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Was ist eigentlich eine richtige (Rad)Reise?

Meine Nachbarinnen in Mali

Hinweis

Der folgende Beitrag sollte als Diskussionsgrundlage verstanden werden. Ich habe meine Gedanken aufgeschrieben, manchmal sind diese noch nicht zu Ende gedacht, aber hoffentlich geordnet.

Letztens habe ich einen Vortrag über meine Tour durch Kenia und Tansania gehalten. Im Anschluss daran gab es ein paar Fragen aus dem Publikum, zur Ausrüstung, zur Planung und über zukünftige Touren.

Eine Frage fand ich aber besonders interessant: Warum ich denn keine Menschen gezeigt habe, keine Begegnungen und Geschichten von diesen mitgebracht habe? Denn so ist es halt eine Radtour durch ein schönes Land, aber irgendwie…. keine richtige Reise – ergänze ich gedanklich.

Wie so oft denkt man ja erst später über solche Situationen und Fragen nach. Und je mehr ich das mache, desto spannender finde ich das Thema. Eigentlich ist es ja ein Vorwurf an mich, der Erwartung des Zuschauers nicht entsprochen zu haben. Hart ausgedrückt: Mein Vortrag, meine Reise waren nicht „vollständig“. Es fehlte der Faktor Menschen, „Locals“. Habe ich keine Erlebnisse und Begegnungen mit diesen, dann ist die Reise nicht vollständig.

Und das bringt mich zur Frage: Was ist denn heutzutage eigentlich eine richtige (Rad)Reise? Was „muss“ man denn erleben und nachweisen, damit aus meiner Reise eine Reise wird, die von anderen als solche akzeptiert ist? Und sind denn die Erwartungen an eine Reise dank Social Web und Instagram nicht bereits völlig verschoben und total überzogen?

Auf dem Weg in die Sahara

 

Wer heute eine Reise tut…

Eine Reise ist natürlich immer eine individuelle Sache. Der eine reist, um das Land zu entdecken und sich zu fordern, die andere, um Menschen zu treffen und einfach eine tolle Zeit auf zwei Rädern zu haben und wieder ein anderer, um einfach nur schön Rad zu fahren und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen.

Natürlich dokumentieren wir auch unsere Zeit auf dem Rad – entweder um sie der Welt, unseren Freunden oder der Familie zu zeigen oder/und um für sich eine bleibende Erinnerung zu haben. Und das ist auch gut so.

Und doch scheint es eine Erwartungshaltung an die Reisen anderer zu geben. Und ich behaupte mal, dass diese Erwartungshaltung sehr stark geprägt ist von unseren heutigen digitalen Kommunikationsgewohnheiten und von dem, was wir tagtäglich auf Facebook, Instagram und Co. sehen.

 

Zwei Beispiele:

Instagramability

Kennt ihr den Begriff der „Instagramability“? Dieser Trend beschreibt die bemerkenswerte Entwicklung, dass Menschen sich Reiseziele nach deren Fotogenität aussuchen, nach der Auswahl und Qualität möglicher Motive, mit denen sie dann wiederum andere Menschen beeindrucken wollen.

Carsten Drees von Mobile Geeks beschreibt das so schön: „Anstatt sich einen schönen Ort für seinen Urlaub zu suchen und dort gegebenenfalls auch gescheite Fotos zu machen, achtet man explizit vorher bei der Auswahl des Reiseziels (darauf), ob dort geeignete Instagram-Motive zu finden sind — und schlägt dann die Zeit zwischen dem Fotografieren irgendwie tot.“

Das findet vermutlich jeder von uns irgendwie merkwürdig, aber wenn man etwas aufmerksamer durch seinen Instagram-Feed scrollt, entdeckt man vielleicht genau dieses Verhalten. Und es passiert ja nicht, weil es die Menschen (also auch uns) nicht interessiert, sondern genau, weil wir es irgendwie auch interessant finden. Schöne Bilder sind immer gerne gesehen und auch ich verteile hier ab und zu mal meine Herzchen.

In diesem Zusammenhang gab es auch mal eine Kampagne mit dem Hashtag #youdidnotsleepthere (Du hast dort nicht geschlafen), die sich gegen teilweise absurde angebliche Zeltplätze richtet, wo die jeweiligen Leute angeblich geschlafen haben.

Auch das ist ein Zeichen von Realität vs. Erwartungshaltung an eine Reise, die dann zu solchen Bildern führt und Menschen dazu bringt, solche Bilder aufwändig zu machen.

Auf dem Tuscany Trail

Traveller vs. Tourist

Ein anderes Beispiel gibt einen Blick auf den Wettbewerb, dem sich heutzutage offensichtlich viele Reisende ausgesetzt sehen: Die Abgrenzung vom Tourist-sein. Mit dem Aufkommen von Reiseblogs gab es (und gibt es) die Bemühungen, sich vom Rest der Reisenden abzugrenzen. Warum auch immer geht es hierbei um den Unterschied zwischen Traveller (also Reisender) und Tourist. Wobei Traveller die Guten sind und Touristen immer die anderen.

Nach dieser Auffassung ist ein Tourist jemand, der in einem Pauschalreise-Korsett aus Hotel, Strand und Essenszeiten gefangen ist. Und der sich nur die Sehenswürdigkeiten anschaut, anstatt das Land zu entdecken (Nur als Hinweis aus meiner Sicht: Sehenswürdigkeiten heißen nicht umsonst Sehenswürdigkeiten und sie sind meist sehr schön und interessant und beeindruckend. Natürlich ist ein Taj Mahal total überlaufen, aber es ist dennoch ein Erlebnis und beeindruckt).

Oder wie Simone von Wolkenweit schreibt: „Für mich sind Pauschalreisen keine Reisen. Reisen sind kein zu 100% durchgeplanter Pauschalurlaub mit festen Essenszeiten, Abholdienst vom Flughafen, festgelegten Touren, die vorher schon hundert oder tausend andere Touristen gemacht haben. Es ist kein festgeschnürtes Paket, das kein Platz für Planänderungen lässt. Es ist kein Pendeln zwischen Hotelzimmer, Strand und Buffet. Keine Isolationshaft.“

Im Gegensatz dazu gibt es den Traveller, der (angeblich) frei von allen Zwängen tatsächlich das Land und die Leute (Locals!) entdeckt und die Schönheit des jeweiligen Landes abseits der Sehenswürdigkeiten erlebt. Ein Traveller macht also eine Reise, ein Tourist verlagert seinen Alltag nur in eine andere Region der Welt.

Das Taj Mahal in Indien

In diesem Zusammenhang finde ich auch den Beitrag von Fiona von Life Locations lesenswert, wo sie aus ihrer Sicht die Unterschiede zwischen Travellern und Touristen aufzählt.

Ich finde das problematisch, denn hier wird mit Ausgrenzungen gearbeitet, damit das eigene Handeln und Reisen besser oder gehaltvoller, ehrlicher und wahrhaftiger ist oder zumindest so wirkt.

Ich sage, es gibt einfach unterschiedliche Arten, die Welt für sich zu entdecken. Und alle haben ihre Berechtigung und keine ist besser oder schlechter, sondern einfach nur anders. Ich kann auch nichts einem Hotelurlaub am Strand abgewinnen, aber sind jetzt alle anderen Menschen, die nicht Radreisen machen wie ich, die nicht im Zelt schlafen und in abgelegene Ecken der Erde unterwegs sind automatisch schlechter? Bin nur ich der einzige, der richtig reist, der einzige, der die wahre Art des Reisens kennt und erlebe nur ich das Land und seine Menschen wirklich und echt? Natürlich nicht.

Fiona sieht das vermutlich am Ende ihrer Überlegungen auch ähnlich, denn sie schreibt: „Ich genieße das langsame und intensive Reisen ohne jeglichen Zeitdruck. Ich liebe es Essen auf lokalen Märkten zu kaufen. Ich entdecke und erkunde oft abseits der typischen Touristen Pfade. Ich trage kein I ♥ NY T-Shirt und keinen riesigen Sonnenhut (…). Kann ich mich jetzt als Traveller bezeichnen? Egal wie lange ich unterwegs bin oder welche prinzipielle Reise-Einstellung ich habe — für die Locals bin ich doch immer ein Tourist, oder?“

 

Was gehört denn heute zu einer richtigen (Rad)Reise?

Nehmen wir mal an:

 

In Patagonien

Abenteuer ist, was dazwischen kommt

Bei meinen Reisen erlebe ich nicht immer alle diese genannten Punkte. Jede Reise ist anders, entwickelt sich anders. Und ich weiß vorher nicht, was passieren wird.

Ist es das Land oder die Strecke, die mich überraschen? Oder sind es die Menschen und das Unerwartete, dass meine Reise bereichern werden?

Fünf Mal war ich bislang mit dem Fahrrad in Afrika unterwegs. Meine Tour durch die Sahara war sehr stark von persönlichen Begegnungen geprägt, wie meiner Arbeit als Friseur vor Timbuktu oder meine Tage mit einem Medizinmann am Niger Fluss. Und die letzte Tour durch Kenia und Tansania war weniger durch die Menschen geprägt, sondern viel mehr durch das wunderbare Land. Und dass ich dort beim Radfahren auch herausgefordert wurde. Mir reicht das völlig…

Aber ich würde nie behaupten, das jeweilige Land oder die Leute besser zu kennen, mehr gelernt zu haben und nun im Unterschied zu einem Safari-Touristen mehr erfahren zu haben. Vermutlich sogar weniger, sehr wahrscheinlich anders. Ich bin im Kern von A nach B gefahren, habe dabei Beobachtungen gemacht, Erlebnisse gehabt und mir ein kleines Bild machen können vom Leben dort. Das ist aber nie komplett und es bildet schon mal gar nicht die „Wahrheit“ ab. Ich reise auch nicht mit dem Ziel, das zu erreichen.

 

Was war denn jetzt eigentlich deine Antwort…

…auf die Frage nach den fehlenden Menschen und Begegnungen? Ganz einfach: Zum einen suche ich unterwegs nicht proaktiv den Kontakt zu anderen Menschen. Ich bin viel lieber alleine. Ich lasse mir nichts schenken, sondern bezahle es oder gebe Gleiches zurück. Ich begegne natürlich Menschen und habe auch Austausch mit ihnen, aber ich mache da meist keine Bilder. Das kann ich irgendwie nicht, auch wenn ich es gerne möchte. Es würde oft auch die Begegnung zerstören. Und eigentlich mache ich dann die Bilder ja nicht für mich, sondern für „euch“, um zu zeigen, wen ich getroffen habe. Und das fände ich komisch.

Ich als Friseur in Mali, kurz vor Timbuktu

Aber nun mal zu euch…

Was meint ihr zu diesem Thema, was ist für euch eine echte Reise?

Und damit wir gleich „richtig“ in die Diskussion einsteigen, antizipiere an dieser Stelle schon mal ein paar der üblichen Antworten auf diese Art von Diskussionen:

  1. Ja, natürlich ist es immer eine individuelle Sache, wie man eine Reise findet und es geht niemanden was an.
  2. Ja, es ist und sollte einem völlig egal sein, was andere darüber denken. (nur ist das nie der Fall 🙂 )
  3. Ja, man muss nicht in ferne Länder reisen und der Klimawandel wird es uns allen noch zeigen.
  4. Ja, das Social Web ist unser Untergang, zerstört alles, früher war es besser, weil einfacher, weil nicht jeder seine Geschichte erzählen konnte.
  5. Ja, du kannst nicht diesen Geltungsdrang verstehen, den manche an den Tag legen und über ihre Erlebnisse oder Nicht-Erlebnisse berichten. Du schreibst und fotografierst ohnehin nur für dich und niemanden sonst. Und so reist du auch.
  6. Ja, das Thema ist völlig banal und ich sollte mehr Radfahren.

So, dann haben wir das erledigt und können uns dem eigentlichen Thema widmen.

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