrad reduzieren. Bei geringerer Belastung ist die Reibung geringer, und ohne nennenswerte Vorspannung können Ketten sehr effizient sein.

Bei höherer Belastung wird jedoch die Reibung erhöht und der Wirkungsgrad beeinträchtigt. Die oben genannten Szenarien sind ideal und berücksichtigen nicht die realen Gegebenheiten wie Schmutz, Wartung und Verschleiß. Während ein Riemenantrieb keine Schmierung benötigt, wird ein nicht geschmierter Kettenantrieb durch zusätzliche Reibung sehr schnell deutlich weniger effizient“.

Mein Riemen am Norwid: Wartungsarm, langlebig, aber auch effizient?

Nun fahre ich mit Rohloff und Riemen eine weniger effiziente Kombination – bin aber trotzdem ein Fan. Aber was meint Ryan dazu?

„Ein Schaltwerk-Antrieb ist sehr effizient. Ein neues, sauberes und geschmiertes Schaltwerk hat einen Wirkungsgrad von 98-99%. Dies gilt auch für einen eintourigen Kettenantrieb. Ein einstufiger Riemenantrieb ist ebenfalls zu 98-99% effizient. Wenn also ein Getriebe gewünscht wird, muss der Riemen eine sekundäre Übertragungsform, wie z.B. eine Nabe mit Innenverzahnung, verwenden. Innenverzahnte Naben/Internal Gear Hubs (IGHs) sind typischerweise nicht so effizient wie Kettenschaltungen, haben aber einige wesentliche Vorteile.

Die Nützlichkeit dieser Vorteile im Vergleich zu den Kosten hängt von den Bedürfnissen des Fahrers ab.  Selbstverständlich können IGHs sowohl mit Riemen als auch mit Kette verwendet werden. Der Vergleich einer Riemen-Nabe-Kombination mit einer Ketten-Nabe-Kombination sollte gleichwertig sein, da sowohl der Riemen mit einfacher Geschwindigkeit als auch die Kettenaufbauten, die die IGH antreiben, einen Wirkungsgrad von ca. 98-99% aufweisen“.

Das steht nun im Widerspruch zu den Ergebnissen der Hochschule Trier, nach der unter idealen Bedingungen der Riemen weniger effizient ist, als die Kette, wenn auch nicht unbedingt merkbar. Aber auch in Trier wurde die Nabenschaltung als „Effizienzkiller“ ausgemacht.

Das heißt also, egal ob Riemen oder Kette (beide haben laut Ryan einen Wirkungsgrad von 98-99%) – das Getriebe ist der eigentlich Schuldige, wenn es um Effizienzverluste geht!?

Für wen ist der Riemenantrieb dann besonders geeignet?

Ryan Osborn sagt: „Riemen haben in manchen Situationen echte Vorteile, funktionieren aber nicht so gut wie Ketten in anderen Situationen. Der Riemenantrieb ist besonders vorteilhaft für Pendel- und Tourenfahrten. In Verbindung mit einer guten IGH haben Sie ein saubereres, wartungsarmes, langlebiges Allwetter-Pendler- oder Tourenrad.

Die Reduzierung der erforderlichen Reinigungszeiten und die längere Lebensdauer der Komponenten bedeutet, dass Sie bei schlechteren Bedingungen mit weniger Zeitaufwand für die Wartung weiter vorankommen können.“

Fazit 2:

Laut Gates gibt es keine Unterschiede im Wirkungsgrad zwischen Kette und Riemen. Allerdings wird schon eingeräumt, dass bei geringen Eingangslasten die Kette einen Vorteil hat. Bei einer Leistung von mehr als 200 Watt hat der Riemen einen Vorteil. Das dürfte dann durchaus den trainierten Tourenradler ansprechen.

„Aber in Fällen, in denen Effizienz wichtiger ist als Wartung und die Lebensdauer der Komponenten, oder eine Verzahnung erforderlich ist (wie im professionellen Straßenrennsport), ist ein Kettenschaltsystem eine bessere Option als ein Riemenantrieb“, ergänzt Ryan Osborn.

Vielmehr aber sind die Nabengetriebe hauptsächlich verantwortlich für Effizienzverlust:

„Wie bereits erwähnt, gibt es bei gleichem Aufbau keinen großen Unterschied in den Wirkungsgraden. Und tatsächlich gibt es Situationen, in denen der Riemen leicht effizienter sein kann als eine Kette. Wenn jedoch zusätzliche Übersetzungen benötigt werden, ist ein separates Getriebe erforderlich (…) Diese Getriebe haben (alle) ihren eigenen Wirkungsgrad, und die Verluste aus diesen Systemen müssen zu den Verlusten des Riemens (oder der Kette) addiert werden, wenn man das System als Ganzes betrachtet. Diese (…) Getriebe haben alle ihre eigenen Eigenschaften und Nachteile, und oft lohnen sich die Abstriche in der Effizienz wegen ihrer längeren Lebensdauer, geringen Wartungsaufwand, Allwettertauglichkeit, usw.“, schließt Ryan Osborn.


Exkurs: Sven und sein Riemen auf großer Fahrt

Und an dieser Stelle kommt mein WhatsApp Gespräch mit Sven Marx ins Spiel, denn in seinem Fall zeigt sich beeindruckend der Vorteil von Riemen + Nabenschaltung auf Tour.

Sven und sein Daumen © Sven Marx

Sven ist als Mutmacher derzeit mit dem Rad in der Welt unterwegs und verlässt sich seit über 30.000 km auf den Riemenantrieb in Verbindung mit einer Rohloff.

Ich habe mal ein Foto von ihm gesehen, auf dem sein Riemen einen Riss hatte. Daraufhin angesprochen, erzählte er mir, dass sein Riemen nach 10.000 km ein Loch hatte. Er fuhr aber dennoch weiter damit. Nach 27.500 Kilometern entdeckte er den Riss im Riemen und beschloss diesen dann zu wechseln. Das hat aber noch ein paar tausend Kilometer gedauert. Er meinte, dass er noch mindestens weitere 2 bis 3.000 km damit gefahren sei.

Svens neues Rad © Sven Marx

Dann hat er nur den Riemen gewechselt und Ritzel als auch Tretkranz nicht getauscht (die sahen noch gut aus) und fährt seitdem ohne Probleme mit neuem Riemen.

Nach seiner Aussage kommen für ihn auf Tour nur noch Rohloff und Riemen in Frage. Wartungsarmut und die nachweislich hohe Lebensdauer sind für ihn dabei ausschlaggebend. Er muss sich um nix kümmern, macht den Riemen ab und zu mal mit Wasser sauber und das war es.


Und nun?

Mir haben die Gespräche, Emails, Artikel und Forenbeiträge zum Thema vor allem eines gezeigt: die Frage nach der Effizient ist, zumindest für den Bereich, in dem sich die Mehrheit der Radler bewegt, eher unerheblich.

Was ich in der Tat anmerken muss ist, dass das „Hochjubeln“ des Riemens mit Verweis auf eine bessere Effizienz nicht korrekt ist. Da darf man sich auch nicht wundern, wenn es Leute gibt, die sich da veräppelt vorkommen und dahinter eine „Verschwörung der Riemenindustrie“ sehen und gleich selber Testanlagen aufbauen und mit viel Aufwand beweisen wollen, dass hier etwas nicht stimmt.

Es gibt nicht richtig oder falsch – es ist sehr oft eine Frage des persönlichen Geschmacks und Einsatzbereichs:

Wenn es schnell und effizienter sein soll – die Kette

Wem es auf Schnelligkeit und Effizienz ankommt (messbare und ggf. individuell spürbare), der sollte auf eine Kettenschaltung setzen. Aber auch wer auf Tour auf Nummer sichergehen möchte und den Anteil der Komponenten, die man nur mit speziellen Ersatzteilen reparieren kann, reduzieren möchte, sollte zur Kettenschaltung greifen.

Nachteil: Hoher Wartungsaufwand und geringere Lebensdauer (also die der Kette 😉 ). Und mit der Vielfalt an Schaltungen sind nicht immer alle Ketten überall verfügbar (10fach/11fach/12fach, etc.). Im Vergleich zum Riemen ist das Gewicht auch höher.

Wer es wartungsarm und langlebig braucht, der greift zum Riemen

Wem es auf ein Antriebssystem geht, um das man sich nicht groß kümmern muss und das auch unter widrigen Bedingungen funktioniert, der setzt nach wie vor auf die Getriebenaben in Kombination mit einer Kette oder einem Riemen. Der Vorteil bei der Riemenkombination ist der insgesamt geringere Wartungsaufwand, Gewicht und die höhere Lebensdauer des Triebs im Vergleich zu einer Kette.

Nachteile: die Investitionskosten für den Riemenbetrieb sind im Vergleich zur Kette höher (amortisieren sich aber eigentlich über die Laufzeit). Eine Ersatzkette mitzuführen ist einfacher, als einen Ersatzriemen zu transportieren. Zudem kostet der Riemen wesentlich mehr als eine Kette und ein Riemen-Gesamtsystem zu ersetzen ist nicht überall auf der Welt möglich.

Also:

Pro und Con gibt es genug und man darf bei all dem nicht vergessen, dass es nie um ein Entweder/Oder geht. Der Riemen ist eine prima Ergänzung zum Kettenantrieb. Und wir gewinnen doch am Ende, weil wir noch mehr Vielfalt und Wahlmöglichkeiten haben, was den Antrieb angeht.

Egal ob Riemen oder Kette: Hauptsache man fährt mit dem Rad und hat Spaß!

Ich fahre beides: Kettenschaltung und Riemenantrieb mit Rohloff. Und ich liebe es so und bin von den für mich erlebten Vorteilen dieser Kombination überzeugt. Und wenn ich schneller ans Ziel kommen möchte und dabei weniger Kraft aufwenden will, dann würde ich erstmal meine aktuellen Allwetterreifen wechseln. Das bringt sicherlich eine Woche weniger Fahrzeit aufs Jahr gerechnet! 😉

Ergänzung Dezember 2018:

Ich fahre mittlerweile meinen zweiten Riemen. Der erste ist nach nur 4.500 km kaputt gegangen. Die Gründe dafür waren vielfältig. Aber auch, dass ich den Riemen nicht besonders gepflegt habe. Warum auch, sollte er doch nahezu wartungsfrei laufen. Beim zweiten Riemen wurde mir nahegelegt, dass ich ihn öfter reinigen sollte und die Riemenspannung regelmäßig prüfen muss und wenn es geht, das Hinterrad nicht zu oft ausbauen sollte, da es beim Einbau dann zu eventuellen Schräglauf oder falscher Spannung kommen kann. Das hat mich etwas ernüchtert, was den Riemen angeht, da ich dann ja diesem mehr Achtsamkeit entgegenbringen müsste, als einer Kette. Und das ist dann ja nun mal kein Vorteil.

Der zweite Riemen läuft seit 2.500 km völlig normal. Er quietscht manchmal und macht Reibungsgeräusche, aber da muss er durch. ich kann beim täglichen fahren den Riemen nicht jedes mal reinigen, oder dauernd die Spannung prüfen. Das muss jetzt so klappen, oder er kommt wieder ab. 😉

Ergänzung Frühjahr 2023:

Auch der zweite Riemen ist mittlerweile kaputt. Das Rad wurde nur noch von meinem Sohn zur Schule gefahren. Der Riemen hatte Zahnausfall auf nahezu ganzer Länge. Zudem war das Ritzel erheblich abgefahren. Die Gesamtlaufleistung lag bei ca. 8.500km. Ich habe einen neuen Riemen montiert, da mir das finanziell reichte und ich nicht noch das Ritzel durch eine Werkstatt tauschen lassen wollte. Wenn ich jetzt wählen würde, würde ich wieder komplett zurück auf die Kette gehen.

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