Reiseradler-Interview #2: Hansen von Berlin2Shanghai.com

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Irgendwann Ende 2011 bekam ich eine Mail von zwei Typen, die von Berlin nach Shanghai radeln wollten: Hansen und sein Zwillingsbruder Paul waren gerade mitten in den Planungen zu einem Abenteuer, welches es heute als Film, Buch und Blog zu bestaunen gibt. So entspann sich ein recht intensiver Mailkontakt und ich habe ihre Tour nach Shanghai immer mitverfolgt. Umso mehr freue ich mich, dass Hansen sich für meine Fragen Zeit genommen hat.

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Bevor es mit dem Interview losgeht, eine kurze Selbstvorstellung: „Paul und ich sind Zwillinge. Unsere Beziehung würde ich als „beste Freunde mit Geschwisterbonus“ bezeichnen. Wir sind 31 Jahre alt und waren schon immer begeisterte Weltreisende und Abenteuerfans. Unsere letzte Tour haben wir hauptsächlich gemacht, weil wir sehr lange nur wenig miteinander zu tun hatten. Wir hatten uns quasi auseinandergelebt. Um uns aufs Neue kennen zu lernen, haben wir uns auf den längst möglichen Weg nach Osten begeben, wissend, dass unsere gemeinsamen Interessen uns wieder verbinden und unsere Freundschaft auf ein neues Level bringen können.“

Zum Warm-werden: Wie seid ihr zum Radreisen gekommen?

Ich habe meine Liebe zum Fahrradfahren 2004 entdeckt. Damals war ich 7 Monate auf Reisen in Asien. Nach ca. 3 Monaten wurde mir das „Rumliegen am Strand“ langweilig und ich beschloss, mir ein Fahrrad zu kaufen und von Bangkok nach Vietnam und wieder zurück zu fahren. Dieses Abenteuer hat meine Sicht aufs Radeln verändert und mir gezeigt, dass es eine wunderschöne Art ist, um sich fortzubewegen und Land und Leute kennen zu lernen.

2008 habe ich dann meinen Bruder überzeugt, eine große Tour zusammen zu machen. Paul und ich fuhren im April von Maastricht nach Mailand (mit einem selbstgebauten Fahrrad), um eine Möbelmesse zu besuchen und beschlossen, von nun an jedes Jahr eine Tour zu fahren. Die Touren wurden immer länger und abenteuerlicher. Das Radreise-Fieber hatte uns gepackt. Radreisen ist für uns die optimale Fortbewegungsart. Man ist sehr unabhängig in Städten und Straßen und kommt trotzdem schnell voran. Man ist nicht abgeschirmt von seiner Umgebung wie im Auto. Man ist schnell genug, um „Durststrecken“ zu schaffen und riesige Abstände zu bewältigen, aber langsam genug, um Land und Leute kennen zu lernen.

Zum Träumen: Wo wart ihr schon überall und wo müsst ihr unbedingt noch hin?

Wir waren bisher hauptsächlich in Europa unterwegs. Neben meiner ersten Tour durch Kambodscha waren wir in London, Budapest, auf den Lofoten, in Krakau und Mailand. Unsere letzte Tour war dann die mit Abstand größte: von Berlin nach Shanghai. Nachdem dieser Traum erfüllt ist, planen wir momentan die Panamericana von der südlichsten Spitze bis nach Fairbanks, Alaska zu fahren. Für diesen Traum ist allerdings noch kein genaues Datum festgelegt. Wir planen momentan mit einem Start in 2017. Weitere Traumziele lassen wir auf uns zukommen, wer weiß, wo uns unser Reisefieber noch hintreibt :O).

Zum Nachmachen: Welches Land könnt ihr empfehlen und warum?

Am schönsten zum Radfahren war bisher mit Sicherheit Kirgisistan. Dieses kleine Land am Rande des Himalayas hat einiges zu bieten. Sowohl kulturell als auch landschaftlich ist es eine Reise wert. Das Pamir-Gebirge mit bis zu 7000 Meter hohen Bergen und die muslimische, extrem gastfreundliche Kultur schaffen eine perfekte Basis für schöne Radreisen. Kirgisistan ist sehr divers, von Wäldern bis zu kargem Hochgebirge, Seen und Flüssen findet man hier alles. Unser absoluter Favorit.

Zum Erfahren: Was hat Euch unterwegs am meisten beeindruckt?

Das am meisten beeindruckende Erlebnis war mit Sicherheit der höchste Pass, den wir mit den Rädern gefahren (oder wohl eher gelaufen) sind. Das war am Yushu-Gletscher in China. Der Pass liegt auf 5250 Metern Höhe und in absoluter Einsamkeit und unberührter Natur. Eigentlich war es gar kein richtiger Pass, da es noch nicht mal eine Straße gab und ein benachbartes Tal eine tiefere Überquerung ermöglicht hätte. Aber unsere Abenteuerlust hat uns auf den Umweg über den Yushu-Gletscher getrieben und uns das Highlight unserer Tour beschert. Geplant haben wir diese Überquerung übrigens nicht mit Karten, sondern mit Google-Earth. Wir haben uns Satellitenbilder mit Höhenlinien angeschaut und auf diesen anhand von kleinen Trampelpfaden und Spuren, an Flüssen und kleinen Siedlungen entlang unsere Route geplant.

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Zum Leben: Seid ihr lieber zu zweit unterwegs, oder käme auch mal eine Solo-Reise in Frage? Und warum?

Es hat beides Vor- und Nachteile. Zum Zusammenreisen braucht man eine sehr gute Freundschaft und muss sich bewusst sein, dass eine solche Reise eine Freundschaft auf die Probe stellen kann. Allerdings hat man den unendlichen Vorteil, weniger Gepäck mitnehmen zu müssen, da man vieles nur einmal braucht und das Gewicht dann auf zwei Räder verteilen kann. Außerdem ist es natürlich sicherer, jemanden dabei zu haben, der im Notfall helfen oder Hilfe holen kann. Auch einen Gesprächspartner kann man in einsamen Gegenden sehr gut gebrauchen.

Ich erinnere mich, dass ich es sehr vermisst habe, meine Erlebnisse mit einem Landsmann teilen zu können, als ich in Kambodscha alleine unterwegs war. Aber wirklich alleine ist man auch beim Solo-Reisen kaum. Dies hat dann auch den Vorteil, dass man absolut unabhängig bei Entscheidungen ist: Fahre ich über den Pass oder drum herum, schlage ich mein Zelt hier auf oder in 20 Kilometern, brauche ich eine Pause oder fahre ich weiter? Man kann immer seine eigene Geschwindigkeit fahren. Last but not least finde ich, dass man mehr Leute kennen lernt, da man häufiger die Gesellschaft anderer sucht. Im Grunde muss das aber jeder für sich entscheiden. Manche von uns sind Rudeltiere, manche Einzelgänger.

Zum Fahrrad: Stellt es uns bitte mal kurz vor: Welche Komponenten sind an Euren Rädern dran?

Wir haben die Fahrräder bei Tout-Terrain gekauft, das Modell ist das Silkroad. Statt dem mitgelieferten Lenker haben wir uns Rennradlenker angebaut, da wir finden, dass man mehr Möglichkeiten zum Umgreifen hat und dies die Handgelenke doch sehr entlastet. Außerdem kann man bei Gegenwind doch noch ein entscheidendes Stückchen tiefer greifen und das spart Kraft. Die Schaltung war, wen wundert‘s, Rohloff Speedhub 500/14. Dieses unzerstörbare Getriebe in der Hinterradachse hat uns sehr gute Dienste geleistet. Zwar etwas gewöhnungsbedürftig, da man nicht unter Druck schalten kann und die Schaltung wohl auch etwas schwerer ist als eine herkömmliche Schaltung, dafür braucht man aber weniger Ersatzteile. Unsere Kette und das Ritzel haben wir erst bei 10.000 km gewechselt. Das Ritzel musste man sogar eigentlich nicht wechseln, sondern einfach nur umdrehen. Außerdem kann man durch Schlamm, hohes Gras, Sand und Wasser fahren, ohne dass die Gangschaltung verdreckt oder verklemmt. Einfach genial.

Als Beleuchtung haben uns eine Stirnlampe und eine im Helm integrierte Leuchte gute Dienste geleistet. Die Pedalen haben wir mit den herkömmlichen Körbchen ausgestattet. Hat den Vorteil: Leicht zu ersetzen und man braucht nur ein Paar Schuhe. Unsere Bremsen waren Scheibenbremsen von Shimano, welche über Bowdenzug gesteuert werden. Hier haben wir aber entschieden, dass V-Brakes doch besser sind, da sie weniger anfällig auf Sand und Dreck reagieren und man Ersatzteile in jedem Dorfladen finden kann. Scheibenbremsen sind sicher angenehmer zu fahren, aber versuch mal in Kirgisistan eine Bremsscheibe oder gar eine neue passende Felge zu bekommen.

Wir hatten leider keine Ortlieb-Taschen, sondern billige Taschen von Vaude, die mit Reißverschluss versehen waren. Keine gute Idee, wenn man durch Sand, Schlamm und Regen fährt. Sie haben zwar die 13.600 Kilometer überstanden, aber mehr schlecht als recht. Ortlieb ist zwar schwerer, aber sicher um einiges angenehmer zu be- und entpacken. Außerdem sind sie einfach 100 Prozent wasserdicht, was man bei Vaude nun wirklich nicht behaupten kann. Wir sind übrigens mit Lowridern gefahren.

Einen Ständer haben wir uns erspart. Nach unseren Erfahrungen ist selbst ein Pletscher nicht den Massen an Gepäck gewachsen. Eine Handbremse (Bremshebel festklemmen) und einen Stock unter den Sattel stützen war unsere beste Lösung. Diesen kann man bei Bedarf auch zum Abwehren von wilden Hunden verwenden.

Die Bereifung (sowieso 26“) war der Marathon-Reifen von Schwalbe. Leider haben wir hier am falschen Ende gespart. Wir hatten über 50 Platten. Die Marathon Plus sind mit anderen Weltenradlern schon ohne Platten wieder nach Hause zurückgekehrt. Trotzdem sollte man eine zuverlässige Luftpumpe kaufen. Wenn diese kaputt ist, kommt man im Falle eines Plattens nämlich nicht mehr weg!

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Zum Mitfühlen: Gab es Pannen unterwegs und falls ja, welche?

Wir hatten wie gerade erwähnt ziemlich viele Platten. Außerdem ist Paul einmal sehr übel gestürzt, da ein Kamerastativ bei fast 40km/h sein Vorderrad blockiert hat. Aber das Fahrrad hat es unbeschadet überstanden und Paul ist mit einigen sehr üblen Schürfwunden davongekommen. Nach 10.000 Kilometern haben außerdem unsere Budget-Tretlager (leider wieder am falschen Ende gespart) schlapp gemacht. Diese waren aber ohne weiteres in einem Fahrradladen in China zu bekommen. Ansonsten haben unsere Fahrräder ohne Probleme die gesamte Strecke durchgehalten. Natürlich gab es noch die ein oder andere Navigations-Panne. Die schlimmste war, als wir ca. 100 Kilometer in die Taklamakan-Wüste gefahren sind. Die Straße endete dann im Wüstensand.

Zum Wissen: Euer ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?

Nimm dir mehr Zeit als du zu brauchen glaubst. Es kommt immer irgendetwas Unerwartetes dazwischen. Habe keine Angst um deine Ausrüstung. Wir waren am Anfang sehr skeptisch mit Einladungen, da wir Angst hatten, ausgeraubt zu werden. Dadurch nimmt man sich eine der schönsten Erfahrungen der Reise. Und schlussendlich wurde kein einziges Mal versucht, uns irgendetwas zu klauen. Natürlich sollte man aber nicht mit einer Spiegelreflex-Kamera vor der Birne ins Ghetto laufen. Erkundige dich vor Ort oder vorab, welche Pflanzen und Tiere man in den jeweiligen Ländern essen kann. Dies kann den Speiseplan um einige interessante Speisen bereichern und sogar zu einer ausgewogenen Ernährung beitragen. Waffen sind keine Lösung für Konflikte. Wenn du eine Waffe in eine Auseinandersetzung mitnimmst, wird diese eventuell gegen dich verwendet. Worte und Gesten sind viel effektiver und auch leichter :O).

Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?

Wiederkommen, keine Frage. Natürlich ist die Planungszeit vor Abfahrt sehr intensiv, angesichts der kommenden Reise aber erträglich. Suche dir als Datum, an dem du losfahren willst, ein besonderes Datum (bei uns der 30. Geburtstag). So vermeidest du, dass du die Abfahrt immer und immer wieder nach hinten verschiebst (natürlich nur relevant, wenn du von zu Hause losfährst). Das Wiederkommen fiel uns deswegen schwerer, weil man schnell vom Alltag wieder eingeholt wird und zum Teil gar nicht dazu kommt, das Erlebte zu verarbeiten. Wir hatten zwar einen Monat nach der Rückkehr noch Urlaub und Ruhe eingeplant, haben diesen Monat aber durch längere Fahrtzeit/Reisezeit verbraucht. Unser Tipp daher nochmals: Nimm dir genug Zeit, auch für die Zeit nach der Reise. Dann kann das Wiederkommen sehr viel angenehmer sein.

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Zum Abschluss: Was ist als nächstes geplant?

Momentan sind wir noch damit beschäftigt, unsere letzte Tour zu „verwerten“. Wir geben Lesungen und Vorträge und versuchen, anderen beginnenden Weltenradlern mit Tipps unter die Arme zu greifen, so wie andere Weltenradler uns auch bei der Planung geholfen haben (danke, Martin). Unsere nächste Tour ist noch nicht fix geplant, soll aber aller Voraussicht nach 2017 losgehen. Dann heißt es 25.000 Kilometer von Südamerika nach Alaska, teilweise über die Panamericana.

Hier gibt es mehr über Hansen und Paul, ihre Tour und Pläne:

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Hier kann man das Buch kaufen (Amazon):

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