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Lasst uns mal über Fahrräder & Nachhaltigkeit sprechen

Fahrrad Nachhaltigkeit

Wie nachhaltig ist das Fahrrad eigentlich? Ein Vorschlag für mehr Transparenz

Der „Bicycle Sustainable Index“ oder warum wir bei Fahrrädern mehr hinschauen sollten

Es ist schon interessant: Beim Essen ist uns wichtig, woher es kommt, wie es produziert wird, wie die Tiere gehalten werden, welche Zusatzstoffe verwendet werden und welche Nährwerte es hat. Bei Kleidung ist es ähnlich: Wie wird diese hergestellt, wie sind die Arbeitsbedingungen vor Ort, das Material und die chemische Belastung? Oder bei der Unterhaltungselektronik: Welchen Energieverbrauch hat der Fernseher, unter welchen Bedingungen wird das Smartphone gefertigt? Oder bei Kühlschränken und Waschmaschinen: Wie hoch ist der Energieverbrauch, die Lebensdauer und Recyclingfähigkeit? Und auch bei Autos sind wir – berechtigterweise – immer kritischer und schauen genau hin, welche Kosten bei der Herstellung und beim Betrieb entstehen.

Wir verlangen also bei sehr vielen Produkten und Services mehr Transparenz, haben mehr Fragen und erwarten auch mehr Nachhaltigkeit und Ethik in der Herstellung und im Handeln.

Marken und Unternehmen müssen sich immer mehr auch an diesen Faktoren messen lassen und gewinnen oder verlieren bei uns an Akzeptanz und Kaufbereitschaft.

Rund 70 Prozent der Kunden legen beim Kauf Wert auf Nachhaltigkeit der Produkte oder des Unternehmens. Und nur ein geringer Teil der Kunden empfindet Nachhaltigkeit als nicht relevantschreibt die Horizont, ein Magazin für Marketingmacher und bezieht sich auf die Studie „Sustainability Image Score (SIS) 2017“.

Und damit wir uns als Verbraucher zurechtfinden und die für uns richtigen Entscheidungen treffen, gibt es eine ganze Reihe von Siegeln und Indikatoren. Nahezu jedes elektronische Gerät hat ein Energieverbrauchslabel, Lebensmittel haben ausführliche Inhaltsangaben und Hinweise auf die entsprechende Herstellungsart und Autos was den Verbrauch und CO2 Ausstoß angeht.

Marken werben immer mehr mit Nachhaltigkeit und sozialem Engagement, da dies maßgeblich die Kaufentscheidungen beeinflusst. Unter dem Titel „Nehmen Marken Nachhaltigkeit ernst genug?“ schreibt das „Sourcing Journal“ (ein B2B Magazin), dass die Kunden sehr gebildet sind und dementsprechend auch die Erwartungen und Ansprüche an Marken steigen, vor allem was das Thema Nachhaltigkeit angeht. Greenwashing wird durchschaut und auch plakative, aber nicht nachhaltige Maßnahmen oder Kommunikation werden entsprechend negativ bewertet.

Die Kunden erwarten eine echte Haltung, die nachweisbar Nachhaltigkeit und Arbeitnehmerrechte beachtet und in den Mittelpunkt des Geschäfts rückt.

Gerade bzw. auch die Outdoorbranche ist in den letzten Jahren in die Kritik geraten, was die Verwendung bestimmter Materialien und die Herstellung von Kleidung und Ausrüstung angeht. Vor allem die Verwendung von PFC ist sehr belastend für Umwelt und Natur.

Seit ein paar Jahren gibt es durchaus bemerkenswerte Entwicklungen und Unternehmen wie Vaude oder Patagonia setzen ganz auf Transparenz, Nachhaltigkeit und umweltverträgliche Produktion.

Letztens habe ich eine Übersicht gefunden, in der Outdoorunternehmen nach Nachhaltigkeit geranked wurden. Das Bedürfnis nach Aufklärung, Transparenz und vor allem Orientierung scheint also hoch zu sein.

@ rankabrand.de

 

Und wie ist das eigentlich bei Fahrrädern?

Interessanterweise scheint es dieses Interesse und diese Forderung nach Transparenz bislang bei Fahrrädern und Fahrradteilen nicht zu geben. Und darüber möchte ich heute mit euch mal sprechen, denn ich finde, auch hier sollten wir genauer hinschauen.

Natürlich wird das Fahrrad immer als eines der umweltfreundlichsten Fortbewegungsmittel betrachtet. Fahrradfahrer sind quasi aktive Umweltschützer und wir haben es uns mit diesem Image ganz gut eingerichtet. Allerdings ist die tatsächliche Nachhaltigkeit hier aus meiner Wahrnehmung nur ein Randthema und wenn mal jemand fragt, ist es oft auch schnell vorbei. Allein die Diskussion rund um eBikes und Pedelecs bringt das Thema immer mal wieder auf die Agenda. Dann geht es aber eher um die CO2-Kosten in der Produktion eines eBikes und wann diese sich amortisieren. Und um die Recyclingfähigkeit der Akkus sowie die Entstehungskosten für den Strom.

Das Utopia Magazin schreibt dazu: „Ohne lang und breit über das „kommt drauf an“ zu philosophieren, lassen sich einige Fakten nennen. Denn das E-Bike ist natürlich umweltfreundlicher als ein Auto, es verbraucht aber mehr Ressourcen als ein Fahrrad oder ein Paar Schuhe.

Und weiter: „Es (ist) derzeit nicht möglich (…), diese ganzen Komponenten (für ein eBike/Pedelec) zuverlässig aus sozialverträglichen und umweltfreundlichen Quellen zu beschaffen. Das Fahrrad ohne Elektro ist immer grüner.

© www.pd-f.de / messe-friedrichshafen / eurobike

 

Nachhaltigkeit kommt auf den Rahmen an

Abgesehen von der Antriebsdiskussion beim Fahrrad wird vor allem die Art des Rahmenmaterials und die Kosten für dessen Produktion, Transport und Auslieferung diskutiert.

Das ist durchaus ein wichtiges Thema, denn gerade in Zeiten von Carbon-Rädern und -Komponenten wird oft vergessen, dass die Herstellung einen sehr hohen Energie-Verbrauch hat und mit die meisten CO2-Emmission verursacht. Zudem ist es nicht recyclingfähig.

Und da hilft aus meiner Sicht kein Vergleich, wie es Felix Puello von Haibike versucht: „Mit dem Carbon, das in einem einzigen Verkehrsflugzeug wie dem Airbus A380 oder dem Boeing ‚Dreamlinerʻ verbaut wird, könnte man zehntausende von Fahrradrahmen herstellen“.

Das ist kommunikativ natürlich auf den ersten Blick schlau, denn man verschiebt das Problem in eine andere Dimension und lässt es somit für sich klein wirken. Aber es bleibt trotzdem so, dass viele Carbon-Räder und -Teile auf dem Markt sind und gekauft werden, die aus ökologischer Sicht ein Problem sind – egal ob die Flugzeugbranche noch böser ist.

Glaubt man den entsprechenden Untersuchungen, dann schneidet ein Rahmen aus Stahl am besten ab, auch wenn die Herstellung natürlich ressourcen- und energieintensiv bleibt.

@ Velotraum.de // Quelle: Stahl – aus ökologischer Sicht der überlegene Werkstoff. (Quelle: Ritthoff et al., 2004, Stahl im Vergleich – Verfahren, Ressourceneffizienz, Recycling, Umwelt. Stahl und Eisen 124, Nr. 7., S 62—66)

Carbon-Rahmenfahrer sind also ökologisch gesehen nicht auf der richtigen Spur, Alu-Rahmen-Fahrer auch nicht wirklich und Stahl ist das geringste Übel. Bambus ist eine gute Alternative, auch wenn dies importiert werden muss, was wiederum Klimakosten entstehen lässt. Die Argumentation ist hier, dass man diese Transport-Kosten (CO2) durch soziales Engagement im Herkunftsland wieder ausgleichen kann (siehe My Boo).

Als Radfahrer machen wir ja gerne die Rechnung auf, dass die Kosten der Herstellung sich im Laufe der Zeit durch die Benutzung und damit aktive CO2-Vermeidung wieder ausgleichen. Ok, kann man machen und stimmt sicherlich auch. Kommt natürlich auf die Nutzungshäufigkeit an. Entstanden sind die Umweltkosten aber trotzdem. Beim Flugzeug gleiche ich das mit Atmosfair Zahlungen aus, beim Fahrrad mit Radfahren. Also ist es in beiden Fällen doch ein Nullsummenspiel!? (Ich provoziere hier mal ein bisschen 😉 )

 

Beim Fahrrad ist alles im grünen Bereich?

Und wenn man sich weiter mit dem Thema beschäftigt, dann kann man den Eindruck bekommen, alles sei im grünen Bereich. So schreibt der Pressedienst Fahrrad in seinen Beiträgen „Das ökologische Fahrrad“ und „Fahrrad und Ökologie: Schlaglichter aus der Branche“ über sich verbessernde Recyclingprozesse für eBike Akkus, die man am besten in Europa fertigen sollte, wo doch 90% der Akkus aus Asien kommen, das Pinion auf kürzere Produktionswege setzt, Reparieren statt Wegwerfen eine gute Idee ist, Schwalbe seine Schläuche recycled, Chris King auf einen geschlossenen Produktionskreislauf setzt, Busch & Müller das Wasser besser nutzen und das Flyer sich eine energiesparende Produktionsstätte mit Solar gebaut hat.

Alles “grün” beim Fahrrad?

Die genannten Maßnahmen und Aktionen sind gut, keine Frage, aber so ganz überzeugt bin ich nicht. Denn sie verstellen aus meiner Sicht den klaren Blick auf das Thema „Wie nachhaltig ist mein Fahrrad wirklich?“.

Apropos Recycling der Akkus: Das ist nämlich gar nicht so einfach erledigt, wie man vielleicht denkt (oder von Händler/Hersteller gesagt bekommt): „E-Bike-Akkus zählen zu den Industriebatterien. Die gute Nachricht ist, dass die Importeure zu ihrem Recycling verpflichtet sind, sie dürfen nicht einfach verbrannt werden (= thermische Verwertung). Die schlechte Nachricht ist jedoch, dass die Recycler in der Kategorie „Sonstige Batterien“ nur 50 Prozent recycelte Stoffe nachweisen müssen – und diese Quote derzeit auch kaum zu steigern ist“, so das Utopia Magazin.

Und Arndt Oehler fasste es in FahrradZukunft #9/2009 schon mal gut zusammen: “Die Werbebotschaft, Fahrräder mit Elektroantrieb könnten dank geringer CO2-Emissionen helfen, das Weltklima zu retten, ist falsch. Auch die Werbung mit niedrigen Verbrauchskosten ist verlogen. Lithium-Ionen-Akkus sind in der Produktion teuer und energieintensiv. Lithium ist eine begrenzte Ressource, die nicht verschwendet werden sollte. Wer CO2 im Verkehr sparen will, sollte in erster Linie das Fahrradfahren fördern und nicht Radfahrern Zusatzantriebe schmackhaft machen.

Und selbst die Autoren des Pressedienst-Fahrrad sind dann offensichtlich doch nicht wirklich überzeugt von den ganzen Anstrengungen: „Am Ende können die Hersteller nur möglichst transparente Angebote schaffen. Das Fahrrad ist in der Gesamtschau kein Null‐Emissionen‐Fahrzeug. Was im Einzelnen sinnvoll und vertretbar ist, muss jeder selbst entscheiden. Das Wissen um die Produkte und wie sie hergestellt werden hilft dabei. Das Verantwortungsbewusstsein des Kunden kann es aber nicht ersetzen.

Moment mal!

Wird hier aber so nicht gerade die Verantwortung mal schön von den Unternehmen zum Verbraucher geschoben? Oder ist die Fahrradbranche einfach nur bequem oder hat das Thema noch gar nicht erkannt?

Wie auch immer – Ich hätte da einen Vorschlag…

 

Plädoyer für einen „Sustainable Bicycle Index“

Bei Fahrrädern reden wir also vor allem über die Rahmenherstellung und vielleicht noch über die Akkus bei eBikes. Das greift aus meiner Sicht aber zu kurz.

Warum? Ein Fahrrad besteht aus vielen Komponenten und nicht nur dem Rahmen.

Utopia schreibt dazu: „Ob E-Bike oder herkömmliches Fahrrad: Es besteht größtenteils aus Metall – Stahl und Aluminium – und Kunststoffen. Selbst wenn recycelte Komponenten eingesetzt werden, sollte ein langer Nutzungszyklus das Ziel sein, sowie eine lokale Produktion, in der möglichst hohe Umweltstandards eingehalten werden.

Und wie zum Beispiel Vaude seine Lieferkette überwacht und zertifiziert, sollten es doch eigentlich auch die Hersteller von Fahrrädern machen, oder? Und wie bei den Klamotten sollte uns doch auch interessieren, woher die Komponenten kommen, wie diese hergestellt werden und unter welchen Bedingungen.

Einige Komponenten-Hersteller sind natürlich schon aktiv geworden. Selle Royal ersetzt beispielsweise erdölbasierte Kunststoffe durch organisches Material und fertigt die Gel‐Einlagen zum Teil aus Kork. Aber da muss man erst viel recherchieren, um das zu erfahren.

Und weil wir gerade bei Sätteln sind: ist es eigentlich noch ok, einen Sattel aus Echt-Leder zu fahren?

Ihr seht hoffentlich, wohin ich mit meiner Argumentation möchte und schlage daher vor, dass Fahrräder wie auch andere Gebrauchsprodukte deutlich transparenter gekennzeichnet werden und die Fahrradbranche sich hier bewegt.

@ www.pd-f.de / Messe Friedrichshafen / Eurobike

 

Wie wäre es also mit einem Sustainable Bicycle Index?!

Er gibt Auskunft über zwei Bereiche:

Die ökologische Nachhaltigkeit und die soziale Nachhaltigkeit.

Die ökologische Nachhaltigkeit

gibt Auskunft über die CO2-Kosten in Herstellung und Transport, inkl. einer Prognose, wann der CO2-Ausgleich erstrampelt ist. Zudem informiert er über die Verwendung von Schadstoffen, die Zusammensetzung der Produkte (und den Umfang an seltenen Erden bei Akkus), den Anteil an tierischen Stoffen im Produkt, den Recyclinganteil des Produkts oder gesamten Fahrrades und welche sonstigen Maßnahmen zum Umweltschutz in der Produktion geschaffen wurden.

Die soziale Nachhaltigkeit

gibt Auskunft über die Produktionsbedingungen, Herkunftsorte, Zulieferzertifizierungen, aber auch Equal Pay (die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern), Diversity (die Respektierung und Förderung von Vielfalt an Geschlechtern, Religion, sexueller Orientierung in Unternehmen), Ausbildungsbetrieb, Förderung des Handwerks und des Standortes, Haltung und Ethik des Unternehmens und das (soziale) Engagement hierzulande und weltweit.

Das Ziel:

Nicht nur mit gutem Gewissen Rad zu fahren, sondern auch mit gutem Gewissen ein Fahrrad (und die Ausrüstung) zu kaufen.

@ www.pd-f.de / Messe Friedrichshafen / Eurobike

Das sind also schon ganz schön viele Informationen, die man in einem solchen Index integrieren kann. Aber nicht versteckt in einem Geschäftsbericht in Schriftgröße 6, sondern übersichtlich und leicht verständlich.

Wie ein Energielabel, welches jedes Fahrrad und jedes Ausrüstungsteil kennzeichnet und so dem Konsumenten mehr Transparenz gibt.

Wie das aussehen soll? Keine Ahnung, aber ich denke doch, dass es da Möglichkeiten gibt.

Es kann eine neue Art von Qualitätssiegel sein, mit dem sich für Marken und Handel durchaus interessante Vermarktungsmöglichkeiten bieten würden. Da würde in Blick in die Autoindustrie, zum Beispiel zu Toyota, oder in die Unterhaltungselektronik zu Samsung durchaus lohnen, denn die sind schon länger mit diesen Kundenforderungen konfrontiert und haben da durchaus interessante Sachen in der Marketingkommunikation ausprobiert.

Oder ist das alles eher Mist, da wir Radfahrer ja per se nachhaltig sind und das Fahrrad im Vergleich zu allem ohnehin die derzeit beste Alternative ist?

Und man sollte da bitteschön nicht kritischer sein als nötig?

Oder gibt es das gar schon und ich habe es nur nicht gesehen?

 

Ich freue mich über eure Meinungen!

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