Reiseradler-Interview #42: Kevin von Meerespendler.com

Reiseradler Interview Kevin Meerespendler
@Meerespendler.com

Zur Arbeit von der Ostsee zur Nordsee. Fast täglich. Mit dem Fahrrad. Kevin Mischker ist Entwickler für erneuerbare Energien, lebt in Schleswig-Holstein und pendelt fast täglich von Flensburg nach Bredstedt und damit zwischen den Meeren. Fahrradfahren ist seine Leidenschaft und besonders lange Strecken mit dem Fahrrad zu bewältigen und sich dabei zu fordern, gehört auch dazu. Im letzten Jahr war er bei Regines Radsalon zu Gast, die ihn auf einer seiner verrückten Touren getroffen hat. Damals fuhr er von Berlin über Prag und Zürich nach Bonn. Das fand ich interessant und als er dann im Frühjahr die Tour von (Hamburg) St. Pauli nach St. Tropez mitfuhr, wollte ich mehr über diesen Langstrecken-Meerespendler wissen. Daher freue ich mich nun, Kevin im Reiseradler-Interview begrüßen zu können…

Reiseradler Interview Kevin Meerespendler
Kevin und das Meer @Meerespendler.com

Zum Warmwerden: Wie bist Du zum Radfahren gekommen?

Tatsächlich bin ich schon immer gerne radgefahren. Auf dem Dorf aufgewachsen war es mein erstes Fortbewegungsmittel, um meine Freunde im Dorf zu besuchen. Ich erinnere mich noch als ich unbedingt ein Mountainbike haben wollte und mein Vater damals sagte: „Nein, du bekommst ein Treckingrad mit 3 Gängen“. Das fand ich so uncool, aber ich bin dennoch nicht weniger gefahren.

Aber so richtig zum (Langstrecken-)radeln gekommen, bin ich vor etwa 3 Jahren. Privat und auch beruflich lief es nicht so gut. Abends lag ich im Bett und ich stolperte über „Mark Beaumont: The man who cycled the world“. Nachdem ich seine Dokumentation angeschaut hatte, wollte ich unbedingt los! Bis ich allerdings meine erste richtige Tour angehen konnte, verging über ein halbes Jahr, da ich noch gar kein Fahrrad hatte.

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Aber im Hintergrund liefen alle Vorbereitungen, um meine erste Tour zu vollbringen: Flensburg – Berlin – Rostock. Mein neu erworbenes Giant Anyroad habe ich dann mit einem Tubus Gepäckträger ausgestattet. Dazu gab es noch ein kleines Zelt „Dackelgarage“, Schlafsack, Isomatte und los geht’s. Für die knapp 800km habe ich damals über 7 Tage gebraucht. 3 Jahre später weiß ich auch, dass man 760km (Hamburg – Berlin – Hamburg) auch in weniger als 48 Stunden fahren kann.

Zum Träumen: Wo warst Du schon überall und wo musst Du unbedingt noch hin?

Ich war schon in: Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich, Luxemburg, Schweiz, Österreich, Kroatien, Tschechien, Palma de Mallorca

Ich habe mir vorgenommen alle europäischen Länder mit dem Rad zu bereisen. Gefällt hat mir hat mir Tschechien am meisten nach meiner letzten Tour von Berlin – Prag – Zürich – Bonn.

Im nächsten Jahr möchte ich mehr den Osten Europas mit dem Rad entdecken!

Zum Verstehen: Von St. Pauli nach St. Tropez – was reizt Dich an diesen Rad-Marathons?

Zusammen zu leiden, lachen und diese wunderschöne Welt da draußen zu entdecken. Auf dem Rad kann man so herrlich alleine sein, aber trotzdem in der Gruppe Gemeinsamkeit erfahren. Man ist in seiner eigenen Welt, wenn man den ganzen Tag oder die Nacht radfährt; aber man kann auch einfach mit dem Radkollegen über den Sinn des Lebens plaudern, oder darüber fachsimpeln warum Merino Klamotten so toll sind. 

Ja, ich würde tatsächlich sagen, dass das Miteinander fahren bei Weilen genausoviel Kraft kosten kann wie das Radfahren selbst. Aber auf der anderen Seite gibt es einem auch unglaublich viel die Reise im Team zu „erfahren“. Es sind Erinnerungen, die tief sitzen und auch zusammenschweißen. Gemeinsam im Fahrstuhl mit dem Fahrrad von der Hoteldirektorin verweisen lassen, nach Cola lechzen oder trotzdem lachen, wenn man sich gemeinsam den Berg hoch quält.    

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Das was die meisten unterschätzen ist Gruppendynamik und das Einspielen von Fahrern, die sich untereinander nicht kennen. Da kann es schon mal zu Kommunikationsschwierigkeiten kommen, die einen daran zweifeln lassen, ob das jetzt das Richtige ist. Aber genau das macht den Reiz aus: Das Ungewisse, die Komponenten, die man nicht beeinflussen kann.

Die BBB1000 (Barmbek – Brügge – Barmbek) oder die Tour nach St. Tropez würde ich als Adventurecycling bezeichnen. Es ist kein Rennen, kein Brevet sondern irgendwas dazwischen. Es geht nicht darum so schnell wie möglich anzukommen, sondern im festgelegten Zeitraum das Ziel als Team zu erreichen. In diesem Fall die 1.800km in 8 Tagen.

Zum Erfahren: Was hat Dich am meisten unterwegs beeindruckt?

Auf meiner aller ersten Tour von Flensburg nach Hamburg wurde ich von einem dänischen Ehepaar auf einem Campingplatz angesprochen. Sie fanden es faszinierend wie ich mich bei 5°C in mein 1-Mann Zelt gequetscht habe. Weil ich etwas Dänisch konnte, kamen wir ins Gespräch und Sie luden mich zu sich nach Hause ein. Also fuhr ich am nächsten Tag ins tiefste Hamburg. Vorteilhaft, da es abends Gewitter geben sollte. Mich erwartete eine Villa mit Porsche 911 vor der Haustür. Wahnsinn, dachte ich!

Reiseradler Interview Kevin Meerespendler
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Abends gab es Frikassee aus der Tüte und am nächsten Morgen H-Milch mit 99-Cent Müsli mit zu vielen Rosinen. Für mich unverständlich – wie kann man ein teures Auto fahren, aber sich so schlecht ernähren?! 

Auf der einen Seite bin ich dankbar dafür, dass mir einen Unterschlupf für die Nacht gewährt wurde. Auf der anderen Seite ist es ein kompletter Kontrast zu dem wie ich lebe.

Zum Nachmachen: Wie bereitest Du Dich vor und welche Tipps hast Du (für unterwegs)?

Das Fahrrad unbedingt checken lassen. Oder wenn man es kann alle Verschleißteile auswechseln. Zu oft habe ich erlebt, dass bei Mitfahrern die Schaltzüge reißen oder abgefahrene Reifen zu ungewollten Platten führten. Auch sollte man sein Equipment einige Kilometer Probegefahren sein.

Wie verhält sich das Rad beladen? Brauche ich die zweite Radhose wirklich? Auf jeden Fall immer mitnehmen: Reinigungstücher (um die Kette zu reinigen), Bremsbeläge (können schneller runter sein als man denkt) und ein Reisekopfkissen. Das Kissen kann man sich unter den Po legen, wenn man mal ungewollt in einer Bank übernachten muss. Für das Kopfkissen kann man einfach eine Jacke zusammenknüllen.

Für unterwegs wende ich immer den „Ich-fahr-zur-Arbeit-Trick“ an. Beim letzten Festive500-in-one-go von Hamburg zum Brocken und zurück, habe ich mir immer gedacht: „Okay, jetzt einfach nochmal zur Arbeit fahren (50km) und dann eine kleine Pause.“ Das klappt immer super. So teilt man sich die Tour oder die Herausforderungen in Stücke ein. Das ist wichtig – ansonsten erschlägt einen die Kilometerzahl.

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Pause @Meerespendler.com

Ich glaube das Schwierigste bei solchen langen Reisen ist seine Energie richtig einzuteilen, das Richtige zu essen und auf seinen Körper zu hören. Was esse ich nachdem ich 400km gefahren bin? Was tue ich, wenn ich Müde werde? Hier muss jeder selbst wissen was für ihn passt.

Aber Müdigkeit kann man super bekämpfen, wenn man etwas anderes macht was die Aufmerksamkeit vom Radfahren ablenkt. Zähneputzen nachts um halb 4 oder andere Klamotten anziehen. Ein Lied laut singen!

Auch die Macht des Powernap ist nicht zu unterschätzen. 30 Minuten Ruhe in einer lokalen Bank (Vorteil Garmin und Handy können auch an der Steckdose aufgeladen werden) und danach kann man wieder 100km Radfahren.

Zum Leben: Du bist eher alleine unterwegs – wie hat dich das solo Radfahren verändert?

Strava kategorisiert mich als „Lone Wolf“.  Aber das liegt primär daran, dass es in Flensburg nicht so viele Langstreckenradler gibt. Aber ich genieße auch mein eigenes Tempo zu fahren und die größten Radreisen habe ich bis jetzt alleine absolviert.

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Kevin im Feld @Meerespendler.com

Zum Fahrrad: Stell es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Deinem Rad dran?

Die meisten Kilometer habe ich mit meinem SURLY Straggler RH 56 cm, aufgebaut in Hamburg von Tool Bikes (25.000km), gesammelt.

Kevins Surly in Belgien © Meerespendler.com

Schaltung: Shimano 105 (52/36 – 11-25) (Kurbel wird demnächst gegen Ultegra ausgetauscht)
Bremsen: Ultegra Scheibenbremsen Hydraulisch (nachgerüstet, ursprünglich TRP Spyre)

Laufräder: H+Son und NovaTec Nabe

Reifen: 32mm Continental Four Seasons

Packtaschen: Apidura Framebag, Rear und Top

Sattel: Pro Falcon

Navi: Garmin 810

Pedale: PDM-8000

Außerdem fahre ich seit letztem Jahr ein CANYON Endurace CF SLX DISC 9.0.  

Kevins Canyon © Meerespendler.com

Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?

Bis jetzt keine, die mich daran gehindert haben, weiterzufahren. Vielleicht liegt es daran, dass ich das Material nicht immer bis zur Verschleißgrenze fahre, sondern versuche die Komponenten vorher auszutauschen.

Zum Lernen: Was hast du unterwegs immer dabei und auf was kannst du gut verzichten?

Zweite Radhose. Eine langt. Wofür gibt es denn „Rei in der Tube“? Verzichten kann ich nicht auf meine Armlinge, Beinlinge, Jersey, Halstuch und Socken aus Merino. Wenn man wenig mit hat, dann ist es schön, wenn man etwas trägt, was auch am dritten Tag noch einigermaßen angenehm riecht.

Reiseradler Interview Kevin Meerespendler
@Meerespendler.com

Zum Wissen: Dein bislang schönstes und schlechtestes Erlebnis unterwegs?

Die schlimmste Erfahrung war die SAINT1000 nicht zu Ende fahren zu können. Von Tag 1 an hatte ich Probleme mit meinem Fuß. Erst der rechte Fuß, dann der linke. Letztendlich mußte ich auf Grund einer Achillesfersenentzündung nach 1.200km aufhören. Ich hatte mich bis dahin so lange gequält und die Hoffnung nicht aufgeben, dass es vielleicht doch besser werden könnte. Aber am Ende konnte ich nicht mal mehr gefühlte 50 Watt treten. Bis dahin musste ich noch nie auf Grund von körperlichen Problemen eine Tour abbrechen.  Ich dachte ich könnte alles „mental“ schaffen, aber wenn der Körper irgendwann streikt, dann ist es sinnlos weiterzufahren.  

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Unterwegs @Meerespendler.com

Das schönste Erlebnis war der Super-Berlin-Express: 747 km in one-go mit nur 2,5 Stunden „Schlaf“ zusammen mit Rick Rider und Ulli: (https://www.strava.com/activities/1085444671

Die Euphorie der Tage danach und die Erfahrungen, die ich bei diesem Ritt gemacht habe, sind fest verankert. Es war bis jetzt die härteste Tour und auch gleichzeitig die Schönste. Nachts über leere Straßen sausen, in Bushaltestellen und Banken Nickerchen machen und ganz viel essen!

Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?

Definitiv Wiederkommen. Danach ist oft ein „Loch“ und man fragt sich warum man überhaupt (alleine) irgendwo hinfahren soll. Es fehlt irgendwas. Aber das vergeht wieder, und man freut sich auf das nächste Abenteuer.

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Im Schnee @Meerespendler.com

Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant? Wann fährst Du den TCR?

Das ist eine gute Frage. Diese Frage muss ich immer noch mental verarbeiten. Der TCR (Transcontinental Race) läuft nicht weg und es gibt noch so viele Abenteuer, die ich ohne den „Race-Character“ fahren möchte. Aber in den nächsten 2 Jahren wäre es nicht unrealistisch, wenn ich mich fit genug dafür fühle.

Hier gibt es mehr über Kevin:

Website: Meerespendler.com

Instagram: Meerespendler

Facebook: Meerespendler

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