Auf der Eurobike im letzten Jahr traf ich Luigi von MTB-Cycletech. Schnell waren wir beim Fachsimpeln und ich verliebt in das Raw, ein (relativ) neuer Bikeentwurf der Schweizer Firma, der eigentlich für alle Anforderungen geeignet ist. Und so kürte ich auch das Raw City zum schönsten Fahrrad auf der Eurobike 2015.
Umso mehr freute ich mich, dass ich ein Raw zur Testfahrt bekommen konnte. Dafür durfte ich mir ein Wunsch-Testrad konfigurieren. Es sollte ein Offroad Bikepacking-Rad werden, mit Starrgabel und entsprechenden Aufnahmemöglichkeiten für den Anything Cage von Salsa sowie dem Bender Lenker. Diesen Lenker hatte ich am Raw City auf der Eurobike gesehen und wollte ihn mal fahren. Er erinnert mich an Schweizer Armeefahrräder, sieht unglaublich bequem aus und bietet dabei genügend Möglichkeiten zur Befestigung von Geräten oder Taschen.
Beim Antrieb wollte ich es ganz modern haben: Rohloff Speedhub mit Gates Riemen. Dazu noch Shimano XT Scheibenbremsen, DT Swiss EX 471 Felgen und ein SON Nabendynamo mit Supernova E3 Lampe. Fertig war das „Martin Raw“.
Bei der Farbe nahm ich die Standardfarbe M22. Das Rosa-Rot war anfangs gewöhnungsbedürftig, aber am Ende fand ich es eigentlich ganz gut. Aber wie so fast alles am Raw, kann man auch die Farbe anpassen.
Basis ist für das Offroad-Modell immer der aus Reynolds 853 Stahl gefertigte Raw Rahmen, der so ziemlich alles an Komponenten zulässt und viel Individualisierung ermöglicht. Es verfügt über eine schöne Geometrie, auf der man sich eigentlich sofort wohlfühlt – egal ob mit hochwertiger Feder- oder Starrgabel.
Das Raw ist ein 27,5 Zoll Rad und kann mit Reifenbreiten bis 2,4 Zoll klarkommen. Diese Reifenbreite fordert aber auch Tribut an der Geometrie. In Kombination mit einem Riemenantrieb (so wie bei mir) Bei einem normalen Rahmen wäre da kaum Platz zwischen Riemenscheibe und Reifen. Umginge man dieses Problem mit einer längeren Kettenstrebe, so würde das auf Kosten der Fahr-Agilität gehen und ein „trägeres“ Fahrverhalten wäre die Folge. Luigi und sein Team hatten hier dann eine eigene Lösung: das Raw-Verbindungselement. Die ist hoch und gleichzeitig flach gebaut und erlaubt eine kurze Kettenstrebe. Und damit den serienmäßigen Einsatz eines Riemenantriebs bei 2,4 Zoll Reifen am Rahmen.
Das Raw kann (fast) alles sein: ein MTB für Offroad Bikepacking Touren, ein leichtes Enduro-Hardtail für technische Abfahrten oder ein stabiler Alltags-Roller mit Pizza(Rösti)-Rack. Der Hersteller unterscheidet dabei in zwei Kategorien: City und Offroad. Das Raw City wird auch aus preiswerterem Reynolds 520 angeboten. Ein „downgrade“ von Reynolds 853 auf 520 ist für das Offroad Modell ebenfalls möglich.
Um es gleich vorweg zu sagen: Das Offroad Raw braucht die Piste, braucht den Schotter und die Erde. Auf der Straße rollt es zwar (je nach Bereifung) ganz gut, aber sobald der Untergrund unruhig wird, kommt Leben in das Offroad Raw und man kann gar nicht anders, als Speed aufzunehmen. Mein Sturz in den Fluss war unter anderem eine Folge dieser unbändigen Kraft, mit der das Raw Dich durch den Wald schiebt. Und einer Katze. Aber das ist eine andere Geschichte…
Insgesamt 360 km bin ich das Raw gefahren. Oft auf Straßen durch Hamburg (30%), sehr viel auf Schotterwegen, Reiterpfaden und versteckten Trails durch Schlamm und Wasser (70%). Ich hatte Schwalbe Thunder Burt 27,5 x 2,25 drauf. Auf planem Untergrund sind sie eher unruhig. Auf groben Boden aber bieten sie ordentlich Traktion.
In jedem Fall braucht es gute Bremsen. Und da wollte ich mal die Shimano XT Scheibenbremsen ausprobieren. Und ich wurde nicht enttäuscht. Als Magura HS33 Felgenbremsen-Fahrer bin ich natürlich von jeder unmittelbaren Bremswirkung überrascht. Von daher war es ein besonders schönes Bremsen mit den XTs. Und auch ein geräuschloses: egal ob bei Nässe, oder bei sandigem Boden – die Bremse verrichtete ihre Arbeit ohne Zucken und Mucken und sehr verlässlich.
Und auch der besondere Bender Lenker á la Schweizer Art war eine positive Erfahrung. Anfänglich fühlte es sich ein bisschen nach Chopper und Hollandrad an, aber im Gelände fand ich seine gebogene Form eher förderlich, um das Rad unter Kontrolle zu halten. Zudem boten sich viele Befestigungsmöglichkeiten und so passten Rusjan Lenkerrolle, Vordertasche und Navigationsgerät problemlos dran.
Beim Antrieb bin ich zwiegespalten: einerseits finde ich die Kombination Rohloff und Riemen unschlagbar, auch was die Wartungsarmut angeht. Die Kombi funktioniert problemlos im Gelände und nach besonders nassen Fahrten braucht man sich um nix zu kümmern.
Allerdings störte mich der Snubber hinten am Riemen. Das ist ein kleines Rädchen, welches ein mögliches Abspringen des Riemens verhindern soll und von Rohloff bei der Verwendung von Gates Riemen vorgeschrieben ist. Insofern gibt es da keine andere Möglichkeit.
Sobald der Snubber aber stärker mit Schlamm in Berührung kam, fing er an am Riemen zu schleifen und zu quietschen. Am Ende war er irgendwie kaputt – vermutlich durch einen Ast beschädigt. Ich habe ihn dann weiter weg vom Riemen gestellt, damit er keine Geräusche mehr macht. Für eine Offroad-Nutzung sollte also der Snubber etwas weiter weggestellt werden.
Was gut funktionierte war das Exenter-Lager, mit welchem sich die Riemenspannung regulären lässt. Hier war ich gespannt, ob es bei der Fahrt Probleme, bzw. Bewegung im Lager gibt. Gab es nicht.
Müsste ich mich aber heute nochmal entscheiden, so würde ich mich wieder für die Rohloff, aber gegen den Riemen entscheiden. Der Grund ist schlicht und ergreifend, dass es für den Riemen das Exzenter-Tretlager und diesen Snubber braucht. Mit einer Kette hätte ich weniger mechanische Teile nötig, die unterwegs im Gelände anfällig wären. Die Kettenspannung würde ich einfach wie bei meinem Norwid Gotland über das Ausfallende/die OEM Achsplatte regeln. Allerdings ist dann dieser Antrieb wesentlich wartungsanfälliger und zudem lässt die Kette an Kraft nach, währenddessen der Riemen kraftvoll bleibt, sich also nicht längt.
Damit ein Riemenantrieb realisiert werden kann, braucht es auch am Raw Rahmen ein entsprechendes Schloss. Beim Testrad gab es allerdings rum um das Rahmenschloss Probleme mit dem Lack. So sah es jedenfalls nicht schön aus. Und ich hatte es auf der Eurobike, als auch bei MTB-Cycletech in Zürich anders gesehen.
Auf Nachfrage versicherte mir MTB Cycletech, dass es sich um eine 0-Serie Problem handelte. Mir hat die Form des Rahmenschlosses am Raw dennoch sehr gut gefallen.
Fazit
Das wichtigste vorab: Es gibt nicht DAS Raw, es gibt nur DEIN Raw!
Das MTB-Cycletech Raw Offroad ist ein echter Bikepacker, der kaum Wünsche offen lässt. Der Rahmen hat alles, was man braucht und ist je nach Schaltkonfiguration mit Steckachse und Gates Riemen kompatibel. Zudem ist es sehr umfänglich individuell anpassbar und kann als eines der ersten 27,5 Zoll Räder auch mit 2,4 Zoll breiten Reifen in Kombination mit Gates Carbon Drive gefahren werden.
Das Raw macht seinem Namen alle Ehre und will vor allem im Gelände und dann richtig wild gefahren werden.
Besonders gefallen haben mir die Rahmengeometrie, der unglaubliche Vortrieb und der bequeme Lenker. Auch die Gabel fand ich äußerst angenehm: nicht zu steil abfallend, oder zu weit vorgreifend. Einfach genau richtig und mit allen notwendigen Anschraublöchern versehen, um Anything Cages und Vorderradgepäckträger oder LowRider anzubringen.
Nicht so gut gefallen hat mir der Snubber. Wir hatten einfach keine gute Zeit miteinander 😉 Gerade im Gelände ist er aus meiner Sicht eine Schwachstelle und wurde natürlich prompt auch beschädigt. Aber hey, ich bin gerne zu einem zweiten Eindruck bereit und lasse mich da gerne überzeugen. 😉
Ansonsten kann ich nicht meckern. Das MTB-Cycletech Raw ist ein wirklich schönes und feines Rad, das ich durchaus empfehlen kann.
Preislich fängt es bei 2.990 Euro an. Dafür bekommt man das Raw Offroad mit Alfine Schaltung und XT Disc Bremsen. Für mein Testrad muss man so um die 4.500 Euro in die Hand nehmen, aber das Raw ist es in jedem Fall wert! Nur dann würde ich gerne O6 als Farbe nehmen und nicht mehr M22 😉
Update:
Das sich das RAW durchaus für die lange Tour eignet, das zeigen Brigitte und Ivo von BikepackGround.com. Sie haben das RAW nun schon lange Zeit in Betrieb und dazu auch einen Testbericht geschrieben.
Hinweis
Alle Tests, die ich hier auf BiketourGlobal vorstelle, werden von mir subjektiv durchgeführt. Ich teste viele Produkte, die ich mir selbst gekauft habe. Wenn mir Produkte für einen Test gestellt wurden, so mache ich dies im Text für den Leser klar und deutlich.
Vor allem aber teste ich nur Produkte, die mich persönlich interessieren. Meine Bewertungen und Einschätzungen erfolgen unabhängig von einer Produktstellung. Ich stelle sowohl positive als auch negative Eigenschaften dar.
Dabei steht meine persönliche Meinung im Vordergrund, meine Begeisterung für das Produkt und meine Einschätzung, inwieweit dieses Produkt für einen Tour-Alltag tauglich ist.
Hallo Martin,
der Lenker sieht ja dem Jones H-bar sehr ähnlich. Bin daher neugierig; ist das der gleiche nur unter einem anderen Namen? Ich fahre den H-bar seit einiger Zeit und bin damit sehr zufrieden. Viele Griffpositionen und viel Platz!
Gruesse von Christine
Hallo Christine,
ja, das scheint der gleiche bzw. baugleiche Lenker zu sein.
Ich fand ihn auch sehr angenehm, auch vom Platzangebot!
Viele Grüße,
martin
offroad und Riemenantrieb sind ein Widerspruch in sich
Warum?