Reiseradler-Interview #15: Richard von lonelytraveller.de

 Westsibirien 2008 – Winterweg am gefrorenen Ob © www.lonelytraveller.de

Richard Löwenherz – ein Name wie ein Donnerschlag. Allein deshalb möchte ich diesen Menschen kennen lernen. Und natürlich treffe ich mit Richard auf einen echter Pedalritter. Immer wieder zieht es ihn hinaus in die weite Welt. Mit dem Rad, aber auch zu Fuß, bereist er Europa und Asien. Ob durch Nordrussland im Winter, oder entlang des Schwarzen Meeres im Sommer – Richard kennt keine schlechte Jahreszeit. Zudem ist er für mich der Radreisende mit den meisten Speichenbrüchen auf der Welt und zeigt, wie man auch ohne teures Fahrrad einfach reisen kann. Aktuell ist er irgendwo in Sibirien und kann dieses Interview hoffentlich bald lesen…

Richard unterwegs in Schweden © www.lonelytraveller.de
Richard unterwegs in Schweden © www.lonelytraveller.de

Zum Warmwerden: Wie bist Du zum Radreisen gekommen?

Ganz einfach – durch das Rad selbst. Es ermöglichte mir schon in früher Jugend auf eigene Faust den Horizont zu erweitern, gab mir das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit und inspirierte mich (und ein paar meiner Freunde) zu immer größeren Unternehmungen. Zunächst innerhalb Deutschlands, später auch im Ausland. Die erste längere Gepäcktour ging 1999 nach Südschweden. Hier hatte mich der Reisevirus dann richtig gepackt und so zog es mich fortan jedes Jahr aufs Neue hinaus. Ich hatte keine Vorbilder und niemanden im Bekanntenkreis, der ähnliches unternahm. Alles wuchs aus einer inneren Sehnsucht heraus.

 Fennoskandien 2001 – die erste große Solotour © www.lonelytraveller.de
Fennoskandien 2001 – die erste große Solotour © www.lonelytraveller.de

Zum Träumen: Wo warst Du schon überall und wo musst Du unbedingt noch hin?

Zunächst hatte es mir Skandinavien angetan, vor allem Schweden – allein in diesem Land bin ich bis heute etwa 9000 km geradelt. Später kamen noch Norwegen, Finnland, das Baltikum und Island hinzu. 2002 wagte ich mich das erste Mal nach Russland, genauer gesagt nach Russisch Karelien, was unmittelbar an Finnland grenzt.

Nach dieser Tour, die schon sehr abenteuerlich war, zog es mich immer tiefer in das Russische Reich: von der Halbinsel Kola über den Polaren Ural bis in das nordöstliche Sibirien, einige Male auch im Winter. Dazwischen fuhr ich einmal durch die Mongolei, später mehrfach nach Osteuropa (Karpaten, Krim, Kaukasus, Weißrussland) und in den letzten Jahren wiederholt nach Zentralasien (Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan). Jetzt zieht es mich wieder mehr nach Norden: nach Sibirien. Es gibt dort noch einige interessante Gebiete, die ich erkunden möchte. Ansonsten ist auch China und Tibet seit langem ein großes Sehnsuchtsziel.

 Westsibirien 2008 – Winterweg am gefrorenen Ob © www.lonelytraveller.de
Westsibirien 2008 – Winterweg am gefrorenen Ob © www.lonelytraveller.de

Zum Nachmachen: Welches Land kannst Du empfehlen und warum?

Kirgistan! Ich war jetzt zweimal dort und vollkommen begeistert. Für ein Hochgebirgsland ist es recht gut erschlossen, denn es gibt dort wirklich viele Wegevarianten, die auch ins abgelegene Hinterland führen. Und die Berglandschaften sind einfach gigantisch! Hinzu kommen noch Einblicke in das rustikale Leben der halbnomadischen Berghirten. Bisher habe ich in keinem Land mehr Abwechslung erfahren… Kirgistan hat zudem vor zwei Jahren als erstes Land Zentralasiens die Visapflicht abgeschafft. Die Mongolei mittlerweile auch. Das sind ebenfalls Pluspunkte.

Kirgistan 2012 – offroad durch den Tienschan © www.lonelytraveller.de
Kirgistan 2012 – offroad durch den Tienschan © www.lonelytraveller.de

Zum Erfahren: Was hat Dich am meisten unterwegs beeindruckt?

Zu viel, als dass ich sagen könnte, was den stärksten Eindruck hinterlassen hat. Mal sind es die Landschaften, mal die Himmelsfarben, mal die Begegnungen mit den Menschen. Jede Reise hatte besondere Momente. Aber vielleicht lässt sich ja doch eine Sache hervorheben: die Gastfreundschaft. Ganz oft wurde ich auf meinen Reisen eingeladen, durchgefüttert, beschenkt… vor allem in der russischen Provinz. Die Leute nahmen sich Zeit, halfen wo sie konnten und teilten was sie hatten – und das, obwohl sie mich gerade erst kennengelernt hatten.

Es ist auch schon vorgekommen, dass man mir bloß die Wohnung aufschloss und mich alleine zurück ließ, weil derjenige, der mich gerade aufgabelte, noch etwas zu erledigen hatte. Auch dieses spontane Vertrauen faszinierte mich. Es zeigte mir, wie enorm die Wirkung sein kann, wenn man einander offen und ohne Misstrauen begegnet.

Ostsibirien 2007 – zu Gast in einem Jakutendorf © www.lonelytraveller.de
Ostsibirien 2007 – zu Gast in einem Jakutendorf © www.lonelytraveller.de

Zum Leben: Bist Du lieber alleine unterwegs, oder zu zweit? Und warum?

Wenn ich ein neues Land oder eine mir vollkommen unbekannte Region kennenlernen möchte, dann reise ich lieber alleine. So kann ich mich voll darauf einlassen und ohne Rücksicht und Kompromisse ganz meinem Bauchgefühl folgen. Gerade in schwierigen Situationen, sei es bei zweifelhaften Begegnungen oder unerwarteten Hindernissen, habe ich meine ganz eigene Art, damit umzugehen. Selten entscheide ich mich für einen Rückzug. Vor allem bei Begegnungen mit den Einheimischen überschlagen sich manchmal die Ereignisse so sehr, dass ich mich vom Geschehen einfach treiben lasse, ohne zu wissen, wo das Ganze hinführt.

Mit Reisepartnern fühlte ich mich in solchen Situationen immer wieder ausgebremst. Das heißt aber nicht, dass ich grundsätzlich alleine unterwegs sein möchte. Je nachdem, wie die Tour angelegt ist und welche Ziele man dabei verfolgt, bin ich auch gerne zu zweit oder mit mehreren Mitstreitern unterwegs.

Kirgistan 2012 – allein reist es sich intensiver © www.lonelytraveller.de
Kirgistan 2012 – allein reist es sich intensiver © www.lonelytraveller.de

Zum Fahrrad: Stell es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Deinem Rad dran?

Auf die Frage habe ich gewartet… denn jetzt kommt raus, dass ich von der viel gelobten Fahrradtechnik eigentlich keinen Schimmer habe. Das liegt vor allem daran, dass ich jahrelang kein Geld für Neuanschaffungen oder technische Verbesserungen hatte. Also hab ich mich auch nie dafür interessiert. Ich bin immer mit dem einfachsten Material gefahren. Manche Ersatzteile (u.a. Laufräder, Ritzel, Reifen) habe ich mir von verschrotteten Rädern anderer abgebaut.

Aber erstmal zu meinem Hauptreiserad, einem 26er, getauft auf den Namen “Berserker”: das ist mittlerweile 21 Jahre alt und hat 109.000 km weg. Ich hatte es damals für nur 600 DM erstanden. Der Stahlrahmen von der Marke “Kynast” ist aber offenbar einer von der besseren Sorte. Original sind auch noch die Gabel und der Lenker. Der erste Gepäckträger hat bis 2007 durchgehalten, die Lenkstange und der Sattel bis 2010. Laufräder und Verschleißteile sind natürlich schon mehrfach getauscht worden.

Schweden 2013 – der "Berserker" auf der gefrorenen Ostsee © www.lonelytraveller.de
Schweden 2013 – der “Berserker” auf der gefrorenen Ostsee © www.lonelytraveller.de

Seit 2006 bin ich aber noch mit einem zweiten Rad unterwegs, ebenfalls ein 26er. Ich nenne es den “Yak”. Für umgerechnet 68 Euro bekam ich es auf einem Bazar in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar. Der Hersteller ist aber koreanisch: “Corex Spozio” heißt die Marke. Mit diesem Rad bin ich jedenfalls 2.300 km durch die Mongolei und den Russischen Altai gefahren. Es hat durchgehalten – trotz 52 Speichenbrüchen, aufgelöstem Tretlager und komplett zerfallenem Gepäckträger.

Ich hab das Rad nicht weggeschmissen, im Gegenteil: Tretlager, Laufräder und Gepäckträger wurden einfach ersetzt. In den vergangenen zwei Jahren bin ich damit wieder auf Tour gegangen und auf den insgesamt 3.300 km durch Kirgistan und Tadschikistan wurde ich nicht von ihm enttäuscht. Die Komponenten sind inzwischen international: das Rad koreanisch, gekauft in der Mongolei, die Gepäckträger chinesisch, die Laufräder deutsch, die Pedalen kirgisisch, die Bremsen tadschikisch.

Kirgistan 2012 – der "Yak" auf einem Pferdepfad © www.lonelytraveller.de
Kirgistan 2012 – der “Yak” auf einem Pferdepfad © www.lonelytraveller.de

Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?

Klar, jede Menge! Platten und Speichenbrüche gehörten quasi zu jeder Tour. Seltener waren dagegen Achsbrüche oder gerissene Bremsseile. Ich hatte aber (fast) immer das passende Werkzeug und die nötigen Ersatzteile mit – ich kannte ja die Schwächen meines Stahlrosses.

Hin und wieder wurde allerdings auch mein Improvisationstalent gefordert. Sei es bei einem aufgerissenem Reifen (genäht und abgeklebt noch 400 km gefahren – Halbinsel Kola 2002), einem Ritzelbruch (Rad nur noch als Roller nutzbar – Skandinavien im Winter 2004), einem Rahmen- und Sattelbruch (wackelig, aber hielt noch – Nordrussland im Winter 2010), einem Pedalbruch (einbeinig weitergefahren – Kirgistan 2012) oder einem Lagerschalenriss (Rad auf blankem Konus weiterlaufen lassen – Polnische Karpaten 2013).

Nordrussland 2010 – Radreparatur in der Tundra © www.lonelytraveller.de
Nordrussland 2010 – Radreparatur in der Tundra © www.lonelytraveller.de

Die verrückteste Panne war aber eine in der Mongolei: da brachen mir, wie schon erwähnt, unzählige Speichen, so dass ich tagtäglich mit Reparieren beschäftigt war. Irgendwann wollte aber der Ritzelabzieher nicht mehr (drehte sich durch), so dass ich die Speichen auf der Ritzelseite nicht mehr ersetzen konnte. Als dann die neunte Speiche auf jener Seite brach, hatte das Rad einen so großen Ausschlag, dass es im Rahmen blockierte.

Weiterfahren war so unmöglich und das ausgerechnet am Rande einer menschenleeren Sandwüste. Dann kam ich aber auf die Idee, aus den gebrochenen Speichen und etwas Draht, der zufällig auf dem Weg herumlag, ein paar Hilfsspeichen zu zwirbeln, um die Riesen-Acht am Hinterrad soweit zu richten, dass zumindest Schieben wieder möglich war. Es hat funktioniert – sogar das Fahren ging! Im nächsten Ort halfen mir dann die Bewohner weiter.

Mongolei 2006 – alltäglicher Speichenwechsel © www.lonelytraveller.de
Mongolei 2006 – alltäglicher Speichenwechsel © www.lonelytraveller.de

Zum Wissen: Dein ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?

Aus dem, was man hat, das Beste machen! Top Ausrüstung ist keine Grundvoraussetzung, um seine Reiseträume zu verwirklichen. Es geht auch einfach und manchmal liegt genau darin das Abenteuer. Ansonsten: keine Angst vor möglichen Schwierigkeiten oder scheinbaren Gefahren. Als Radreisender ist man langsam genug, um sich auf die örtlichen Bedingungen einzustimmen. Und mit der Zeit entwickelt man ein gutes Gespür für Land und Leute, aber auch für sich und die eigenen Fähigkeiten.

Kirgistan 2013 – es findet sich immer ein Weg © www.lonelytraveller.de
Kirgistan 2013 – es findet sich immer ein Weg © www.lonelytraveller.de

Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?

Losfahren ist nicht schwer, Wiederkommen manchmal schon. Gibt es aber auch nach der Reise interessante Herausforderungen, bin ich schnell auf ein neues Ziel fixiert, so als ginge die Reise weiter, nur auf einer anderen Ebene. Ist nicht das ganze Leben eine Reise?

Tadschikistan 2012 – so lässt es sich leben... © www.lonelytraveller.de
Tadschikistan 2012 – so lässt es sich leben… © www.lonelytraveller.de

Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?

Meine konkreten Reisepläne behalte ich in der Regel für mich. Vielleicht bin ich da ein bisschen abergläubisch, aber mir liegt viel daran, dass meine Reisemotivation eine persönliche bleibt. Oft weiß ich auch bis kurz vor dem Start nicht so genau, wo es tatsächlich hingeht. Ich überlege mir immer verschiedene Varianten: klappt Variante 1 nicht, gehe ich über zu Variante 2, wird die Zeit zu knapp, gibt es noch eine Variante 3 und so weiter… Kommt dabei am Ende was Interessantes heraus, werdet Ihr schon davon erfahren 🙂

Nur soviel: zur Zeit bin ich total angefixt, Radtouren mit Paddelpassagen zu kombinieren – vor allem da, wo man mit dem Rad allein nicht weiter kommen würde. Eigens dafür habe ich mir ein Schlauchboot zugelegt, ein Packraft der Leichtgewichtsmarke “Alpacka”. Ein paar Testtouren in Polen haben mich überzeugt, es auch in abgelegenen Gebieten mit wenig Infrastruktur einzusetzen, denn gerade da eröffnet es ganz neue Wege.

Polen 2014 – das Konzept des "Bikeraftings" eröffnet neue Wege © www.lonelytraveller.de
Polen 2014 – das Konzept des “Bikeraftings” eröffnet neue Wege © www.lonelytraveller.de

Ansonsten reizen mich aktuell auch längere Radtouren über das Eis. Mit einem Kumpel, der auch gern im Winter unterwegs ist, wagte ich mich an der schwedischen Schärenküste bereits zweimal über das Eis der gefrorenen Ostsee. Der Erfolg einer Eis-Tour hängt aber sehr stark von der vorangegangenen Witterung ab. Ist das Eis zu dünn oder die Schneeauflage zu dick, hat man keine Chance. Unsere Hoffnung: einmal genau dann Urlaub zu haben, wenn die Eisbedingungen perfekt sind, um mindestens eine Woche total offroad von Insel zu Insel radeln zu können…

Hier gibt es mehr über Richard:

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