Reiseradler-Interview #25: Anselm Nathanael

Anselm springt über sein Rad © Anselm Nathanael

Nur wenige Kilometer von meinem Zuhause liegt der kleine Ort Appen. 4.830 Menschen leben hier. Nein, 4.829 Menschen, denn einer ist seit vielen Monaten auf großer Radtour: Anselm ist seit zwei Jahren und vier Monaten unterwegs und hat mittlerweile 55 Länder bereist. Momentan ist er auf dem Weg von Vietnam nach Borneo. Zuvor hat er sich mit Christian Pries in Tibet rumgetrieben und war mit den Tapis in Afrika unterwegs. Von seiner Tour berichtet Anselm mit wunderschönen Bildern. Und so ganz nebenbei hat er vermutlich einen Rekord aufgestellt: in den zwei Jahren hatte Anselm nur an fünf Tagen Regen und davon niemals mehr als eine Stunde. Und während des Interviews wird es auch trocken bleiben: Herzlich willkommen Anselm!

Anselm und sein Fahrrad © Anselm Nathanael
Anselm und sein Fahrrad © Anselm Nathanael

 

Zum Warmwerden: Wie bist Du zum Radreisen gekommen?

Mein großer Bruder nahm mich auf meine erste Tour mit. Ich hatte gerade erst das Balancieren erlernt, da wollten wir für ein Wochenende auf Tour. Weit kamen wir aber nicht, denn mein Bruder meinte es zu gut mit den 4 Bar Reifendruck: Der alte Reifen verabschiedete sich mit einem lauten Knall. Ich habe wohl nicht daraus gelernt, denn gleiches ist mir letzte Woche auf Tour passiert: 6 Bar waren einfach zu viel. Dafür habe ich aber eine Leidenschaft für die Fortbewegung mit dem Rad entwickelt, für das Reisen und Erkunden aller Ecken der Erde.

Leidenschaft für das Reisen mit dem Rad © Anselm Nathanael
Leidenschaft für das Reisen mit dem Rad © Anselm Nathanael

 

Zum Träumen: Wo warst Du schon überall und wo musst Du unbedingt noch hin?

Viele Touren machte ich anfangs in Europa, zum Beispiel entlang des Mittelmeers von Portugal bis Griechenland. Die erste große Tour führte mich aber davor alleine über die gigantischen Rocky Mountains bis nach Vancouver Island in Kanada. Da ich noch so jung war, war das gefühlt mein größtes Abenteuer mit dem Höhepunkt einer überraschenden Grizzly Begegnung.

Nun bin ich in Vietnam und es liegen 30.000 km hinter mir. Eine eher ungewöhnliche Route führte mich hierher: Nachdem ich in Südostasien unter anderem Myanmar und die Philippinen bereist hatte, ging es nach Südafrika und von dort einmal im Zick-Zack-Kurs durch das wilde, riesige Afrika bis nach Israel. Von dort flog ich mit dem Flugzeug in den Iran (wo ich mit ein paar verbotenen Tricks (Israel Stempel) einreiste) und fuhr weiter gen Osten, über das Dach der Welt. Dem Pamir Highway folgte ich runter nach Kirgisistan und Kasachstan und weiter nach China. Über die Hochebene von Ost-Tibet ging es schließlich zurück nach Laos und von dort die steilen Matschpisten bis in das quirlige Hanoi.

 

Zum Nachmachen: Welches Land kannst Du empfehlen und warum?

Für einen Monat den Pamir Highway in Tadschikistan zu radeln, kann ich jedem empfehlen. Wunderschön, abwechslungsreich und einzigartig. Diese Strecke kann man sich auch mit weniger Radreise-Erfahrung zutrauen.

Wer aber länger Zeit hat und sich Afrika zutraut, dem lege ich Uganda ans Herz. Ein außerordentlich schönes, offenes und herzliches Land. Von Touristen ist es noch verschont und bietet eine Vielfalt an Möglichkeiten. Hoch im Norden leben viele Nomaden und einzigartige Stämme noch ein primitives Leben im Busch. Der Westen des Landes beherbergt unzählige Vulkane, deren Bewohner sich Berg-Gorilla und Schimpansen nennen. Oder die zahlreichen Seen, wie den Lake Bionyi und Lake Viktoria sowie den weißen, wilden Nil. Zudem gibt es vier Nationalparks, die sich auch mit dem Fahrrad durchqueren lassen. Dort bin ich auf Löwen, Elefanten, Flusspferde und viele Abenteuer gestoßen. Es gibt viel in diesem Land!

In der ägyptischen Wüste © Anselm Nathanael
In der ägyptischen Wüste © Anselm Nathanael

 

Zum Erfahren: Was hat Dich am meisten unterwegs beeindruckt?

Jeder Reisende kennt die Herzlichkeit dieser Welt auf seine Art und Weise. Wie ich diese in Afrika erleben durfte, hat mich sehr beeindruckt. Ich fühlte mich wahnsinnig wohl und prächtig auf diesem Kontinent voller Abenteuer. Ich möchte jedem Mut machen, sich auch auf den schwarzen Kontinent zu wagen. Ängste über Sicherheit sind meiner Meinung nach alleine durch Medien verursacht. Afrika ist eine unvergessliche Erfahrung und jeder Radler, der schon mal dort war, schätzt Afrika und möchte wieder zurück.

© Anselm Nathanael
© Anselm Nathanael

 

Zum Leben: Bist Du lieber alleine unterwegs, oder zu zweit? Und warum?

Beides. In Afrika war ich größtenteils alleine, da dort kaum einer herumturnt. Es war dadurch intensiver, da man den Kontakt zur Umwelt tiefer eingeht. Aber man ist auch alleine, wenn mitten in der Wüste das Malaria-Fieber ausbricht oder man sich mit Einheimischen in Äthiopien rauft.

© Anselm Nathanael
© Anselm Nathanael

In Asien war ich stets mit anderen unterwegs. Es entstehen ganz andere Situation, spannende Gespräche und man hat viel Spaß. In der Gruppe kommt es auf die Kommunikation und die Anpassungsfähigkeit an. Ich denke, es ist wichtig, beides zu versuchen, aber jeweils nicht zu lange! Zwei Jahre alleine unterwegs mögen leicht sein, aber eventuell kommst du dann als komischer Kauz zurück. In der Gruppe lernst du definitiv mehr über dich und andere Tricks! Jetzt im wunderschönen Tibet war ich mit vier Radtour-erfahrenen Männern unterwegs und es war eine großartige Zeit. Auch muss ich sagen, dass man die besten Leute unterwegs trifft.

 

Zum Fahrrad: Stell es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Deinem Rad dran?

Ich sitze auf einem TX800 von der VSF Fahrradmanufaktur. Das hat ein XT-Komplettpaket, Brooks B17, vier rote Ortliebs und ein altes Vaude Zelt on top. Mein Rad fällt durch einen sich drehenden Globus, welcher vorne auf dem Tubus sitzt, und eine satte Musikbox für genügend Unterhaltung für alle Beteiligten auf.

Rad mit Extras © Anselm Nathanael
Rad mit Extras © Anselm Nathanael

Ungewöhnlich gestalten sich meine Laufräder: ich fahre 28-Zoll Felgen, die ich dadurch begründen kann, dass ich eigentlich nur für drei Wochen nach Thailand wollte, wo damals alles losging. Dazu passend die nächste Frage…

 

Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?

Ja, viele. Meine Hinterradnabe ist mittlerweile die vierte. Speichen und Nabe sind besonders in Afrika an ihre Grenzen gekommen und 28-Zoll ist nun leider anfälliger.

Letztens ist mein Stahlrahmen am Sattelschaft gebrochen, was auf die harten Pisten zurückzuführen ist. Dieser ließ sich aber schweißen. Und dann hatte ich vor zwei Monaten einen unschönen Unfall: Ich bin bei hoher Geschwindigkeit mit meinem Fuß in das Vorderrad gekommen und habe mich schmerzhaft überschlagen. An so einem abgelegenen Teil der Erde habe ich noch Glück gehabt, dass nichts gebrochen war. Dennoch sahen mein Rad und ich nicht gut aus danach.

Rahmen schweißen © Anselm Nathanael
Rahmen schweißen © Anselm Nathanael

Auch war ich in einem ägyptischen Gefängnis, da ich versucht habe, den Suez Kanal mit einer kleinen Fähre zu überqueren. Deshalb wurde ich auf spektakuläre Art festgenommen und in Folge dessen musste ich sämtliche Speichermedien und ein 72 Seiten Protokoll abgeben. Man hielt mich für einen Spion.

Und an der Grenze zum Kongo wurde ich von Park-Rangern aufgespürt und musste mich teuer freikaufen.

 

Zum Wissen: Dein ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?

Mach dein Ding für dich und nicht für die anderen. Lass dich inspirieren und gib dir maximale Flexibilität, die es dir erlaubt, so viel wie möglich im Jetzt und Hier zu leben. Sprich: wenig planen und lieber richtig dort sein, wo du gerade bist. Viele Radler kommen in ein Land und sind in Gedanken schon im nächsten. Versuche deine Reise unvoreingenommen zu erleben. Ein Abenteuer lässt sich nicht planen, es kommt auf einen zu.

Im Hier und Jetzt © Anselm Nathanael
Im Hier und Jetzt © Anselm Nathanael

 

Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?

Ich hatte da so meine Probleme, der Freiheit zu vertrauen. Nach dem geregelten Leben daheim plötzlich täglich alle Möglichkeiten zu haben, erwies sich als schwerer als gedacht. Routine gibt Sicherheit, das Leben hier draußen ist oft unberechenbar. Die Heimkehr stelle ich mir als eine neue Herausforderung vor, die aber machbar ist. Ich habe angefangen über die Zeit ein Buch zu schreiben und möchte aus dem Abschnitt in Afrika einen Dokumentarfilm machen.

Auf der Piste © Anselm Nathanael
Auf der Piste © Anselm Nathanael

 

Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?

Ich plane kaum, dadurch kommt so eine Route wie meine zustande. Afrika war schon sensationell. Dort erlebt man die Welt in meinen Augen tiefer und intensiver. Daher wäre die Westroute in Afrika ein Traum, besonders die Elfenbeinküste und Angola. Aktuell ist mein nächster Anlegeplatz aber erstmal die große Insel Borneo.

 

Mehr über Anselm gibt es hier:

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