Reiseradler-Interview #31: Simon von resize your world

© simon-rudolph.de

Das es anders kommt, als man denkt und dass dies aber nicht das Ende, sondern auch der Anfang von etwas ganz Neuem und Besonderen sein kann, das zeigt Simon. Ich bin durch seine „Resize your World“ Fahrradtour auf ihn aufmerksam geworden. In Marokko gestartet, fuhr er mit dem groben Ziel Asien durch das südliche Europa bis nach Rumänien. Dann warf er seine Radreisepläne um und wird nun erstmal zu Fuß in Südamerika unterwegs sein. Ein Interview über seine bisherigen Radreisen durch Australien und Skandinavien, die “Resize your World” Tour von Nordafrika nach Europa und seine weiteren Pläne.

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Zum Warmwerden: Wie bist Du zum Radreisen gekommen?

Eine genaue Antwort auf diese Frage suche ich selbst noch. Letztendlich aber war es das Verlangen, welches sich in den Anfängen meiner ersten großen Reise ausprägte: der Natur während des Reisens mehr verbunden zu sein. Nach 6 Wochen Roadtrip entlang der Westküste Australiens stand für mich fest, dass das Auto nicht die richtige Art der Fortbewegung für mich ist, um ein Land zu erkunden. Das Gefühl, dass ich mein Privileg, dieses Land so unbeschränkt bereisen zu können, nicht voll ausnutze, brachte mich nach einer weiteren Nacht des Wildcampens im botanischen Garten Darwins dazu, mich zur Bibliothek zu begeben und zu recherchieren ob, wie und wohin Menschen bisher von Darwin aus mit dem Fahrrad gefahren sind.

Zu diesem Zeitpunkt waren mir Communities wie Warmshowers oder Radreise Facebook Gruppen noch völlig unbekannt. Und was es bedeuten würde, mit dem Fahrrad durch Australien zu fahren, konnte ich mir nicht im Geringsten vorstellen.

Nach etwas Recherche am Morgen stand mein Plan fest: von Darwin aus sollte es mitten durch das Herz des Kontinents bis nach Adelaide gehen. Und noch am gleichen Tag bestellte ich mir ein Fahrrad, Anhänger und allerlei anderes Equipment im einzigen Fahrradladen des Stadtzentrums.

Am 6. November 2013, knapp 10 Tage nachdem ich mich dazu entschieden hatte, mit dem Fahrrad meine Reise fortzusetzen, schwang ich mich im Morgengrauen auf mein viel zu schwer beladenes Rad und begab mich auf meine erste große Radtour mit Richtung Ungewissheit.

Camp im Nirgendwo © simon-rudolph.de
Camp im Nirgendwo © simon-rudolph.de

Zum Träumen: Wo warst Du schon überall und wo musst Du unbedingt noch hin?

Mit dem Rad zog es mich seit 2013 bisher nach Australien, Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Marokko, Spanien und Portugal. Ich befinde mich momentan in Portugal und arbeite mich langsam durch Europa, mit dem Hintergedanken, in unbestimmter Zeit aus meinen Zelt zu kriechen und mich in Asien oder sogar wieder in Ozeanien wiederzufinden. Wann spielt dabei im Moment eine nicht so große Rolle.

Anmerkung: Simon ist mittlerweile vom Rad auf die Füße umgestiegen und startet bald eine Tour durch Südamerika.

Tendenziell zieht es mich immer wieder in die eher wenig besiedelten Regionen unserer Erde und ich würde mich selbst als einen Sommertyp bezeichnen. Daher stehen Länder bzw. Regionen, wie Westchina, die Mongolei, der Pamir, der Norden und Süden Amerikas sehr weit oben auf meiner Liste. Aber auch Länder wie Taiwan, Indonesien, Indien oder Madagaskar haben Platz in meinen Zukunftsträumen.

Dazu muss ich immer wieder feststellen, dass je länger ich auf Tour bin und je mehr Reisenden ich begegne, desto länger wird meine Liste der Länder, die ich noch auf dem Rad erkunden möchte.

© simon-rudolph.de
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Zum Nachmachen: Welches Land kannst Du empfehlen und warum?

Bisher kann ich eigentlich jedes Land, welches ich mit dem Fahrrad bereist habe, empfehlen. Doch ein ganz besonderer Platz nimmt nach wie vor Australien ein. Es ist nun schon fast 2 ½ Jahre her, seitdem ich mich in Darwin auf das Rad geschwungen habe und doch kann ich mich noch an jeden einzelnen Tag sehr gut erinnern.

Diese 39 Tage haben sich wortwörtlich in mein Gedächtnis gebrannt. Und auch wenn es wahrscheinlich die härtesten Tage meines bisherigen Lebens waren, verbinde ich so viel Gutes mit dieser ersten Tour. Wie auch Tilmann Waldthaler in seinen Büchern beschreibt, begibt man sich auf vielen Routen in Australien auf eine ganze andere Weise des Radfahrens.

Simon in Australien © simon-rudolph.de
Simon in Australien © simon-rudolph.de

Schnurgerade Straßen, schier endlos flache Landschaften, die einem nur einen minimalen sensorischen Input geben, gnadenlose Temperaturen, wenig Kontakt mit Menschen und vor allem die überwältigenden Distanzen zwischen Ortschaften – das brachte mich dazu, während des Radfahrens in mich selbst zu schauen und viel Neues über mich zu lernen. Das hat mich sehr geprägt.

Nirgendwo sonst habe ich mich bisher so stark der Natur verbunden gefühlt, als auf dieser Tour. Vor allem die ersten Sonnenstrahlen, die das Land um mich herum in ein tiefes Rot tauchten, weckten in mir das pure Gefühl der Einsamkeit und Freiheit. Ich konnte spüren, wie sich alle meine Sinne schärften. Ich begann viele kleinere Veränderungen in der Natur und minimalste Geräusche wahrzunehmen.
Australien kann definitiv ein erbarmungsloses Land sein, in dem man sich schnell in sehr gefährlichen Situationen wiederfinden kann. Aber anderseits bietet die Leere dieses Landes viel mehr, als man sich vorstellen kann.

 

Zum Erfahren: Was hat Dich am meisten unterwegs beeindruckt?

Neben der Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen, vor allem von denen, die am wenigsten besitzen (wie schon viele deiner interviewten Reiseradler geantwortet haben), haben mich vor allem die mentalen Aufgaben und Hürden, die man auf solchen Touren zu bewältigen hat, beeindruckt. Es ist erstaunlich, wie zäh und widerstandsfähig der Körper sein kann, aber wenn der Kopf nicht mitspielt, sind selbst die durchtrainiertesten Beine nichts wert.

In Marokko © simon-rudolph.de
In Marokko © simon-rudolph.de

Nicht den Humor und die Geduld zu verlieren, wenn man sein Rad zwei Tage lang über eine Sandpiste schieben muss. Nicht den Verstand zu verlieren, wenn man gefühlt tage- oder wochenlang keine einzige Kurve gefahren ist und einem mitten im Nichts Ersatzschläuche und Flickzeug ausgehen. Oder wenn man einen kompletten Bergpass dank Gegenwind nicht nur hinauf, sondern auch herab strampeln darf – All dies sind Erfahrungen und Situationen, die mich sehr beeindruckt, geprägt und verändert haben.

 

Zum Leben: Bist Du lieber alleine unterwegs, oder zu zweit? Und warum?

Ich würde sagen beides. Aber starten und planen, soweit es einen Plan gibt, definitiv alleine. Die Freiheit, jegliche Entscheidungen ohne Absprache treffen zu können, ist etwas auf das ich während meiner Touren, egal ob mit dem Rad oder auf anderen Wegen, auf keinen Fall verzichten möchte. Dies bedeutet aber nicht, dass ich es ablehne mit anderen zu Reisen.

Spontanität und Flexibilität ist alles! Keine fixe Route und keine feste Daten zu haben, erlaubt mir, mich anderen Radreisenden, die ich durch Zufall treffe, auf ihrem Weg für eine unbestimmte Zeit anzuschließen und so die gemeinsame Zeit und die Vorzüge des gemeinsamen Reisens auch wirklich genießen zu können.

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Zum Fahrrad: Stell es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Deinem Rad dran?

Ich fahre ein TX-400 der VSF Fahrradmanufaktur, welches mich bisher auch noch nie im Stich gelassen hat. Bisher sind weitestgehend die Komponenten ab Werk vorhanden. Die Pedale habe ich durch Kombi Pedale ersetzt, die eine normale und eine Klick Seite besitzen.

© simon-rudolph.de
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Da ich auf meinen Touren möglichst autark unterwegs sein möchte, rollt anstatt des Standard-Scheinwerfers der B&M Lumotec IQ2 Luxos Scheinwerfer mit. Dieser hat mich in seiner Lichtleistung völlig überzeugt und der integrierte USB-Anschluss ermöglicht mir, alle meine elektrischen Geräte während des Fahrens zu laden.

Der Scheinwerfer als Gesamtprodukt konnte mich allerdings bisher nicht ganz überzeugen, da ich diesen schon zweimal wegen Wasserschadens ersetzen musste. Nur ein Gutwetter-Licht?

Bei den Taschen setze ich, wie so viele andere, auf die Taschen von Ortlieb. Was man an meinem Setup nicht finden kann sind Markennamen. Mein Rad und Zubehör sind komplett ungebranded. Dies bedeutet, dass ich Schriftzüge der Hersteller entfernt bzw. unkenntlich gemacht habe. Das hat nichts damit zu tun, dass ich die Arbeit der Hersteller nicht wertschätze, sondern trägt dazu bei, dass mein Rad somit möglichst wenig über mich verrät und der Wert des Rades für Laien somit schwerer zu erkennen ist.

 

Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?

Größere Pannen gab es bisher keine. Mit dem TX-400 hatte ich bisher lediglich einen Platten und einen Kettenriss in Berlin.

Mein Setup in Australien war nicht ganz so widerstandsfähig. In 39 Tagen durfte ich achtmal mein Hinterrad ausbauen, um den Schlauch zu reparieren und hatte zwei gebrochene Speichen.
Die größte Panne war aber wohl die Tatsache, dass mir mitten im Nirgendwo die Ersatzschläuche ausgingen und ich mein Flickzeug verloren hatte. Durch mehr Glück als Verstand erreichte ich durch Daumenhochhalten nicht nur die noch etwa 60 Kilometer entfernte Tankstelle, sondern konnte mir dort auch neues Flickzeug besorgen und fand noch am gleichen Abend in völliger Dunkelheit, dank eines weiteren Autofahrers, zu meinem Rad zurück.

 

Zum Wissen: Dein ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?

Lieber zu wenig planen als zu viel, wobei dies natürlich nicht für alle Routen/Touren gilt. Es gibt Routen/Teilabschnitte, die sollten gut durchdacht und geplant sein. Für alles andere langt eine grobe Idee, eine Karte und ein rollender Untersatz. Für mich sind es die Zufälle, unerwartete und spontane Planänderungen und das Gefühl der Freiheit, welches das Leben auf und mit dem Rad ausmacht. Durch eine zu strickte Planung kann davon so einiges verloren gehen.

© simon-rudolph.de
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Es gibt doch nichts Schöneres, als sich am Ende eines langen Radfahrtags einen Platz zum Zelten zu suchen und mit ein etwas Glück eine perfekte und unbezahlbare Nacht in der Natur zu verbringen.
Um noch einen zweiten Tipp anzuhängen – alle, die planen während ihrer Tour selbst zu kochen und möglichst günstig unterwegs sind: Wenn Nudeln, Reis, Linsen, Couscous oder auch Haferflocken auf Dauer langweilig werden, ein Beutel voll mit verschiedenen Gewürzen kann helfen, aus den immer gleichen Zutaten die verschiedensten Gerichte zu zaubern und somit einem davor zu bewahren, den Appetit zu verlieren.

Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?

Hmm, das ist schwer zu beantworten. Am schwersten waren für mich bisher immer die Wochen nach dem Wiederkommen, nachdem man Familie und Freunde wiedergesehen hat und man anfängt, die Vorzüge und das Abenteuer des Lebens auf der Straße zu vermissen. Das “normale” Leben hatte auf mich dann meist eine sehr bedrückende und langweilige Wirkung. Viele alltägliche Dinge einer Radtour, wie sich Abends einen Schlafplatz zu suchen, ob man genug Wasser und Essen hat oder auch die Ungewissheit, was man in den nächsten Tagen erleben wird, gehen verloren.

In Norwegen © simon-rudolph.de
In Norwegen © simon-rudolph.de

Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?

Als ich das Interview mit Simon führte, war er noch auf Radtour. Damals schrieb er…

Wie schon zuvor erwähnt, bin ich momentan wieder auf Tour. Im Gegenteil zu meinen bisherigen Touren, habe ich mir dieses Mal die Freiheit genommen, kein zeitliches Limit zu haben. Das lässt die momentane Tour zu etwas für mich komplett Neuem wachsen und ich bemerke, wie sich dadurch mein Stil des Radreisen verändert und entwickelt.

Wenn auch vielleicht nicht in so schnelle wie gewohnt, habe ich weiterhin vor, mich langsam in Richtung Asien zu bewegen. Ein konkretes Ziel habe ich dabei nicht, wobei in mir das Verlangen wächst, dahin zu kommen wo alles angefangen hat. Nach Darwin!

Mittlerweile hat Simon seine Radtour unterbrochen und ist nun ab November auf neuer Tour. Das aber nicht minder spannend, denn jetzt geht es zu Fuß durch Südamerika. Mehr dazu findet ihr hier.

 

Hier gibt es mehr zu Simon und seinen Touren:

reiseradler-interview-simon-websitefacebook_32

 

 

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