Reiseradler-Interview #33: Heike Nickel von worldbybike.blogsport.de

© Heike Nickel

Es gibt nicht viele Frauen, die alleine mit dem Fahrrad um oder durch die Welt radeln. Heike ist so eine Frau und ich freue mich sehr, sie heute im Interview begrüßen zu können. Hier erzählt sie, wie sie zum Radtouren gekommen ist, warum immer eine Blumenvase am Lenker mitfährt, wie eine Vokabelstunde sie emotional berührte und warum sie schon die zweite Rohloff-Nabe fährt. Heike ist keine Kilometerfresserin, sondern lässt sich Zeit, um Land und Leute unterwegs ausgiebig kennen zu lernen. Was ich toll finde ist, dass Heike sich unterwegs nicht abkoppelt von Zuhause, sondern sehr an den Ereignissen hierzulande teilnimmt: „Als ich im letzten Sommer mitbekommen habe, wie viele Menschen sich auf unterschiedlichste Weise für die ankommenden Geflüchteten eingesetzt haben, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich gar nichts tat. So entstand die Idee, mit einem Vortrag über meine bisherige Reise Geld zu sammeln und zu spenden. 2015 fuhr ich über Weihnachten nach Deutschland und setzte diese Idee in die Tat um. Von dem Geld wurden dann Medikamente für ein Flüchtlingslager im Norden von Irak gekauft.“

Heike auf ihrem Rad © Heike Nickel

Zum Warmwerden: Wie bist Du zum Radreisen gekommen?

Meine erste Radreise mit 17 sollte mich von Minden an der Weser nach Schleswig führen. Dort machten meine Eltern gerade Urlaub und ich wollte sie besuchen. Nach drei Tagen und 180 km tat mein Knie so weh, dass ich aufhören musste, Aber die Zeit und die Kilometer reichten aus, um einen Hauch dieses Freiheitsgefühls erahnen zu können, welches Radreisen so mit sich bringen.

Meine Touren wurden größer und länger und je größer und länger sie wurden, desto mehr wollte ich.

Nach dem Studium machte ich mich für zwei Monate auf den Weg nach Portugal und traf in Frankreich auf ein Pärchen, welches mit ihren Rädern unterwegs nach Neuseeland war. Dies war wohl das Schlüsselerlebnis. „Ja, es kann noch weitergehen als bis zum westlichsten Zipfel Europas, und ja, genau das will ich auch.“

13 Jahre später bin ich nun in Neuseeland und es kann gerne noch weiter gehen…

 

Zum Träumen: Wo warst Du schon überall und wo musst Du unbedingt noch hin?

Bis nach Malaysia bin ich die Route gefahren, die gerade wohl am sichersten und einfachsten ist, und die fast alle Radreisende, die Richtung Osten unterwegs sind, nehmen. Nein, den Donauradweg bin ich nicht gefahren. Stattdessen fuhr ich einmal längs durch Rumänien. Dann Türkei, Iran, ein kleiner Abstecher in den Oman und weiter durch Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgistan, China, Laos, Thailand und Malaysia.

Zu Beginn der Reise war es für mich nicht vorstellbar, in Afrika zu radeln. Zu unbekannt, zu gefährlich, aber je mehr ich mich damit auseinandersetze, desto größer ist mein Wunsch, auch dort zu fahren und gerade dieses Unbekannte zu erleben.

© Heike Nickel

 

Zum Nachmachen: Welches Land kannst Du empfehlen und warum?

Am meisten überrascht hat mich Rumänien. Landschaftlich wunderschön, wenn dir die Pferdekarren entgegenkommen und du den Hühnern, Gänsen und Kühen ausweichen musst, während du auf unasphaltierten Straßen durch die kleinen Dörfer fährst. Ich traf auf unheimlich nette Menschen, die mich einfach wohl- und willkommen fühlen ließen in ihrem Land.

Der Pamir-Highway in Tadschikistan/Kirgistan und die Strecke in China entlang der tibetischen Grenze in der Provinz Sichuan waren landschaftlich für mich einmalig. Aber auch das Outback in Australien ist ein Erlebnis für sich. Diese Einfachheit aus ein paar Büschen, Sandhügeln links und rechts, dem riesigen Himmel über dir, und der Straße vor dir befreit dich von geistigem „Dünnschiss“, macht dich klar im Kopf und leicht. So ging es mir.

 

Zum Erfahren: Was hat Dich am meisten unterwegs beeindruckt?

Die Nacht, die ich in einem Klassenzimmer in einem kleinen Dorf in Laos verbrachte, werde ich nie vergessen. Es war ein armes Dorf, es gab keinen Laden und die Menschen hatten zerrissene Kleider an und das in einem Land, indem die Menschen sehr großen Wert auf saubere und heile Kleidung legen. Die Menschen lebten von dem, was der Dschungel und die kleinen Felder hergaben. Ich wartete nachmittags an der Schule auf den Lehrer, um ihn zu fragen, ob ich hier zelten dürfte und sah den Kindern beim Spielen zu. Spielen ist vielleicht aus europäischer Sicht das falsche Wort. Sie rauften sich, traten sich gegenseitig in den Rücken, fielen hin, standen wieder auf und weiter ging es, ohne Tränen und Gezank. Dann kamen sie zu mir, setzten sich um mich herum.

Vokabelunterricht in Laos © Heike Nickel

Und ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt mit diesen Kindern anstellen sollte, die mich so erwartungsvoll anblickten. Ich fing an, ihnen Deutsch beizubringen, zeigte auf meine Nase. „Nase“ und alle Kinder sagten „Nase“. So ging es mit den Ohren, den Augen, meinem Buch, den Sandalen und und und… Zwischendurch fragte ich Vokabeln ab: ich zeigte auf meinen Mund, und alle Kinder sagten „Mund.“ Nach zwei Stunden war ich müde. Die Kinder hätten noch unendlich lange weitermachen können. Am nächsten Morgen kamen sie wieder und weiter ging es mit dem Deutschunterricht, von dem sie nicht wussten, dass es Deutschunterricht war. „Messer, Löffel, Wasser, Kocher…“ Dann packte ich meinen Kram zusammen, machte mich auf den steilen Weg. Die Kinder halfen mir beim Schieben, winkten und riefen fröhlich „Sandale, Sandale“.

Es war bisher der emotional bewegendste Moment auf meiner Reise.

 

Zum Leben: Bist Du lieber alleine unterwegs, oder zu zweit? Und warum?

Wenn es darum geht, Land und Leute kennenzulernen, bin ich lieber alleine unterwegs. Ich bin offener, konzentriere mich auf die Umgebung, lasse mich auf das ein, was da kommt, nehme mir die Zeit, die ich brauche und lasse mich ganz von meiner Intuition leiten, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.

Ich glaube auch, dass mir als Frau alleine mehr Türen offenstehen, als z.B. allein reisenden Männern. Von mir geht keine Gefahr aus.

Am Lagerfeuer in Australien © Heike Nickel

Wenn es nur ums radeln geht, genieße ich es, nicht alleine zu fahren. Abends zusammen vor dem Zelt zu sitzen, zu quatschen, zu lachen, ein Bierchen miteinander zu trinken, ist einfach toll. Drei Wochen bin ich in Australien mit Julie zusammen geradelt. Sie ist 20 Jahre jünger als ich. Ohne sie wäre ich abends hundemüde ins Zelt gekrabbelt. Aber sie machte noch Lagerfeuer, spielte Didgeridoo, kochte und steckte mich mit ihrer unglaublichen Energie an. Seitdem mache ich viel öfter abends noch Feuer.

Und darum finde ich es auch sehr bereichernd, zur Abwechslung zu zweit oder mit mehreren unterwegs zu sein. Mitzuerleben, wie andere sich organisieren und vielleicht etwas davon zu übernehmen.

 

Zum Fahrrad: Stell es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Deinem Rad dran?

Ich habe mich für einen Patria Terra-Rahmen entschieden aufgrund des verstellbaren Ausfallenden. Rohloff-Schaltung mit externer Schaltansteuerung, dazu ein sehr langlebiges Kettenblatt von idworx. CSS-Felgen, die sich nicht durchbremsen lassen können und einfache V-Brakes, die ich überall selbst reparieren oder einstellen kann. Die Steckschutzbleche vorne und hinten sind einfach genial, wenn ich mal wieder in roter Lehmpaste steckenbleibe. Einfach abnehmen und weiter kann es ein paar Meter gehen. Das Rücklicht ist batteriebetrieben und das Vorderlicht brennt mit einem Seitenläuferdynamo. Ich werde diesen aber abmontieren, denn ich hatte ihn von den bisher gefahrenen 20.000 km nur ungefähr zwei Kilometer an.

Heikes Rad © Heike Nickel

Mit das Wichtigste am Rad ist die Fahrradvase am Lenker. Wenn es geht, steckt dort immer ein kleiner Blumenstrauß.

 

Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?

Ich habe bereits die zweite Rohloff-Nabe. Bei der ersten ist nach einem Ölwechsel jeweils das gesamte Öl innerhalb von wenigen Tagen wieder ausgelaufen und hat alles vollgeschmiert. In Bangkok habe ich kostenlos ein neues Getriebe eingebaut bekommen. Seitdem funktioniert es.

Ich hatte genau zwei Platten und musste ein Bremskabel austauschen.

Bei den Ortliebtaschen fallen nach und nach die Befestigungsschrauben ab, wenn man sie nicht regelmäßig neu anzieht. Aber nein, eigentlich hatte ich bisher keine ernstzunehmende Panne, keinen Verkehrsunfall, einige Beinaheunfälle, keine Verletzungen und stattdessen wahrscheinlich unendlich viel Glück.

Pisten-Idylle © Heike Nickel

 

Zum Wissen: Dein ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?

Mein ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad ist:

Höre auf deine Intuition und höre auf zu radeln, wenn du müde und damit unaufmerksam bist.

 

Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen

Das Wiederkommen stelle ich mir dann sauschwer vor, wenn ich keine Idee für ein Danach habe. „Erstmal ankommen und dann mal gucken“ wäre für mich falsch, denn ich würde mich in einem riesigen Loch wiederfinden. Auch stelle ich mir ein Wiederkommen sehr schwer vor, wenn es äußere Umstände, wie Geldmangel oder Unfall sind, die dich zwingen zurückzukehren, obwohl du innerlich noch gar nicht bereit dazu bist.

Das Losfahren fiel mir schwer, denn es hieß Abschied nehmen von allen Freunden, meinen Eltern, meinem Bruder und meinem Opa. Und dann diese riesige Welle an Unbekanntem, auf die ich zurollte. Sie machte mir doch etwas Angst.

Aber ich erlebte viele Monate riesiger Vorfreude und nach zwei Tagen des Unterwegs seins war es mit klitzekleinen Ausnahmen einfach nur noch genial.

© Heike Nickel

 

Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?

Nach drei Monaten in Australien, bin ich nun in Neuseeland. Anschließend geht es von Japan irgendwie nach Bangkok. Von dort im Winter 2017 mit dem Flieger zurück nach Deutschland um ein wenig Geld zu verdienen. Im darauffolgenden Frühling geht’s dann weiter um die Ostsee herum und runter nach Kapstadt, rüber nach Ushuaia, Argentinien, und wieder hoch nach Tuktuyaktuk in Kanada, und das alles möglichst unasphaltiert. So meine derzeitige Idee.

Hier gibt es mehr über Heike und ihre Touren:

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