Fast eine Wintertour: Mit dem Fahrrad 330 km zur Weihnachtsfeier

Die Ostsee im Advent

Heftig prasselt der Regen auf das Zelt. Immer wieder wird es durch den Sturm angehoben, um kurz danach dann wieder jäh auf den Boden zu sacken. Die Temperaturen sind zurückgegangen und eisige Luft durchströmt mit jedem Windstoß das Zelt. Und ich liege inmitten dieses Chaos und finde es einfach herrlich. Es ist 2 Uhr nachts. Ein Blick auf das Regenradar zeigt mir, dass es so noch bis in den Morgen weitergehen wird. Erst dann soll der Regen aufhören. Ich schlafe weiter und lasse Sturm und Regen wüten.

wintertour 2015_10
Vor und nach dem Sturm kommt auch mal die Sonne zum Vorscheinen

Der Morgen zeigt das ganze Ausmaß des Sturmes: überall liegen Äste verstreut und große Pfützen breiten sich aus. Ich baue mein nasses Zelt ab und nutze den anhaltenden Sturm als Rückenwind. Ich bin in Boltenhagen, an der Ostsee. Heute lädt sie natürlich nicht zum Baden ein. Schwere Wellen rollen an das Ufer, dunkle Wolken stehen über dem Wasser und der Wind bläst einen fast um.

Fast menschenleer - der Ostseestrand
Fast menschenleer – der Ostseestrand

Es liegen noch 70 Kilometer vor mir bis Schloss Basthorst bei Crivitz, südöstlich von Schwerin. Hier findet die diesjährige Weihnachtsfeier meiner Agentur statt und ich reise wie fast jedes Jahr mit dem Fahrrad an.

Der direkte Weg würde nur 140 Kilometer weit sein – daher nutze ich das Wochenende für einen kleinen Schlenker und mache so 240 Kilometer aus der Hinfahrt. Direkt aus dem Büro radle ich los bis nach Bad Segeberg, wo ich nach 60 Kilometern mein Zelt das erste Mal aufschlage. Am nächsten Tag geht es über Malente an den Timmendorfer Strand, dann nach Travemünde, dort über die Fähre nach Priwall (2 Euro pro Person inkl. Rad) und weiter entlang der Ostsee nach Mecklenburg-Vorpommern rein.

Es weihnachtet sehr...
Es weihnachtet sehr…

Trotz des nasskalten Regenwetters ist die Strecke entlang der Ostsee eine der schönsten, die ich in der letzten Zeit geradelt bin. Biegt man direkt hinter der Fähre nach Osten ab, so führt ein gut befahrbarer Weg entlang des Ostseestrandes. Hier liegt zwischen Priwall und Barendorf eine wunderschöne Küstenlandschaft. Zu dieser Jahreszeit ist natürlich kaum jemand dort und schon gar keine Fahrradfahrer. So rolle ich gemütlich durch den Nadelwald, immer linkerhand die Ostsee im Blick. Zwischendurch geht es immer wieder ganz schön bergauf. Eine echte Kreislaufstrecke, die mich doch ab und zu ins Schwitzen bringt. Hier bieten sich auch in dieser Jahreszeit gute Wildzelt-Gelegenheiten. Aber immer auf der rechten Seite – linkerhand ist alles Naturschutzgebiet.

Am Ostseestrand
Am Ostseestrand

Nach ungefähr 30 Kilometern erreiche ich Boltenhagen. Zu DDR-Zeiten war ich als Kind hier einmal zur Kur. Meine Heimatstadt Leipzig war in Sachen saubere Luft nicht so optimal aufgestellt, weshalb ich mit meiner Bronchitis-Anfälligkeit kurzerhand an die Ostsee geschickt wurde.  Vom alten Boltenhagen – soweit ich mich überhaupt erinnern kann – ist fast nichts mehr zu sehen. Die Strandpromenade führt durch schmucke Stadtteile. Moderne Hotels und Häuser säumen den Weg. Im Sommer muss hier die Hölle los sein – jetzt im Advent macht es richtig Spaß, hier mit dem Rad entlang zu fahren.

Ich hab den Strand für mich allein
Ich hab den Strand für mich allein

Es ist 15.30 Uhr, was zu dieser Jahreszeit bedeutet, dass die Dämmerung einsetzt. Eine Radtour im Winter ist daher immer etwas anders: wo man sonst noch bis spät abends Kilometer machen kann, ist nun schon zur Kaffeezeit Schluss. Die verfügbare Radelzeit mit Tageslicht liegt eigentlich nur zwischen 8.30 Uhr und 15.30 Uhr. Am ersten Tag bin ich dennoch bis 18 Uhr geradelt, aber das macht einfach keinen Spaß. Vor allem abseits der Orte wird der Strahl der Lampe sofort vom Dunkel verschluckt. Man sieht nix und nur durch das Navi sieht man, wo man gerade ist.

Im Winter zu Radeln heißt im Dunkeln fahren
Im Winter zu Radeln heißt im Dunkeln fahren

Ich muss mal duschen – da passt es, dass ich am Ortsende in Boltenhagen einen Zeltplatz finde, der noch offen hat. Ich bin der einzige Camper und genieße daher den Luxus eines kompletten Duschtraktes nur für mich alleine.

Draußen wird der Sturm stärker und während ich im Zelt liege und Netflix schaue, fängt es an zu regnen.

Stürmisch, aber nicht kalt: die Ostsee in der adventlichen Abenddämmerung
Stürmisch, aber nicht kalt: die Ostsee in der adventlichen Abenddämmerung

Neben der Weihnachtsfeier gab es noch drei weitere Gründe für diese Tour:

  1. Ich wollte einfach mal wieder zelten, denn da kann ich immer prima schlafen. Und das hatte ich mal wieder nötig. Vor allem mag ich es sehr, wenn es dabei kälter ist.
  1. Eine Woche vorher habe ich mir neue Ortlieb Fahrradtaschen geschenkt. Und natürlich wollte ich diese gebührend einweihen. Mittlerweile sehen sie nicht mehr neu aus. Ganz im Gegenteil: der Schlamm und Dreck hat sie ordentlich altern lassen und jetzt sind sie bereit für eine große Tour. Die kommt dann 2017 – dazu aber später einmal mehr.
  1. Zu guter Letzt ging es mir auch um meinen Schlafsack. Seit 1998 habe ich einen Yeti Mönch Daunenschlafsack, der eigentlich für sehr eisige Temperaturen ausgelegt ist. Über die Jahre verlieren Schlafsäcke natürlich an Isolationskraft und ich wollte mal schauen, wie gut er noch ist. Das Fazit: er darf in Rente gehen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt war er nicht mehr so warm wie sonst. Normalerweise schlafe ich nackt in einem Innenschlafsack aus Baumwolle und das auch bei Minustemperaturen. Das ist nun nicht mehr möglich gewesen und selbst mit langer Funktionsunterwäsche war es nicht ganz warm. Also werde ich mir mal demnächst einen neuen anschaffen. Momentan liebäugle ich mit einem Sack vom polnischen Hersteller Cumulus.
Die weite Welt in nur 1 km Entfernung...
Die weite Welt in nur 1 km Entfernung…

In der Sturmnacht von Boltenhagen bin ich aber vorbereitet und liege warm eingepackt im Schlafsack. Nachdem ich am nächsten Morgen der Ostsee noch einen Besuch abgestattet habe, fliege ich mit dem Sturm weiter nach Südosten, über Grevesmühlen, über den Schweriner See nach Basthorst zur Weihnachtsfeier. Hier erwartet mich ein Whisky-Tasting, welches den restlichen Abend erheblich prägt.

Schloss Basthorst bei Crivitz
Schloss Basthorst bei Crivitz

Der Frost begrüßt mich am nächsten Tag. Auf dem Land liegt eine dünne Eisschicht. Endlich mal sowas wie Winter! Dick eingepackt mache ich mich auf den Weg, die letzten 90 Kilometer dieser Tour stehen an. Einsame Dörfer, dichte Wälder und endlose Felder liegen auf meiner Route. Ab und zu wird aus dem Radweg eine Schlammpiste und in den Wäldern macht der sandige Boden das Fahren zum Balanceakt. Aber die Sonne scheint und der Wind hat merklich abgenommen.

Endlich mal sowas wie Winter: Frost liegt über dem Land
Endlich mal sowas wie Winter: Frost liegt über dem Land

Über Schwerin und Zarrentin gelange ich nach Büchen. Hier endet meine kleine adventliche Tour und ich steige für die letzten Kilometer bis Hamburg in den Zug.

Wintersonne und Wald
Wintersonne und Wald
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13 Comments

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  1. says: Boji

    Hallo Martin,

    immer wieder eine Freude, von dir zu lesen!

    Wir haben mittlerweile 4 Schlafsäcke von Cumulus (2 Sommer und 2 Winter) und wir sind mit ihnen sehr zufrieden. Vor jeder Bestellung haben wir mit dem Cumulus Kundendienst kurz kommuniziert, da wir meine Schlafsäcke etwas breiter im Fußbereich haben wollten und für meine Frau etwas kürzer. Die Kommunikation mit Cumulus lief reibungslos und die Schlafsäcke waren dann etwa 10 Tage später bei uns.

    Die Sommer-Schlafsäcke haben sich auf einer Weltreise bewiesen und den Winterschlafsack habe ich letzten Monat in Kyrgyzstan auf 5500 m Höhe ausgetestet – prima!

    Wir sind auch in Hamburg zu Hause, falls du die Schlafsäcke anschauen möchtest…

    1. Hallo Boji,

      das ist gut zu hören. Danke für diese praktische Erfahrung! Ich suche immer noch. Der neue sollte zudem auch kleiner im Packmaß und etwas leichter sein. Bikepacking-Taschen sind ja nicht so groß 😉

      ich habe mir jetzt erstmal eine Liste meiner Favoriten gemacht und deren Fakten.
      Dann werde ich irgendwann mal entscheiden.

      Viele Grüße,
      martin

      1. says: Boji

        Klar, den Schlafsack soll seine Dienste für einige Jahre leisten und so eine Entscheidung will gut überlegt werden. 🙂 Falls es hilft, ich habe den Cumulus Lite Line 200 und Katja hat sich für den Lite Line 300 entschieden. Sie werden mit je zwei Packtaschen geliefert: eine super kleine für die Reise und eine relativ große, für die Zeiten zwischen den Reisen, damit die Daune nicht dauerhaft gequetscht ist.

  2. says: Daniel

    Hallo Martin,

    sehr schöner Bericht und vor allem sehr schöne Fotos von der Tour. Mit den Temperaturen hast du für den Dezember ja richtig Glück gehabt.

  3. says: Stefan

    Hallo Martin,
    Ich habe zwei Daunenschlafsäcke. Einen alten Hot Dragon mit 700g und einen neuen leichten Helium 400 mit 400g Daune. ME achtet sehr auf die Daunenqualität und hat einen “Daunen-Codex”. Was immer man davon halten will. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden.

    Viele Grüße,

    Stefan

  4. says: Stefan

    Hallo Martin,
    Toller Bericht und eine schöne Tour. Ich muss auch mal wieder im Winter Zelten. Was den Schlafsack angeht würde ich dir noch Mountain Equipment empfehlen. Habe ich selbst und bin damit super zufrieden.
    Ich wünsche dir ein fröhliches Weihnachtsfest!

    Stefan

  5. says: Martin

    Hallo,

    ich bion auch ein Martin

    komme gerade nach Hause und habe eben noch den Bericht gelesen. Von dieser Fa. aus Polen habe ich auch schon gehört und gelesen. Hast Du Dir da schon was ausgesucht oder gekauft und wie sind ggfs. deine Erfahrungen. Will nächstes Jahr paar Radtouren machen und brauche auch einen neuen Daunenschlafsack.
    Ortlieb habe ich jetzt die neuen mit 70 Liter. Schöne Sache.
    Laß mal von Dir hören.

    Gruß, schönes ruhiges Fest und guten Rutsch

    Martin

    1. Hallo Martin,

      Mit den 70 Liter Ortliebs hast Du ja einiges an Packvolumen. Wo geht es hin auf Tour?

      Zu Cumulus: ich habe von dieser Marke durch Indiatrek erfahren, die gerade ihre Südamerika-Tour als Familie gestartet haben.

      Ich würde wieder auf einen Daunenschlafsack gehen und bin durch das Gewicht und Isolierkraft der Cumulus Säcke ganz angetan.
      Einzig bei der Daunen-Herkunft muss ich noch mal schauen. Da frage ich noch mal nach.

      Bin gespannt, was die Kollegen von Indiatrek für Erfahrungen machen.

      Viele Grüße,
      Martin