Bereits zur Eurobike 2015 gab es für mich keinen Zweifel: Bikepacking ist auch in Deutschland angekommen. Und das ist auch gut so, denn es bereichert das klassische Radreisen und erweitert es.
Dahinter steht einerseits der Trend zu Microadventures – kurzen und intensiven Abenteuern in der Natur, sei es einfach eine Übernachtung draußen, bevor es wieder ins Büro geht, oder die kurze Wochenend-Tour über Stock und Stein, mit Schlafen unter freiem Himmel, als Selbstversorger und nur mit dem Nötigsten dabei. Andererseits der Trend zum (ultra)Light-Packing, dem Unterwegssein mit möglichst wenig und leichtem Gepäck, bei maximaler Funktion.
Natürlich ist das jetzt nicht wirklich was Neues. Schon immer sind wir auch mal für einen kürzeren Trip mit dem Rad und Gepäck rausgefahren, vor die Stadt oder durch das nahegelegene Land geradelt, haben gecampt und die kurze Auszeit genossen.
„Neu“ ist, dass man nicht mehr auf Straßen oder befestigte Wege angewiesen ist, sondern querfeldein, über Pisten und unwegsames Gelände, neue Strecken und Gebiete mit dem Rad erkunden können, ohne dabei auf Gepäck verzichten zu müssen.
Mit normalen Gepäcktaschen wäre das nicht so machbar. Im klassischen Six-Pack hängen vorne und hinten jeweils zwei Taschen, vorne noch die Lenkertasche und hinten auf dem Gepäckträger noch das Zelt oder der Schlafsack. Wer einmal so beladen durch den Wald oder auf Trails durch die Alpen gecrosst ist, weiß, dass es nicht wirklich optimal ist. Das Rad ist nicht so agil, die Taschen springen aus den Halterungen oder sind beim Ritt durchs Unterholz schlicht im Weg. Zudem ist ein Reise- oder Trekkingrad nicht gleichzeitig auch ein gutes Mountainbike, Gravelgrinder, Fat-Bike oder Cyclocrosser, mit dem man in der Natur rumheizen kann.
Deshalb wurden für diese Art des Radreisens andere Taschen entwickelt. Diese sind nicht mittels Haken und feststehender Halterungen am Rad befestigt, sondern durch Gurte. Warum? Weil Gurte nicht brechen können und zudem flexibler in der Einstellung sind.
In den ersten Tagen des Bikepackings hat man einfach Packsäcke an den Rahmen und Lenker geschnallt. Und wie damals bei der Entwicklung des Mountainbikes, so fingen auch hier Leute an, sich Taschen für diese Art des Tourens selbst zu nähen. Wenig später kamen dann kleinere Firmen auf den Markt, die spezielle Taschen anboten. Apidura und Revelate sind Beispiele dafür. Sie zählen zu den Pionieren bei den Bikepacking Taschen und Zubehör und haben das Bikepacking immer weiter vorangetrieben. Aus meiner Sicht gab es mit dem Erfolg der Fat-Bikes einen erneuten Schub und Marken wie Surly oder Salsa gaben durch eigene Entwicklungen, wie spezielle Front Racks oder Gabeln mit Montageösen für Flaschenhalter, neue Impulse.
Als traditioneller Radreisender mit klassischem Six-Pack-Rad muss man beim Bikepacking natürlich Kompromisse eingehen: da ist jetzt nicht mehr Platz für großartige Zeltsachen, umfangreiche Küche oder zahlreiche Ersatzklamotten. Bikepacking ist „Reduce to the Max“ und zwingt einem förmlich eine Einfachheit auf, die gleichzeitig auch befreiend sein kann. Für die paar Tage Bikepacking muss man sich nicht mit Extraklamotten rumschlagen. Man nimmt mit, was man am Körper trägt. Und für die paar Nächte braucht es auch kein Zelt. Eine Hütte im Wald oder unter freiem Himmel reicht. Die opulenten Koch-Arien am Abend sind natürlich auch beim Bikepacking anzutreffen, wenn hier auch eher mit Lagerfeuer und wildem Grillen. Und die Fahrradflaschen sind jetzt halt nicht mehr im Rahmendreieck, sondern am Lenker oder an der Gabel angebracht.
Kurz: Bikepacking ist ganz anders. Dahinter steht eine ganz andere Philosophie des Reisens und eine andere Anspruchs- und Erwartungshaltung. Es geht um das „kurze“ Abenteuer, das Reisen auf Trails und Pisten, mit wenig am Rad, um maximale Freiheit und Agilität im Gelände zu haben.
Ich verfolge gerade viele Diskussionen rund um das Thema und immer wieder geht es dann ganz schnell um die Grundsatzfrage: Was soll das? Ist das nur Marketing? Ich kann doch auch mit normalen Taschen und Gepäckträger Spaß abseits der Straßen haben!
Aus meiner Sicht geht es beim Thema Bikepacking vs. Klassisches Radreisen nicht um ein Entweder-oder, sondern um eine Ergänzung des Reisens mit dem Rad. Und dass man mit dieser Art auch weit kommen kann, das hat ja nicht zuletzt Marc Maurer gezeigt, der im Bikepacking-Stil und mit Cyclocrosser bis in den Iran gefahren ist.
Schaut euch auch mal die Grenzstein-Trophy an und bei Gunnar vorbei, der auf Overnighter.de seit vielen Jahren über Selbstversorgerfahrten und das Bikepacking berichtet.
Die neuen Ortlieb Bikepacking-Taschen
Woher kommt also jetzt der ganze Hype rund ums Bikepacking?
Noch nie konnte man so viel über diesen Trend lesen, wie rund um die Markteinführung der Bikepackertaschen durch Ortlieb. Das liegt zum einen an einer guten Marketingstrategie, zum anderen daran, dass nun mit Ortlieb auch der Platzhirsch bei den Fahrradtaschenherstellern in den Bikepacking Markt eingestiegen ist. An sich ist das kein Grund zur Aufregung, aber ein deutliches Zeichen dafür, dass das Bikepacking nun richtig auch hier angekommen ist.
Dank des Pressedienst Fahrrad konnte ich übers Wochenende mal die neuen Ortliebs testen. Die Rahmentasche gibt es erst ab dem kommenden Jahr, weshalb ich mit dem Seat-Pack, dem Handlebar-Pack und dem Accessory-Pack rumgefahren bin. Auf Deutsch: große Satteltasche, Lenkerrolle und Extra-Tasche für vorne.
Für mich war es das erste Mal mit Bikepacking-Taschen. Deshalb kann ich nur eine erste, faktische Beschreibung abgeben, denn vergleichen ist noch nicht möglich. Ich werde aber im Sommer von MTB Cycletech das RAW, ein richtiges Rad fürs Bikepacking, zum Test bekommen, dass dann Taschen der kleinen Marke „Rusjan“ trägt. Damit werde ich dann in das Abenteuer Bikepacking eintauchen und kann dann auch Vergleiche ziehen.
Der Ortlieb Seat-Pack
Diese Tasche wird an der Sattelstütze befestigt und mittels kleinen Gurten noch am Sattel fixiert. Die Tasche hat mit 16,5 Litern ein recht großes Volumen und lässt sich durch den typischen Rollverschluss auf 8 Liter komprimieren. Damit ist die Ortlieb etwas größer als die Revelate Terrapin und um einen halben Liter kleiner als die Apidura Saddle Bag Regular.
Im Seat-Pack werden Klamotten und Schlafsack/Isomatte transportiert. Mit dem Netz auf der Tasche kann zum Beispiel noch die Jacke unterwegs fixiert werden.
Ich habe in der Satteltasche meine Büroklamotten, Flickzeug und meine Luftpumpe transportiert. Es war also schon recht voll und trotzdem bekommt man bei der Fahrt nicht mit, dass da noch eine solche Tasche am Sattel hängt. Die ist richtig fest und bewegt sich nicht. Ich hatte zuerst Bedenken, dass meine Beine da eventuell schleifen könnten, aber das war völlig unbegründet.
Bei Ortlieb wiegt der Seat-Pack 430 g. Zum Vergleich: die Apidura kommt auf 400 g, die Revelate Terrapin auf 370 g. Da macht sich bei der Ortlieb offensichtlich das PU-beschichteten Nylongewebe im Gewicht bemerkbar.
Der Ortlieb Handlebar-Pack
Im Prinzip ist dieses Pack ein typischer Ortlieb Packsack, nur das er an beiden Seiten einen Rollverschluss hat. Dieses Pack wird mit zwei Gurten am Lenker befestigt. Um den Abstand vom Lenker und die Anpassung an verschiedene Lenker zu regulieren, werden hier insgesamt 8 Distanzstücke mitgeliefert. Ein weiterer Gurt fixiert den Sack am Rahmen.
Mittels Kompressionsriemen kann das Volumen reguliert werden. Und auch hier sorgen Kordelzüge an der Außenseite für zusätzliche Befestigungsmöglichkeiten.
Im Handlebar-Pack werden normalerweise Sachen transportiert, auf die man nicht unbedingt Zugriff braucht.
Das Ortlieb Pack wiegt 417 g bei einem Volumen von 15 Litern. Zum Vergleich: das Apidura Handlebar Pack kommt auf 270g mit einem Volumen von 20 Litern. Die Revelate Sweetroll wiegt 400 g mit einem Fassungsvermögen von 18 Litern.
Das Accessory-Pack
Das ist eine kleinere Tasche, die an den Handlebar-Pack angeschnallt werden kann. Dort kommen dann Sachen rein, die man immer mal braucht. Ich habe hier Portemonnaie, Multitool, Schlüssel, Handy drin. Das Pack wird mittels Rollverschluss verschlossen und über eine Schnalle gesichert.
Und wenn man die Frontrolle mal nicht montiert hat, kann man das Accessory-Pack auch so am Lenker befestigen.
Das Accessory-Pack hat ein Fassungsvermögen von 3,5 Litern und wiegt 206 g. Zum Vergleich auch hier: das Apidura Accessory-Pocket fasst 5 Liter bei 120 g. Die Revelate Pocket in L wiegt 121 g bei einem Volumen von 4,8 Litern.
Insgesamt machen die Ortliebs einen sehr robusten Eindruck. Da sitzt alles wo es soll und nix wackelt herum. Selbst wenn die Taschen nicht vollends beladen sind bewegt sich da nichts.
Hier mein erster Eindruck von den Ortliebs als Video:
Natürlich gibt es noch viel mehr Möglichkeiten für den Gepäcktransport am Bikepacking-Rad. Hierzu verweise ich auf die gute Seite Bikepacking.com, wo ihr auch eine gute Übersicht über alle Taschen und Transportmöglichkeiten findet.
Und ich verliebe mich gerade in das Surly Krampus und Marin Pine Mountain und das Salsa Deadwood und und und… 😉
In jedem Fall werde ich das Bikepacking nicht nur als Trend verfolgen, sondern mich bald auch mal selber auf das Rad schwingen und losfetzen.
Grüner Flitzer: das Nicolai Argon CX
Natürlich ist euch schon das schicke grüne Rad aufgefallen, mit dem ich die Ortliebtaschen rumgefahren habe. Das Nicolai Argon CX ist in diesem Aufbau ein fetziger Cyclocrosser, der mit grobstolligen Schwalbe X One Reifen auf unruhigem Gelände ordentlich Gas gibt.
Nicolai gilt als einer der letzten Rahmenbauer, die in Deutschland noch Rahmen aus Alu bauen. Und das natürlich in sehr schick.
Mit dem Argon CX hat Nicolai ein Abenteuer-Rennrad im Angebot, mit dem man durchaus weiter weg verreisen kann. Egal ob Querfeldein oder auf der Schotterpiste: der Rennlenker ist das Markenzeichen dieses Road Adventure Bikes.
Geschaltet wird mit einer Sram 1×11 Force, gebremst mit einer Sram Force 22 hydraulischen Scheibenbremse. Das macht richtig Spaß so durch den Wald zu heizen und dann mit Schmackes in die Eisen gehen zu können. Und trotz Feuchtigkeit und Dreck quietschten die Bremsen kein bisschen.
Der Gangwechsel erfolgt über den Taster im rechten Bremshebel. Kurz drücken ist runter schalten, länger durchdrücken ist hochschalten. Man gewöhnt sich sehr schnell daran.
Im Argon CX steckt vorne eine schicke Carbon Gabel. Ich finde die Scheibenbremse-Aufnahme schön designed. Insgesamt ist das Rad sehr leicht. Man kann es problemlos mit einer Hand anheben, denn der Rahmen wiegt nur um die 2 kg.
Preislich wird es allerdings schwerer: der Argon CX Rahmen liegt bei ca. 1.450 Euro.
Ein Argon CX 28“ ROH steht bei Nicolai für derzeit 2.200 Euro auf der Website, was ein aus meiner Sicht sehr guter Preis ist.
Wie seht ihr das mit dem Bikepacking? Neugierig geworden?
Mehr zum Thema findet ihr auf jeden Fall hier:
- Overnighter.de
- Radtouren Magazin „Bikepacking: Experten-Tipps fürs Touren mit Mini-Gepäck“
- Bikepacking.info – Ortlieb-initiierte Seite rund ums Bikepacking
- Bikepacking.com – Eine gute und ausführliche amerikanische Bikepacking-Seite
Ich gehöre eher der Schwerlast Fraktion an und hab’s ja nicht eilig. Bin meistens so um die 4 Wochen unterwegs und da hab ich gerne auch ein bisschen Komfort dabei (Stuhl, Kocher, geräumiges Zelt, etc.) Für kurze Touren im Gelände und abseits befestigter Strassen mit dem MTB könnte ich mir das aber durchaus vorstellen.
Hallo Martin!
Ich plane eine komplette Ausstattung und ein Rad zu kaufen. Da wo ich wohne gibt es keine Händlern die Produkte im Geschäft haben, die also besichtigt und “begriffen” werden können. Ich bin also sehr dankbar über deine Homepage.
Zu den Packtaschen eine Frage. Wie viel Liter Inhalt haben diese? Es gibt von Ortlieb Packtaschen für die ich mich interessiere, die pro Paar 70l Inhalt haben . Ich bin mir ohne Besichtigung unsicher denn, können Packtaschen auch “zu groß” sein?
Danke für eine Antwort und weiterhin viel Freude und Spass auf deinen Touren.
Hallo Norbert,
ich gehe davon aus, dass Du ein Six-Pack fahren willst?
Ich habe die normalen Ortlieb Bikepacker Plus und vorne die Sport-Packer Plus. Die Bikepacker haben zusammen 42l Volumen.
Die reichen mir völlig. Die 70 Liter Ortliebs sind halt größer. ich brauche meist nicht so viel unterwegs, von daher würde ich sie nicht nutzen. Und ja, Taschen können zu groß sein 😉
In jedem Fall solltest Du Dir die Taschen vorher anschauen. Blind kaufen bringt aus meiner Sicht nix.
Viele Grüße,
martin
Ich gehöre auf jeden Fall zu der 6 Pack Fraktion. Meist bin ich mehrere Wochen unterwegs und da liebe ich den Komfort und vor allem mein Zelt.
Wenn ich aber deinen Artikel so lese, bekomme ich doch Lust auf einen Quickie 🙂
Liebe Grüße
Daniela
Hab nen einfachen und günstigen Me’ru vom Globi. Wollte ihn grad raussuchen, aber er is wohl nimmer im Sortiment. Hab auch zwei Ortliebs, einen classic und einen PS – es ist aber eigentlich egal, welchen man nimmt. Den mit zwei kurzen Gurten festgezurrt und gut is. Man muss halt bissl drauf achten, dass die Schalt- und Bremszüge nicht geknickt werden, aber das dürfte kein Problem sein
Schöne Einführung ins Bikepacking. Ich finde ja, dass es nicht nur für “Microadventures” geeignet ist, sondern das Volumen auch für längere Reisen geeignet ist. Hab das mir selber in zwei Monaten nach Norwegen bewiesen und wüsste nich, was ich hätte mehr mitnehmen müssen!
Zu den Taschen: Machen meiner Ansicht nach alle Sinn – bis auf die Lenkerrolle: Bis heute hab ich keinen Vorteil so ner Tasche gegenüber nen billigeren und leichteren Packsack am Lenker gefunden.
Hallo Manuel,
Danke für den Tipp. Wie sieht denn Dein Packsack aus? Ist das ein normaler Ortlieb oder Sea to Summit Packsack?
Und ja, Bikepacking ist definitiv auch was für längere Touren.
Gruß,
martin