Schon 40 Interviews – und jedes erzählt eine neue Geschichte vom Radreisen durch die Welt. Diesmal berichten Nico aus Berlin und Micha aus Zeulenroda-Triebes über ihre gemeinsame Tour nach Indien. Das Interview haben sie mir schon im November 2017 gegeben. Mittlerweile ist Nico wieder in Berlin und plant neue Touren und Micha ist noch unterwegs und gerade in Malaysia.
Zum Warmwerden: Wie seid ihr zum Radreisen gekommen?
Nico: Ich nutze das Fahrrad für alles: im Alltag um meine Einkäufe zu erledigen und mich in der Stadt zu bewegen, als Sportgerät, mit dem ich meine Runden auf dem Tempelhofer Feld in Berlin drehe und zum Reisen. Ich hatte bisher mehrere kleinere Radreisen im Rahmen meines regulären Jahresurlaubs gemacht und wollte nun einmal für sechs Monate richtig aussteigen, um eine etwas anspruchsvollere Fernreise zu unternehmen.
Micha: Ich habe mit 20 Jahren meine erste Radreise aus meiner kleinen Heimatstadt in Ostthüringen über Prag nach Dresden unternommen – Insgesamt gut 500 Kilometer. Für mich war es anfangs ein Kompromiss, da ich als Schüler und später Student wenig Geld hatte. Nach weiteren Touren an die Ostsee, Brünn, Paris und Salzburg konnte ich mir aber keine bessere Art zu reisen mehr vorstellen. Nach meiner Studienzeit habe ich 2014 eine zweimonatige Radreise nach Istanbul unternommen und wusste nach meiner Rückkehr, dass ich noch viel mehr von der Welt sehen möchte. Das war sozusagen der Grundstein für meine jetzige Weltreise.
Zum Träumen: Wo wart ihr schon überall und wo müsst ihr unbedingt noch hin?
Nico: Neben mehreren verlängerten Wochenendtouren in Europa (Polen, Tschechien, Frankreich, Österreich, Schweiz) bin ich in mit dem Fahrrad in Albanien gewesen, zusammen mit Micha durch Marokko gefahren und im letzten Jahr von Süd-Vietnam über Kambodscha und Laos nach Nord-Vietnam gereist. Mich zieht es dabei vor allem in heiße und sommerliche Gefilde.
Micha: Meine meisten Touren habe ich innerhalb Europas unternommen. Neben den oben genannten Ländern war ich die letzten zwei Jahre überwiegend im Balkan unterwegs. Dabei ging es unter anderem durch abgelegene Täler in Bosnien-Herzegowina, durch den Durmitor Nationalpark in Montenegro, die Puszta in Ungarn und entlang der Adriaküste in Kroatien. Später möchte ich noch unbedingt nach Kirgisistan/Tadschikistan und den Pamir Highway radeln. Aber auch der Südosten von China würde mich interessieren.
Zum Nachmachen: Welches Land könnt ihr empfehlen und warum?
Nico: Mir hat es eigentlich überall sehr gut gefallen. Marokko empfand ich mit seiner Wüste, dem Gebirge, dem Meer und den unterschiedlichen Klimazonen und Vegetationen als sehr interessant und abwechslungsreich.
In Südostasien hat es mir besonderen Spaß gemacht am Mekong-Ufer entlang zu fahren, weil sich dort viele grüne Ecken und saubere Badestellen befinden und ich Südostasien sowieso liebe.
Wunderschön empfand ich auch die Landschaft in Albanien, insbesondere die albanischen Alpen im Norden des Landes, die tatsächlich sehr an die Alpen in Deutschland und der Schweiz erinnern, aber deutlich ursprünglicher erlebt werden können.
Im Oman habe ich mich ebenfalls sehr wohl gefühlt, weil die Straßen hervorragend ausgebaut und nachts sogar beleuchtet sind, die Natur wunderschön ist und wir sehr freundlich willkommen geheißen wurden, wobei die Menschen auch immer eine gewisse Distanz wahren, wie es in einigen anderen Ländern oft nicht Fall war.
Micha: Meine Lieblingsregion ist der Balkan, da sich hier von Strand, Steppen und Bergen bis hin zu endlosen Wäldern und kristallklaren Seen eigentlich alles finden lässt. Und das quasi vor der eigenen Haustür nur wenige 100 Kilometer entfernt. Mein absoluter Favorit ist Bosnien-Herzegowina, da ich die Unberührtheit der Natur schätze sowie die vielfältigen kulturellen Einflüsse. Die Hauptstadt Sarajevo wird nicht zu Unrecht als Schmelztiegel der Kulturen bezeichnet.
Zum Erfahren: Was hat euch am meisten unterwegs beeindruckt?
Micha und Nico: Als einzigartig empfanden wir beide die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen im Iran. Wir wurden fast täglich beschenkt, mit Lebensmitteln, Dingen des täglichen Bedarfs oder sogar mit Geld. Ebenfalls täglich wurden wir zu Menschen nach Hause eingeladen, was wir allerdings aus Zeitgründen meist ablehnten.
Das Interesse der Iranerinnen und Iraner an Touristen im Allgemeinen, aber insbesondere an Radreisenden ist enorm. Allerdings leidet häufig auch ein wenig die Privatsphäre darunter. Wir hatten in der Regel weder während der Mittagspausen, noch vor dem Schlafengehen an unserem Zeltplatz Zeit für uns selber, sondern waren stets umringt von interessierten Passanten und Anwohnern.
Zum Leben: Seid ihr lieber alleine unterwegs, oder zu zweit? Und warum?
Nico: Ich möchte meine Eindrücke, sowohl die positiven als auch die negativen, in jedem Fall mit einem Reisepartner oder einer Reisepartnerin teilen können und nicht jederzeit auf mich alleine gestellt sein – vorausgesetzt natürlich, die Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Vorstellungen passen zusammen. Eine Radreise mit mehr als zwei oder maximal drei Personen käme für mich allerdings nicht in Frage. Da treffen mir dann womöglich zu viele unterschiedliche Wünsche aufeinander und summieren sich gegebenenfalls zu häufig Pannen oder Krankheiten, die so eine Reise behindern können.
Micha: Ich war bisher meistens alleine unterwegs, habe aber mit Nico seit 2015 einen verlässlichen und sehr angenehmen Reisepartner gefunden. Am Reisen zu zweit mag ich besonders die kleinen alltäglichen Gespräche und Diskussionen über Land, Leute, Politik usw.. Und natürlich kann man sich gegenseitig viel helfen, da jeder andere spezielle Stärken und Schwächen hat.
Nach unserer Ankunft in Indien/ Goa Ende 2017 reise ich alleine weiterreisen. Vielleicht ergeben sich aber unterwegs spontan neue Bekanntschaften mit Radreisenden.
Zum Fahrrad: Stellt es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an euren Rädern dran?
Nico: Ich habe bisher immer einen Fokus auf wenig Gewicht und Packmaß und ein möglichst sportliches Fahrgefühl gelegt und bin mit einem Stevens X6 Trekkingrad und lediglich zwei Hinterradtaschen und einer Lenkertasche unterwegs gewesen. Für die Reise von Deutschland nach Indien habe ich mir das VSF TX 400 gekauft, weil mir hierfür die Stabilität und weltweite Verfügbarkeit diverser Ersatzteile wichtiger waren.
Als einigermaßen angenehm hat sich nach langem Ausprobieren ein Sattel von SQlabs erwiesen. Außerdem wichtig ist mir die Stromversorgung, da ich ausschließlich mit dem Smartphone navigiere. Dafür nutze ich den Cycle2Charge oder eine Lampe mit USB-Ausgang von Busch&Müller. Ein sinnvoller Hinweis von Micha war es noch, sich die Ventillöcher aufbohren zu lassen, sodass neben französischen Ventilen auch Schläuche mit Autoventil einsetzbar sind.
Micha: Ich habe das gleiche Fahrrad wie Nico aber mit Rohloff-Schaltung und exzentrischem Tretlager. Wichtig war mir vor allem ein Rahmen aus Stahl, da diese bei Beschädigungen leichter repariert werden können. Außerdem wollte ich Laufräder mit 26 Zoll, weil hierfür in Asien Mäntel und Schläuche leichter zu bekommen sind. Des Weiteren sind noch Lowrider und Gepäckträger von Tubus verbaut. Für mein Gepäck nutze ich vier wasserdichte Rolltaschen vom Hersteller Vaude. Für Licht und Strom sorgt die Fahrradleuchte AXA 70Plus mit USB Ausgang. Zusätzlich habe ich noch ein 2,7 Watt starkes Solarpanel auf meiner Lenkertasche.
Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?
Micha: Für meine Rohloff-Nabenschaltung benötige ich einen Abzieher zum Wechseln des Ritzels am Hinterrad. Diesen habe Ich vergessen und es erst in der Türkei bemerkt, als ich von zwei Radreisenden darauf aufmerksam gemacht wurde. Da man den Abzieher Im Ausland nirgends zu kaufen bekommt, habe ich mir in der Stadt Erzurum mit viel Aufwand einen Abzieher aus einem Rohrstück fräsen lassen. Ohne jegliche Türkischkenntnisse habe ich dem Inhaber einer kleinen Werkstatt anhand von Bildern mein Anliegen verständlich machen können. Und nach einem anstrengenden Nachmittag hatte ich tatsächlich eine Kopie des Original Abziehers anfertigen lassen. Als ich dann aber in Dubai im Radfachgeschäft das Ritzel wechseln lassen wollte, ist der Abzieher zerbrochen. Das weiche Messing konnte den Kräften nicht standhalten. Jetzt habe ich das Original im Internet bestellt und lasse es mir an eine Bekannte nach Indien schicken, wo ich es nächsten Monat abholen kann.
Nico: Ich habe mir in Tschechien eine Achillessehnenentzündung zugezogen und musste die Reise vorläufig abbrechen. Der Frust war enorm, weil es bis zu einem halben Jahr dauern kann bis sich die Sehne wieder vollständig regeneriert und ich für sechs Monate meine Wohnung untervermietet und meinen Arbeitsvertrag ausgesetzt hatte. Nach einer intensiven Behandlung konnte ich die Reise aber glücklicherweise nach etwa einem Monat fortsetzen. Micha ist währenddessen alleine weitergefahren.
Zum Wissen: Euer ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?
Nico: Ich liebe das freie Kartenmaterial von Openstreetmap, das ich mir für jede Ecke der Welt kostenlos herunterladen kann und mit der App Oruxmaps und dem Zusatztool BRouter sogar offline Routen berechnen lassen kann. Zu Openstreetmap kann übrigens jeder Mensch etwas beitragen, beispielsweise mit Hilfe der App Vespucci. Wer an einem Shop, einer Trinkwasserstelle oder einem anderen für Radreisende relevanten Spot vorbeikommt, kann diesen ganz einfach ergänzen, sodass diese Information zukünftig auch anderen Nutzern zur Verfügung steht.
Micha: Habt den Mut Fehler zu machen und seid bereit auch mal ein kleines Risiko einzugehen. Und vor allem solltet ihr nicht versuchen alles bis ins kleinste Detail zu planen, da sich die schönsten Sachen immer spontan ergeben. Und verschwendet eure Zeit nicht mit monatelanger Optimierung eurer Ausrüstung, sondern konzentriert euch lieber auf die eigentliche Reise.
Nico: Wobei ich es schon sinnvoll finde, sich im Vorfeld genau zu überlegen welche Ausrüstung erforderlich ist und den eigenen Ansprüchen gerecht wird und diese im besten Fall vorher auch hinreichend zu testen. Das kann eine Menge Frust und Ärger ersparen.
Zum Verstehen: Hat euch die Reise und das Radreisen verändert und wenn ja, wie?
Nico: Man lernt Land und Leute viel intensiver und authentischer kennen als auf einer herkömmlichen Reise und bewegt sich in der Regel außerhalb der Backpacker- und Lonely-Planet-Blase. Das erweitert den eigenen Horizont natürlich entsprechend stärker und trägt dazu bei, kosmopolitischer und weltoffener zu denken. Ich würde außerdem behaupten, dass solche Reisen das eigene Selbstbewusstsein stärken, weil sie einem vor Augen führen was man, auf sich alleine gestellt, zu leisten in der Lage ist.
Micha: Ich habe durch das Radreisen viel erlebt und kam in jedem Land intensiv mit den Menschen ins Gespräch. Dadurch hat sich bei mir ein gesundes Verständnis für andere Kulturen und Ansichten entwickelt.
Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?
Nico: Ich liebe es meine Reisen vor- und nachzubereiten. Das heißt, ich freue mich auf die Abfahrt, bin dann allerdings auch immer ziemlich nervös, zehre aber anschließend auch immer lange davon und freue mich bei der Rückkehr darauf, Freunde und Familie wieder zu sehen, im eigenen Bett zu liegen, das mitgebrachte Film- und Fotomaterial zu verarbeiten und die Planung der nächsten Reise anzugehen.
Micha: Für mich war das Losfahren definitiv schwieriger, weil meine Eltern anfangs gar nicht von meinen Plänen begeistert waren. Auf das Ankommen freue ich mich hingegen, da ich neben dem Radfahren noch weitere private Ziele im Leben habe und diese in den nächsten Jahren hoffentlich verwirklichen kann.
Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?
Nico: Ich werde 2018 wieder in den Arbeitsalltag zurückkehren und dann nur noch Zeit für gelegentliche Urlaubsreisen haben. Wohin es mich dabei ziehen wird ist noch offen.
Micha: Nach unserer gemeinsamen Ankunft in Indien/Goa möchte ich Anfang 2018 weiter bis Nepal radeln. Anschließend geht es über Südostasien bis nach Malaysia, wo ich in Kuala Lumpur meine frühere Freundin besuchen möchte. Im Frühjahr 2018 dann weiter per Flugzeug in die USA und mit dem Fahrrad quer durch die Staaten von der West- zur Ostküste. Im Sommer 2018 möchte ich dann wieder in Deutschland ankommen und auf dem Weg dorthin vielleicht noch einen Teil der skandinavischen Länder bereisen.
Hier gibt es mehr über Nico und Micha: